Sternentstehungsgebiete in entfernter Galaxie
von Stefan Deiters astronews.com
9. Juni 2015
Mithilfe des Radioteleskopverbunds ALMA und des
Gravitationslinseneffekts haben Astronomen einzelne Sternentstehungsgebiete in
einer weit entfernten Galaxie sichtbar machen können. Es ist das erste Mal, dass
derart detaillierte Beobachtungen eines so weit entfernten Systems gelungen
sind. Die Galaxie sehen wir zu einer Zeit, in der das Universum gerade 2,4
Milliarden Jahre alt war.

Hubble-Bild der untersuchten Himmelsregion
(links), ALMA-Bild des Einsteinrings (Mitte) und
das rekonstruierte Bild der fernen Galaxie SDP.81
(rechts).
Bild: ALMA (NRAO/ESO/NAOJ) / Y. Tamura
(The University of Tokyo)/ Mark Swinbank (Durham
University)
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Im Rahmen der sogenannten Long Baseline Campaign mit dem Atacama
Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), einem Verbund von
Radioteleskopen in der chilenischen Atacamawüste, ist Astronomen ein bislang
einmaliger Blick auf Sternentstehungsregionen in einer entfernten Galaxie
gelungen. Ziel der Beobachtungen war ein System namens HATLAS J090311.6+003906
oder auch SDP.81.
Das Licht dieser Galaxie erreicht die Erde nicht direkt, sondern wird auf dem
Weg von einer massereichen Galaxie abgelenkt. Auf diese Weise wird das Bild von
SDP.81 zu einer ringförmigen Struktur verzerrt und auch verstärkt. Astronomen
bezeichnen diesen von Albert Einstein vorhergesagten Effekt als
Gravitationslinseneffekt. Im Falle einer perfekten Anordnung von entfernter
Galaxie, Linsengalaxie und Erde wird das Bild des entfernten Systems zu einem
sogenannten Einstein-Ring verzerrt - wie auch bei SDP.81.
Die Daten von ALMA wurden von inzwischen sieben Forschergruppen unabhängig
voneinander analysiert, so dass nunmehr zahlreiche Informationen über die
Struktur, die Bestandteile, die Bewegung und andere Eigenschaften der fernen
Galaxie vorliegen. Die Galaxie sehen wir zu einer Zeit, in der das Universum
gerade einmal 2,4 Milliarden Jahre alt war. Erste Ergebnisse der Beobachtungen
waren bereits im April bekannt geworden (astronews.com
berichtete).
Die detaillierten Beobachtungen wurden möglich, weil die einzelnen Antennen
von ALMA über einen größeren Bereich verteilt waren als früher. Dadurch hatten
die Antennen einen größeren Abstand voneinander, was zu einem höheren
Auflösungsvermögen führte. Die Auflösung der ALMA-Daten ist um das Sechsfache
größer als entsprechende Beobachtungen im Infraroten mit dem Weltraumteleskop
Hubble.
Mithilfe eines Modells über die Art der Verzerrung durch die Galaxie auf der
Sichtlinie, konnten die Astronomen das tatsächliche Bild der entfernten Galaxie
rekonstruieren und so bislang nicht zu beobachtende Details sichtbar machen. So
waren staubige Bereiche zu erkennen, bei denen es sich um Regionen aus kaltem
molekularen Gas handeln dürfte, also Geburtsstätten von Sternen und Planeten.
Dabei waren Strukturen zu erkennen, die einen Durchmesser von nur 200
Lichtjahren haben.
"Die rekonstruierte ALMA-Aufnahme der Galaxie ist sehr eindrucksvoll", sagt
Rob Ivison, wissenschaftlicher Direktor der europäischen Südsternwarte ESO.
"ALMAs gewaltige Lichtsammelfläche, die große räumliche Trennung der Antennen
und die stabile Atmosphäre über der Atacamawüste, führten zu einer
ausgezeichneten Detailschärfe, sowohl bei den Bildern, als auch bei den
Spektren."
"Das bedeutet, dass wir sehr empfindliche Beobachtungen durchführen können
und Informationen darüber erhalten, wie sich die unterschiedlichen Teile der
Galaxie bewegen. Wir können Galaxien am anderen Ende des Universums untersuchen
und dabei zusehen, wie sie verschmelzen und eine riesige Zahl an Sternen
entstehen lassen. Solche Dinge sind es, die mich morgens dazu bringen
aufzustehen," so Ivison weiter.
Die Spektren lieferten den Astronomen Informationen über das
Rotationsverhalten der fernen Galaxie und sie konnten zudem ihre Masse
abschätzen. Das Gas in der Galaxie scheint danach instabil zu sein, große
Klumpen fallen in sich zusammen und dürften bald zu neuen gewaltigen
Sternentstehungsregionen werden. Aus dem Modell über die Linsengalaxie ergibt
sich zudem, dass sich in deren Inneren vermutlich ein supermassereiches
Schwarzes Loch verbirgt, das die 200 bis 300-millionenfache Masse unserer Sonne
aufweist.
Über die Beobachtungen soll in insgesamt acht Fachartikeln berichtet werden,
die in Kürze erscheinen werden.
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