Wie dunkel ist Dunkle Materie?
von Stefan Deiters astronews.com
15. April 2015
Beobachtungen von Kollisionen von Galaxienhaufen lieferten
erst kürzlich Hinweise darauf, dass Dunkle Materie weniger untereinander
wechselwirkt als bislang angenommen. Die Untersuchung von vier kollidierenden
Galaxien im Galaxienhaufen Abell 3827 könnte nun jedoch erstmals Indizien für eine nichtgravitative Wechselwirkung von Dunkler Materie untereinander geliefert
haben.
Der Zentralbereich von Abell 3827. Die
Konturen zeigen die ermittelte Verteilung der
Dunklen Materie rund um die vier kollidierenden
Galaxien. Bei der linken Galaxie scheint die
Dunkle Materie deutlich von der Galaxie getrennt
zu sein.
Bild: ESO [Großansicht]
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Bei der Erforschung der Dunklen Materie, die nach Überzeugung der Astronomen
einen Großteil der Masse im Universum ausmacht, stochert man bislang - im
wahrsten Sinne des Wortes - im Dunklen. Dunkle Materie, so die Theorie, macht
sich nämlich ausschließlich durch ihre gravitative Wechselwirkung mit anderer
Materie bemerkbar, sie sendet also kein Licht aus und verschluckt auch kein
Licht. Unklar ist allerdings, ob Partikel der Dunklen Materie untereinander noch
auf eine andere Art wechselwirken können.
Um überhaupt etwas über Dunkle Materie zu erfahren, betrachten
Astronomen in der Regel Kollisionen von Galaxienhaufen und interessieren sich
dann für das Licht von Galaxien, die hinter den kollidierenden Haufen liegen. Dieses wird nämlich
durch die Gesamtmasse der Galaxienhaufen abgelenkt. Da man aber die sichtbare
Materie in den Haufen abschätzen kann, lässt sich aus der Ablenkung auf die
Dunkle Materie und auch auf ihre Verteilung schließen.
Anfang des Monats hatten Astronomen eine umfangreiche Untersuchung von insgesamt
72 Kollisionen von Galaxienhaufen vorgestellt, aus der sich zu ergeben schien,
dass Dunkle Materie nur sehr wenig untereinander wechselwirkt (astronews.com
berichtete). Mit dem Very Large Telescope der europäischen Südsternwarte ESO
und dem Weltraumteleskop Hubble untersuchten die Wissenschaftler nun allerdings
vier einzelne Galaxien in dem Galaxienhaufen Abell 3827, die gerade kollidieren.
Und hier könnte sich ein etwas anderes Bild ergeben.
Jede Galaxie muss in eine gewaltige Ansammlung von Dunkler Materie
eingebettet sein. Anders ließe sich nämlich das beobachtete Rotationsverhalten nicht
erklären - zumindest, wenn man von der Gültigkeit der allgemein akzeptierten
physikalischen Gesetze ausgeht. Im Fall der vier kollidierenden Galaxien
stellten die Astronomen jetzt fest, dass sich die Dunkle Materie einer Galaxie
etwa 5.000 Lichtjahre hinter der Galaxie befindet.
Eine solche Trennung von Dunkler Materie und sichtbarer Materie einer Galaxie
im Verlauf einer Kollision würde sich dann erklären lassen, wenn Dunkle Materie
auch miteinander wechselwirkt - und dies nicht ausschließlich über ihre
Gravitationswirkung. Bestätigt sich der Befund, wäre dies der erste Hinweis auf
ein solches Verhalten aus Beobachtungen.
"Wir dachten bislang immer, dass Dunkle Materie einfach da ist und
abgesehen von ihrer gravitativen Anziehung nichts tut", so Richard Massey von
der Durham University. "Aber wenn Dunkle Materie durch diese Kollision
abgebremst worden ist, könnte es der erste Hinweis für eine vielfältige Physik
im dunklen Sektor sein - im verborgenen Universum, das uns umgibt."
Allerdings, so warnen die Astronomen, sind weitere Untersuchungen nötig, um
sicher sein zu können, dass es sich hier tatsächlich um den vermuteten Effekt
handelt. Dazu müssten andere Phänomene, die auch für die beobachtete Verzögerung
sorgen könnten, ausgeschlossen, weitere Beobachtungen von Galaxien durchgeführt
und auch Computersimulationen gemacht werden.
"Wir wissen, dass Dunkle Materie existiert, weil wir ihre gravitativen
Wechselwirkungen beobachten, die helfen, das Universum zu formen", so Liliya
Williams von der University of Minnesota. "Allerdings wissen wir noch
beschämend wenig darüber, was die Dunkle Materie wirklich ist. Unsere
Beobachtungen legen nahe, dass Dunkle Materie auch andere Kräfte als die
Gravitation für Wechselwirkungen nutzen könnte. Wenn dem tatsächlich so ist,
könnten wir einige bedeutende Theorien ausschließen, die beschreiben, um was es
sich bei Dunkler Materie handelt."
Bei allen vier für die jetzt vorgestellte Untersuchung beobachteten Galaxien
könnte die Dunkle Materie während der Kollision von der zugehörigen Galaxie
getrennt worden sein. Allerdings erlauben die Beobachtungen nur in einem Fall
eine hinreichend sichere Lokalisierung des Orts der Dunklen Materie.
Für die Astronomen stellen die beiden in diesem Monat vorgestellten Resultate
einen wichtigen Schritt dar, um hinter das Geheimnis der Dunklen Materie
zu kommen. Die Ergebnisse der Kollision von Galaxienhaufen und der von
einzelnen Galaxien können dabei die möglichen Kandidaten eingrenzen. "So nähern wir uns
der Entschlüsselung der Dunklen Materie von oben und von unten an und
fokussieren unsere Kenntnisse von zwei Seiten," so Massey.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in der heute erscheinenden
Ausgabe der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical
Society.
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