Dunkle Materie noch dunkler als gedacht
von Stefan Deiters astronews.com
1. April 2015
Dunkle Materie gehört mit zu den ungewöhnlichsten
Bestandteilen des Universums: Sie macht sich nämlich ausschließlich durch ihre gravitative Anziehungskraft bemerkbar. Umfangreiche Beobachtungen von
Kollisionen von Galaxienhaufen zeigen nun, dass Dunkle Materie sogar mit sich
selbst weniger wechselwirkt als angenommen. Ist sie also noch "dunkler" als
gedacht?
Einige der für die Studie untersuchten
Kollisionen von Galaxienhaufen. Das heiße Gas,
das Chandra im Röntgenbereich beobachtet, ist
lilafarben eingezeichnet, die Verteilung der
Dunklen Materie blau. Bild: NASA,
ESA, STScI und CXC [Großansicht]
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Dunkle Materie könnte noch "dunkler" sein, als Astronomen bislang angenommen
hatten. Die neuen Erkenntnisse beruhen auf Beobachtungen von Kollisionen von
Galaxienhaufen, die mit den Weltraumteleskopen Hubble und Chandra durchgeführt
wurden. Die Daten dürften helfen, einige der vermuteten Kandidaten für
Dunkle Materie auszusortieren.
Dunkle Materie ist eine der großen Unbekannten in der modernen Kosmologie: Im
Universum, davon sind Astronomen inzwischen überzeugt, gibt es mehr Dunkle
Materie als sichtbare Materie, doch trotzdem ist diese Dunkle Materie nur sehr
schwer nachzuweisen oder zu erforschen.
Dunkle Materie, daher auch ihr Name, sendet nämlich kein Licht aus. Sie
verschluckt auch kein Licht und reflektiert es auch nicht. Nur durch ihren
gravitativen Einfluss auf andere, sichtbare Objekte lässt sie sich überhaupt
aufspüren. Um nun mehr über diesen mysteriösen Bestandteil des Universums zu
erfahren, haben Astronomen Regionen betrachtet, in denen gerade große Mengen von
Dunkler Materie miteinander kollidieren. Und dies ist bei Kollisionen von
Galaxienhaufen der Fall.
Galaxienhaufen sind gewaltige Ansammlungen von Galaxien. Galaxien wiederum
bestehen hauptsächlich aus Sternen, Gaswolken und Dunkler Materie. Die Gaswolken
werden bei Kollisionen von Galaxienhaufen abgebremst und in die Länge gezogen.
Die Sterne hingegen sind davon weitaus weniger betroffen, da die Abstände der Sterne in den Galaxien so groß sind, dass es kaum zu direkten Begegnungen kommt.
"Wir wissen, wie sich Gas und Sterne bei diesen kosmischen Karambolagen
verhalten und wo sie sich schließlich nach der Kollision befinden", so David
Harvey von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz.
"Wenn wir dies nun mit dem Verhalten von Dunkler Materie vergleichen, kann uns
das helfen, die Möglichkeiten einzugrenzen, um was es sich dabei genau handelt."
Mit dem Weltraumteleskop Hubble und dem Röntgenteleskop Chandra haben die
Astronomen insgesamt 72 Kollisionen von Galaxienhaufen untersucht. Diese sieht
man dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus verschiedenen Blickwinkeln.
Um nun die Verteilung der Dunklen Materie zu bestimmen, betrachteten die
Astronomen das Licht von Galaxien hinter den kollidierenden Haufen. Dieses wird nämlich
durch die Gesamtmasse der Galaxienhaufen abgelenkt. Da man aber die sichtbare
Materie abschätzen kann, lässt sich aus der Ablenkung auf die Dunkle Materie schließen.
Die Astronomen stellten bei ihren Beobachtungen fest, dass sich die Dunkle
Materie bei einer Kollision ganz ähnlich verhält wie die Sterne und nicht
abgebremst wird. Allerdings dürfte dies nicht darauf zurückzuführen sein, dass
die Dunkle Materie - wie die Sterne - weit voneinander entfernt ist. Im
Gegenteil: Die Dunkle Materie sollte gleichmäßig in den Galaxienhaufen verteilt
sein, so dass sich die Partikel der Dunklen Materie bei einer Kollision regelmäßig sehr nahe kommen
müssen.
Die Schlussfolgerung: Dunkle Materie wechselwirkt nicht nur nicht mit
normaler Materie, sondern auch weniger mit Dunkler Materie als man bislang
angenommen hatte. "Bei einer früheren Untersuchung hatte man im sogenannten
Bullet-Cluster ein ganz ähnliches Verhalten beobachtet", so Richard Massey von
der britischen Durham University. "Eine Interpretation ist allerdings schwierig,
wenn man nur ein einziges Beispiel hat. Jede dieser Kollisionen dauert viele
Hundert Millionen Jahren, so dass wir nur einen Schnappschuss von den Vorgängen
aus einem ganz bestimmten Kamerawinkel sehen können. Jetzt haben wir aber sehr
viel mehr Kollisionen untersucht, so dass wir eine Art Film zusammenstellen
können, um besser zu verstehen, was da genau passiert."
Die Beobachtungen helfen Astronomen, die Eigenschaften von Dunkler
Materie besser zu beschreiben und liefern damit auch neue Kriterien, mit deren
Hilfe sich die Zahl der potentiellen Kandidaten für Dunkle Materie einschränken
lässt. Nun wollen die Astronomen sich andere mögliche Wechselwirkungen
anschauen: So könnten die Partikel der Dunklen Materie beispielsweise auch wie
Billardkugeln bei einem Aufeinandertreffen voneinander abprallen, was zu einer
Änderung in der Verteilung der Dunkelmaterie führen könnte.
Dazu wollen die Forscher nicht nur Kollisionen von Galaxienhaufen betrachten,
sondern auch Kollisionen von einzelnen Galaxien, die sich deutlich häufiger
finden. "Es gibt noch immer zahlreiche Kandidaten für Dunkle Materie. Das Spiel
ist also noch nicht zu Ende, aber wir kommen einer Lösung näher", so Harvey.
"Diese astronomisch großen Teilchenbeschleuniger erlauben uns einen ersten
Blick auf die dunkle Welt um uns herum, die wir anders nicht erreichen können."
Über ihre Beobachtungen berichteten die Astronomen in der vergangenen Woche
in der Fachzeitschrift Science.
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