Ära der ESA-Raumfrachter ist beendet
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
16. Februar 2015
Die Zeit, in der europäische Raumfrachter die Internationale
Raumstation ISS mit Nachschub und Experimenten versorgten, ist vorbei: Gestern
Abend verglühte das fünfte und letzte Automated Transfer Vehicle über
dem Pazifik. Die Erfahrungen, die während der ATV-Flüge gemacht wurden, sollen
nun in die Entwicklung eines Servicemoduls für das NASA-Raumschiff Orion
einfließen.

Am 14. Februar 2015 hatte der fünfte und
letzte europäische ATV-Raumfrachter "Georges
Lemaitre" von der Internationalen Raumstation
abgedockt und war einen Tag später über dem
Südpazifik verglüht.
Foto: DLR / ESA / NASA [Großansicht] |
Es ist das Ende einer Ära der europäischen Raumfahrt: Am 15. Februar 2015 ist
um 19.04 Uhr MEZ der fünfte und letzte europäische Raumtransporter ATV (ATV
steht für Automated Transfer Vehicle) mit dem Namen "Georges Lemaître"
kontrolliert in die Erdatmosphäre eingetreten und verglüht.
Zuvor hatte der Raumfrachter Nachschub und Experimente zur Internationalen
Raumstation ISS transportiert sowie deren Bahn angehoben und korrigiert. Mit dem
Ende der europäischen Versorgungsflüge geht eine wichtige Phase der europäischen
Raumfahrt zu Ende. Das Know-how aus den ATV-Missionen soll jedoch im
europäischen Servicemodul der US-amerikanischen Raumkapsel Orion
weiterleben.
Einen Tag zuvor, am 14. Februar, hatte ATV-5 um 14.40 Uhr MEZ vom russischen
Swesda-Modul der Raumstation abgedockt und Kurs auf die Erde genommen. Zwei
gezielte Bremsmanöver sorgten vor dem Wiedereintritt dafür, dass der
20-Tonnen-Transporter in einem steilen Winkel in die Erdatmosphäre eintauchte,
um dann zu verglühen.
Das zusätzliche Zünden der Steuerdüsen brachte das Fahrzeug zum Taumeln und
erleichterte so das Auseinanderbrechen in kleinere Einzelteile. Drei
Wiedereintritts-Experimente zeichneten dabei Daten auf, wie beispielsweise die
Temperaturentwicklung, und sendeten diese zur Erde. Eines davon ist der schon
zuvor eingesetzte "Reentry Break up Recorder" - eine Art Flugschreiber, der
mechanische Lasten aufzeichnet. Er wurde jetzt von einer optischen und einer
Infrarot-Kamera ergänzt. Diese übermittelten die Bilder vom Beginn des
Wiedereintritts bis zum Auseinanderbrechen des ATV.
Der ursprünglich von der Europäischen Weltraumorganisation ESA geplante "Shallow
Reentry", ein Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mit flachem Winkel, wurde aus
Sicherheitsgründen nicht durchgeführt. Vor einigen Tagen war eine Batterie in
einem der vier redundanten Energieversorgungsstränge ausgefallen.
Am 30. Juli 2014 war das ATV-5 mit eine Ariane-5-Trägerrakete vom
Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana zur ISS gestartet. An Bord
befanden sich dabei Nachschub an Wasser, Treibstoff, Atemluft und Lebensmittel,
der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte Schmelzofen
EML sowie die ebenfalls aus Deutschland stammenden Experimente MagVector,
Spacetex und WiseNet.
Vor dem Andocken an die Raumstation am 12. August, das der deutsche
ESA-Astronaut Alexander Gerst und der russische Kosmonaut Alexander Skvortsov
überwachten, wurden erstmalig die neuen Rendezvous-Sensoren LIRIS (Laser
InfraRed Imaging Sensors) am ATV getestet. Diese weiterentwickelte Kombination
aus Laser- und Infrarot-Technologie soll zukünftige robotische Anwendungen, wie
etwa die Entsorgung von Weltraummüll, ermöglichen und optimieren helfen.
Unmittelbar nach dem Andocken begann die Crew mit dem Entladen des
Transporters. Das mit über 300 Kilogramm größte der Experimente, den
elektromagnetischen Levitator EML, baute Alexander Gerst ins "European Drawer
Rack" des Columbus-Labors ein und begann mit dem Testbetrieb. In dem
Schmelzofen, in dem metallische Legierungen frei schwebend aufgeschmolzen und
analysiert werden können, sollen in den kommenden Monaten Experimente mit 18
verschiedenen Metallproben durchgeführt werden. EML liefert dabei hochgenaue
Daten, die beispielsweise die Simulation von Gießvorgängen in der
Metallproduktion entscheidend verbessern können.
Mit dem Verglühen des Raumfrachters "Georges Lemaître" gehört das letzte ATV der Vergangenheit
an - doch seine Technologie lebt weiter: Sie wird im europäischen Servicemodul
ESM der US-amerikanischen Raumkapsel Orion verwendet. ESM ist dort für
Energie, Antrieb und Temperaturkontrolle der Raumkapsel, aber auch für die
Lagerung von Versorgungsgütern verantwortlich. Das Servicemodul ist außerdem ein
sogenanntes "Barter-Element", das heißt, es sichert den Europäern Nutzungsrechte
auf der ISS in den Jahren 2017 bis 2020.
Orion soll erstmals 2018 unbemannt getestet werden und zunächst den Mond, in
zukünftigen Missionen aber auch Objekte im erdfernen Weltraum, wie etwa
Asteroiden, erforschen. Mit dem ESM steuert die ESA erstmalig ein solch
hochkomplexes und kritisches Element zu einer wichtigen US-Mission bei - ein
großer Vertrauensbeweis, der durch das erfolgreiche ATV-Programm erst ermöglicht
wurde. Entwickelt und gebaut wird ESM, wie auch zuvor das ATV, vom
Raumfahrtunternehmen Airbus Defence and Space in Bremen.
Mit seinem fünften erfolgreichen Flug habe das ATV alle Erwartungen an das
Programm mehr als erfüllt, sagt Volker Schmid, ATV-Programmverantwortlicher beim
Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Der
europäische Raumtransporter führte alle vollautomatischen Flüge und
Andockmanöver in bisher nicht erreichter Präzision durch - allein das
punktgenaue Andocken an die ISS bei 28.000 Kilometern pro Stunde war eine große
Herausforderung, die es zu meistern galt. Zudem ist ATV das größte und
komplexeste Raumfahrzeug, das bislang für den Raumtransport eingesetzt wurde."
ATV-1 "Jules Verne" startete 2008 zur Raumstation. Danach folgten "Johannes
Kepler" (2011), "Edoardo Amaldi" (2012), "Albert Einstein" (2013) und "Georges
Lemaître" (2014). Insgesamt wurden bei den fünf Flügen 31,5 Tonnen Fracht zur
ISS transportiert. Mit den ATV-Flügen hat Europa seine Beteiligung an den
allgemeinen Betriebskosten der ISS abgeleistet. Dadurch erhalten deutsche und
andere europäische Astronauten, Wissenschaftler und Ingenieure entsprechende
Nutzungszeit auf der ISS.
Mit dem Bau und der Entwicklung des ATV habe die europäische
Raumfahrtindustrie wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten sammeln und ihren hohen
Technologiestandard unter Beweis stellen können, erläutert Schmid: "Deutschland
war dabei federführend am Programm beteiligt und hat rund 48 Prozent der
Beiträge des insgesamt drei Milliarden teuren Programms finanziert." Für den
unter Federführung von Airbus Defence and Space in Bremen gebauten
Transporter haben 30 Firmen aus zehn europäischen Ländern Leistungen erbracht,
weitere Beiträge stammten aus Russland und den USA.
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