Letztes ATV erreichte Raumstation
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
13. August 2014
Alles klappte perfekt und trotzdem dürfte bei den
Verantwortlichen ein wenig Wehmut aufgekommen sein: Mit dem ATV-5 George
Lemaître dockte nämlich gestern zum letzten Mal ein europäischer
Raumfrachter an die Internationale Raumstation ISS an. Auf dem Weg dorthin wurden
auch
Technologien getestet, die bei künftigen Raumfahrtmissionen zum Einsatz kommen
könnten.

Das ATV-5 gestern kurz vor dem Andocken.
Bild: ESA / NASA [Großansicht] |
Gerade einmal 60 Zentimeter groß ist das Zielfeld an der Internationalen
Raumstation ISS, an dem der letzte europäische Raumtransporter ATV-5 George
Lemaître am 12. August 2014 um 15.30 Uhr MESZ punktgenau automatisch
andockte. Bei dem Manöver in 400 Kilometern Höhe hatte Astronaut Alexander Gerst
deshalb auch nur eine Aufgabe: das Andockmanöver zu überwachen und im Notfall
das automatische Verfahren abzubrechen.
Im Inneren des 20-Tonners warten unter anderem dichtgepackt Experimente wie
der Schmelzofen EML (Elektromagnetischer Levitator), das
DLR-Magnetfeldexperiment MagVector/MFX, Nahrung, Kaffee und Kleidung für die
Astronauten, Treibstoff, Atemluft und Trinkwasser sowie eine Ersatz-Pumpe für
das Wasseraufbereitungssystem des Forschungslabors Columbus. Insgesamt
transportierte das ATV mehr als 6,6 Tonnen Fracht ins All. Für die Teams in den
Kontrollräumen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in
Oberpfaffenhofen und Köln beginnt nun die ausgeklügelte Prozedur des Entladens.
Zwei Wochen lang dauerte die Freiflugphase des ATV-5 (Automated Transfer
Vehicle) nach dem Start am 30. Juli 2014 um 1.44 Uhr – nun dockte der
Transporter nach einer rund dreieinhalbstündigen Annäherungsphase am russischen
Zwesda-Modul der Internationalen Raumstation an. Rund 40 Kilometer vor
Erreichen der ISS wurde dafür die Kommunikation zwischen Raumstation und
Transporter aufgenommen. 3,5 Kilometer vor der ISS wurde das Radar aktiviert,
auf den letzten 250 Metern orientierte sich ATV-5 mit optischen Sensoren (je
zwei Laser-Entfernungsmesser und Videokameras), die ihm als Augen dienen und die
Berechnung von Abstand, Geschwindigkeit und Winkel zum Koppelungselement
ermöglichen.
Zuvor hatte die europäische Raumfahrtagentur ESA das neue System LIRIS (Laser
InfraRed Imaging Sensors) getestet, das zusätzlich zum bestehenden
Navigationssystem im Einsatz war. Mit der neuen Technologie könnten dann auch so
genannte unkooperative Ziele - beispielsweise Weltraumschrott - angeflogen
werden. Beim LIRIS-Experiment wird die ISS per Laser angestrahlt, um aus der
Reflexion ein auswertbares Bild mit möglichst vielen Informationen zu Lage und
Orientierung des Ziels zu bekommen.
"Bei unkooperativen Zielen benötigt man einfach noch mehr Intelligenz bei
Sensoren und Regelkreisen", erläutert Volker Schmid, DLR-Programm-Manager für
das ATV. "Letztendlich testen wir damit, auch im Dunklen einen Gegenstand genau
an der richtigen Stelle präzise greifen zu können." Für das Andocken mit dem ATV
hat die ISS speziell angebrachte Laserreflektoren an ihrer Außenseite.
Nach der Ankunft des ATV wird nun - voraussichtlich heute- nach einem ersten
Öffnen der Verbindungstür die Luft im Transporter selbst auf ihre Qualität
geprüft und die Verbindung zwischen ATV und ISS zusätzlich verstärkt. Die ersten
großen Frachtpakete, die Teile des Schmelzofens EML enthalten, werden dann
wahrscheinlich am folgenden Tag von Astronaut Gerst und seinen Kollegen aus dem
ATV geladen und durch die Station an seinen Bestimmungsort, das europäische
Forschungslabor Columbus, gebracht. Das EML ist mit rund 400 Kilogramm
verteilt auf mehrere Frachtstücke das schwerste Gut im Transporter.
Eine kurze Pause beim Entladen des ATV wird für das Abdocken des Cygnus
Orbital-2 eingeschoben - dann bedient Alexander Gerst den Roboterarm, mit
dem der Transporter von der ISS getrennt wird. Und auch beim russischen
Weltraumausstieg am 18. August, bei dem die EXPOSE-R2-Anlage an der Außenseite
der ISS unter anderem mit Organismen für die Experimente BIOMEX und BOSS des DLR
bestückt wird, ist die Verbindungsklappe zwischen ATV und ISS geschlossen.
Die Installation des Schmelzofens wird dann ab dem 19. August fortgesetzt und
aus dem Kontrollraum des Nutzerzentrums für Weltraumexperimente (MUSC) in Köln
betreut und gesteuert. Die genaue Abstimmung dieser Abläufe ist dabei vor allem
für die Zeitpläne der Astronauten wichtig, die im Fünf-Minuten-Takt die
verschiedenen Aufgaben und Prozeduren vorgeben.
Mit dem ATV-5 hat zum letzten Mal ein europäischer Raumtransporter an der ISS
angedockt. Mit dem ATV-Programm starteten seit 2008 insgesamt fünf Transporter
ins All, die nicht nur für Nachschub auf der ISS sorgten und bei ihrer Rückkehr
in die Erdatmosphäre den Müll der Raumstation entsorgen. "Das ATV war auch immer
sehr wichtig für Ausweichmanöver bei Weltraumschrott und bei der Bahnanhebung
der ISS", sagt DLR-Programm-Manager Schmid.
Täglich verliert die ISS etwa 50 bis 100 Metern an Höhe – mit den
Raumtransportern wurde sie mehrfach jeweils um einige Kilometer angehoben. Den
Rekord hält hier ATV-2 Johannes Kepler, das die ISS im Jahr 2011 nach
und nach um insgesamt 50 Kilometer angehoben hatte. Rund sechs Monate wird
Georges Lemaître an der ISS angedockt bleiben – um dann anschließend bei
seiner Rückkehr zur Erde auseinanderzubrechen und zu verglühen.
"Dem ATV-5 wird leider kein ATV-6 mehr folgen", bedauert Schmid, der das
ATV-Programm seit seinem Beginn mit ATV-1 begleitet hat. "Allerdings: die
Erfahrungen, die wir mit ATV erworben haben, werden in die Entwicklung eines
europäischen Servicemoduls für die amerikanische Orion-Kapsel
einfließen – und damit ist Europa an den bemannten Missionen der Zukunft
beteiligt."
Das "European Service Module" (ESM) wird unter anderem für den Antrieb, die
Energieversorgung und Thermalkontrolle sorgen, wenn an Bord der Orion-Kapsel
vier Astronauten leben und arbeiten. Das erste ESM an einer Orion-Kapsel
soll bei einer unbemannten Test-Mission Ende 2017 bei einem Flug um den Mond zum
Einsatz kommen. "Aus der Technologie des ATV entsteht somit die Technologie für
Missionen über die Internationale Raumstation hinaus."
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