Rinnen meist durch Kohlendioxideis?
von Stefan Deiters astronews.com
14. Juli 2014
Charakteristische Abflussrinnen, die plötzlich an Hängen auf
dem Mars auftauchten, gelten manchen als Indiz dafür, dass auf dem Roten
Planeten auch heute noch flüssiges Wasser existiert. Doch ist diese
Interpretation wirklich richtig? Neue Bilder der NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter
legen nun nahe, dass Trockeneis für die meisten dieser Strukturen verantwortlich
ist.

Der untere
Bereich einer Abflussrinne an einem Kraterhang
auf dem Mars. Der Ausschnitt zeigt einen 150
Meter breiten Bereich, links die
erste und rechts die jüngste Beobachtung der Region.
Zu erkennen sind einige Unterschiede, so sind
etwa neue Ablagerungen entstanden (Pfeile).
Bild: NASA / JPL-Caltech / Univ. of
Arizona [Großansicht] |
Als im Jahr 2000 auf detaillierten Aufnahmen von der Marsoberfläche
charakteristische Abflussrinnen entdeckt wurden, die erst vor kurzer Zeit
entstanden sein mussten, war die Begeisterung groß: Auf dem Roten Planeten, den man
bislang für eine überwiegend trockene Welt hielt, schien es tatsächlich auch
heute noch flüssiges Wasser zu geben, das für diese typischen Fließspuren
verantwortlich ist.
Zu sehr ähnelten die Rinnen nämlich dem Aussehen von vergleichbaren Strukturen
auf der Erde, die eindeutig durch flüssiges Wasser entstehen. Doch ein Beweis
dafür, dass diese Rinnen auf dem Mars tatsächlich durch dieses lebensnotwendige Nass
entstanden sind, fand man bislang nicht.
Und so gab es immer wieder Wissenschaftler, die bezweifelten, dass diese Strukturen
auf dem Roten Planeten durch Wasser
entstehen. Und sie haben einen anderen Schuldigen ausgemacht: Trockeneis, also
gefrorenes Kohlendioxid.
"Noch vor vielleicht fünf Jahren war ich fest davon überzeugt, dass diese
Abflussrinnen auf dem Mars durch die Aktivität von flüssigem Wasser zu erklären
sind", meint Colin Dundas vom Astrogeology Science Center des U. S. Geological
Survey in Flagstaff im US-Bundesstaat Arizona. "Es ist uns inzwischen gelungen
viele weitere Beobachtungen zu machen. Mit der Auswertung neuer Beispiele für
eine solche Aktivität
konnten wir auch den Zeitpunkt der Entstehung der Spuren und ihrer Veränderungen
eingrenzen. Diese Aktivität findet im Winter statt."
Dundas und seine Kollegen haben mithilfe des Kamerasystems HiRISE an Bord der
NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter seit 2006 Abflussrinnen an 356
verschiedenen Stellen auf dem Mars untersucht. An 38 Orten konnten sie eine
Aktivität nachweisen. So entstanden etwa neue Rinnensegmente oder es waren
zusätzliche
Ablagerungen am unteren Ende der Rinnen zu sehen.
Durch den Vergleich von Aufnahmen der gleichen Region, die
bei verschiedenen
Überflügen gemacht wurden, konnten die Wissenschaftler die Aktivität
auf einen Zeitraum eingrenzen, in dem es jahrzeitlich bedingten Kohlendioxidfrost
gibt und die Temperaturen nicht ausreichend hoch sind, um die Existenz von
flüssigem Wasser zu erlauben.
Gefrorenes Kohlendioxid ist vielen unter dem Begriff Trockeneis vertraut. Auf
der Erde kommt es nicht natürlich vor, auf dem Mars hingegen ist es sehr häufig.
Wenn das Eis auf der Oberfläche teilweise sublimiert, also direkt in seinen
gasförmigen Zustand übergeht, könnte dieses Gas das Abrutschen des trockenen
Materials ermöglichen. Und auch ohne diesen Prozess könnte sich absetzendes
Trockeneis einfach zu schwer werden und schließlich abrutschen.
Die Abflussrinnen auf dem Mars, die vergleichsweise frisch erscheinen, könnten
somit tatsächlich durch aktuell noch ablaufende Prozesse entstanden sein und
nicht - wie auch oft spekuliert wurde - vor vielen Tausenden oder gar Millionen
Jahren, als das Klima auf dem Mars flüssiges Wasser ermöglicht haben könnte.
Die neuen Erkenntnisse verdanken die Wissenschaftler vor allem der Langlebigkeit
des Mars Reconnaissance Orbiter und anderer Marssonden. Erst sie machen
die wiederholte Beobachtung zahlreicher Regionen möglich, was wiederum die
Entdeckung von Landschaftsveränderungen erlaubt.
Die neue Studie muss nicht bedeuten, dass es auf der Oberfläche gar kein
flüssiges Wasser gibt: Kleinere Oberflächenstrukturen, wie sie auf anderen
HiRISE-Beobachtungen zu sehen sind, könnten sehr wohl durch fließendes Wasser
entstanden sein. "Ich mag es, dass uns der Mars noch immer überrascht", so
Dundas. "Die Abflussrinnen auf dem Mars sind faszinierende Strukturen, die uns
Prozesse untersuchen lassen, die wir auf der Erde nicht haben."
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