Astronaut als Versuchsobjekt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
11. Juni 2014
Seit zwei Wochen ist der deutsche ESA-Astronaut Alexander
Gerst inzwischen im All und hat bereits mit seiner wissenschaftlichen Arbeit
begonnen. Dabei ist gegenwärtig vor allem er selbst das Forschungsobjekt. Für
verschiedene Untersuchungen in der Raumfahrtmedizin bilden die Daten am Anfang
einer Mission nämlich eine wichtige Basis, um spätere Veränderungen zu erkennen.
Für das
NASA-Experiment "Ocular Health" untersuchte
Astronaut Alexander Gerst den Zustand seiner
Augen mit einer Ultraschallkamera.
Foto: NASA [Großansicht] |
Seit dem 29. Mai 2014 ist Alexander Gerst in der Schwerelosigkeit - und sein
erstes Forschungsobjekt in der Internationalen Raumstation ISS ist zurzeit vor
allem er selbst. Gerade für die Raumfahrtmediziner sind die Daten zu Beginn
seiner Mission eine wichtige Basis, um Veränderungen des menschlichen Körpers in
der Schwerelosigkeit zu beobachten und zu analysieren.
Und so vermisst Alexander Gerst sich in seinen ersten beiden Wochen seiner
"Blue Dot Mission" zunächst selbst, sammelt Blut- und Speichelproben und nimmt
Ultraschallbilder seiner Augen auf. Für zwei vom Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) geförderte Experimente erfasst der deutsche ESA-Astronaut
außerdem nun den Zustand seiner Haut sowie seine Körperkerntemperatur und somit
seine innere Uhr.
Es ist eine Momentaufnahme, die Alexander Gerst zu Beginn seiner
sechsmonatigen Mission ins All von sich erstellt: Noch muss sich sein Körper auf
den Übergang von der Schwerkraft der Erde auf die Schwerelosigkeit umstellen,
noch sind die Anpassungen an das Leben in der ISS noch nicht vollzogen. Gleich
in der ersten Woche assistierte der amerikanische Astronaut Reid Wiseman ihm
deshalb dabei, für das NASA-Experiment "Ocular Health" den Zustand seiner Augen
mit einer Ultraschallkamera zu erfassen. Mit diesen Daten wollen amerikanische
Wissenschaftler untersuchen, wie hoch das Risiko ist, dass sich die
Schwerelosigkeit auf das Sehvermögen und den Hirndruck auswirkt. Weitere
Messungen im Verlauf der Mission sowie nach der Rückkehr sollen dann Aufschluss
über mögliche Veränderungen geben.
Blut und Speichel von Alexander Gerst waren ebenso gefragt: Mit diesen wird
in dem Experiment "Micro Biome" der NASA untersucht, wie Mikroorganismen in und
auf dem Körper eines Astronauten auf die Schwerelosigkeit reagieren. Außerdem
erforschen amerikanische Wissenschaftler mit diesen Proben, ob und wie sich das
Immunsystem der ISS-Crew an das Leben im Weltall anpasst.
Auch die Haut reagiert auf die neue Lebenssituation der Astronauten im All.
Schon 2006 untersuchten Wissenschaftler der Universität Witten-Herdecke an
Astronaut Thomas Reiter, wie sich die Haut in der Schwerelosigkeit verändert.
"Damals konnten wir feststellen, dass sich die Hautoberfläche und die Struktur
seiner Haut so veränderten, wie sich die Haut bei Menschen während des
Alterungsprozesses entwickelt", erläutert Dr. Nicole Gerlach vom Institut für
experimentelle Dermatologie der Uni Witten-Herdecke. Nach der Rückkehr aus dem
All regenerierte sich das Hautbild wieder. "Allerdings ist ein einziger
Datensatz nicht ausreichend, um dieses Phänomen zu untersuchen", betont die
Projektleiterin.
Alexander Gerst ist deshalb bereits der dritte Astronaut, der im All für das
Experiment "Skin-B" wie die Astronauten Luca Parmitano und Steve Swanson seine
Hautfeuchtigkeit misst, erfasst, wie wirkungsvoll die Hautbarriere Wasser in der
Haut zurückhält, und Bilder in 20-facher Vergrößerung von der Oberfläche seiner
Haut macht. Dieselben Messungen an seinem Unterarm hat er bereits vor seinem
Start zur ISS durchgeführt; auch während der gesamten Missionszeit sowie nach
seiner Rückkehr wird er weitere Messungen vornehmen. Projektleiterin Dr. Nicole
Gerlach und Leiterin Prof. Dr. Ulrike Heinrich können so über einen längeren
Zeitraum hinweg beobachten, wie sich die Haut unter dem Einfluss der
Schwerelosigkeit entwickelt und dabei anscheinend den Alterungsprozess innerhalb
kürzester Zeit durchläuft.
Selbst die innere Uhr des Astronauten ist für die Wissenschaftler am Boden
interessant: Prof. Hanns-Christian Gunga von der Charité Berlin lässt Alexander
Gerst und seine Kollegen dafür einen Doppel-Sensor tragen, der an der Stirn und
am Brustkorb angebracht wird und über 36 Stunden hinweg die Körperkerntemperatur
misst. Entfällt der 24-Stunden-Rhythmus durch den irdischen
Hell-Dunkel-Unterschied bei einer Langzeitmission im All und wird die
körperliche Aktivität durch die Schwerelosigkeit reduziert, könnte dies auch
Auswirkungen auf die innere Uhr und somit auf Abläufe im gesamten Körper haben.
Insgesamt zwölf Astronauten messen deshalb vor, während und nach ihren
Missionen in regelmäßigen Abständen ihre Körperkerntemperatur. Die erfassten
Daten des Experiments "Circadian Rhythms" helfen dabei, die Prozesse des
autonomen Nervensystems besser zu verstehen. Damit könnten in Zukunft die
Astronauten auf der Raumstation beispielsweise ihre Arbeits-, Sport- und
Ruhezeiten optimaler planen.
Auf der Erde kommen die Forschungsergebnisse denjenigen zu Gute, deren
inneren Uhr aus dem Takt gekommen ist und für Probleme mit dem autonomen
Nervensystem oder auch Schlafschwierigkeiten sorgt. Der für die Astronauten
entwickelte Doppel-Sensor, der auf der Hautoberfläche misst, ist ebenfalls schon
auf der Erde zum Einsatz gekommen: Das Berliner Herzzentrum hat die Sensoren
bereits bei Herz-Transplantationen eingesetzt. Zurzeit wird der Einsatz in
Neugeborenen-Inkubatoren vorbereitet.
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