Direkter Kollaps zum Millisekunden-Pulsar?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
23. Dezember 2013
Millisekunden-Pulsare können sich viele Hundert Mal pro
Sekunde um die eigene Achse drehen. Nach Ansicht von Astronomen entstehen sie
durch Materieübertrag in einem Doppelsternsystem. Einige erst jüngst entdeckte
Objekte passten aber nicht so recht zu dieser Vorstellung. Jetzt haben
Astronomen ein alternatives Szenario für deren Entstehung vorgelegt.

Künstlerische Darstellung eines
Millisekundenpulsars in einem Doppelsternsystem.
Das Bild zeigt das bislang angenommene klassische
Entstehungsszenario.
Bild: NASA / Goddard Space Flight Center
/ Dana Berry |
Neutronensterne können sich extrem schnell um ihre eigene Achse drehen - der
Rekordwert liegt bei 716 Umdrehungen pro Sekunde. Solche außergewöhnlichen
Objekte lassen sich als sogenannte Millisekunden-Pulsare beobachten. Seit der
ersten Entdeckung eines Millisekunden-Pulsars im Jahr 1982 nahm man an, dass es
sich dabei um alte Neutronensterne handeln muss, die Teil eines
Doppelsternsystems sind.
Bei der Entwicklung des Begleitsterns zu einem Roten Riesen findet dann
Übertragung von Masse und Drehimpuls auf den Neutronenstern statt, wodurch
dessen Rotation beschleunigt wird. Astronomen nennen solche Systeme auch
Röntgendoppelsterne. Der Begleitstern entwickelt sich schließlich zu einem Weißen
Zwerg, die Massenübertragung hört auf und der Neutronenstern wird zu einem
Millisekunden-Pulsar, der durch seine gepulsten Radiosignale beobachtbar wird.
Die Umlaufbahnen solcher Doppelsternsysteme haben eine sehr geringe
Exzentrizität, das heißt, sie umrunden sich auf nahezu perfekten Kreisbahnen.
Grund dafür dürfte der Massenübertrag zwischen den Sternen sein - eine
Vermutung, die sowohl durch theoretische Berechnungen als auch durch
Beobachtungen von Systemen in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung vom
Röntgendoppelstern zum Millisekunden-Pulsar bestätigt wird.
Neu gefundene Pulsare wie etwa PSR J1946+3417 lassen jedoch vermuten, dass es
auch andere Wege geben muss, die zur Entstehung von Millisekunden-Pulsaren
führen. PSR J1946+3417 gehört zu den 14 Pulsaren, die erst kürzlich mit dem
100-Meter-Radioteleskop Effelsberg entdeckt worden sind. Mit 315 Umdrehungen pro
Sekunde handelt es sich eindeutig um einen Millisekunden-Pulsar, aber die
Exzentrizität der Umlaufbahn ist vier Größenordnungen höher als bei anderen
Systemen mit vergleichbarer Umlaufperiode.
Die Masse des Begleitsterns liegt bei 0,24 Sonnenmassen; es ist also sehr
wahrscheinlich ein Weißer Zwerg mit Heliumkern. Interessanterweise sind fast zur
gleichen Zeit zwei weitere Systeme mit ganz ähnlichen Parametern entdeckt
worden, diesmal durch Beobachtungen mit dem 305-Meter-Radioteleskop in Arecibo.
Es ist durchaus möglich, dass diese Sternsysteme ihre Entwicklung als
Dreifachsterne begonnen haben, die schließlich dynamisch instabil wurden, wie
zum Beispiel bei PSR J1903+0327, dem ersten Millisekunden-Pulsar mit einer sehr
exzentrischen Umlaufbahn. Ein solcher Prozess sollte allerdings zu einer großen
Bandbreite von Umlaufperioden, Bahnexzentrizitäten und Begleitsternmassen
führen, ganz im Gegensatz zu den drei neu gefundenen Systemen, die sich in allen
Parametern sehr ähneln.
Ein jetzt vorgestelltes neue Entstehungsszenario vermutet den Kollaps eines
massereichen Weißen Zwergs, nachdem die Massenübertragung vom Begleitstern
aufgehört hat. Dabei werden Materie und Drehmoment von einem Begleitstern durch Akkretion nicht auf einen Neutronenstern, sondern auf einen massereichen Weißen
Zwergstern übertragen, der dadurch auf eine Gesamtmasse jenseits der für die
Sternentwicklung kritischen Chandrasekhar-Grenzmasse anwächst.
Allerdings wird dieser Stern dann nicht unmittelbar zu einem Neutronenstern
kollabieren, da er sehr schnell rotiert und die resultierenden Zentrifugalkräfte
ihn zunächst stabil halten. Erst nach Beendigung der Massenübertragung verliert
der Stern allmählich seine Rotationsenergie und wird schließlich direkt zu einem
Millisekunden-Pulsar, also einem extrem schnell rotierenden Neutronenstern, der
nicht erst durch zusätzliche Akkretion "nachbeschleunigt" werden muss. Die damit
verbundene Freisetzung von gravitativer Bindungsenergie führt zu den
exzentrischen Bahnen, die in solchen Systemen beobachtet werden. Sie erklärt
nicht nur die Ähnlichkeiten von Bahnexzentrizität und Masse des Begleitsterns,
sondern auch ihre absoluten Werte.
"Ich war schon überrascht, als wir uns die von unserem Modell vorhergesagten
Bahnperioden und Exzentrizitäten angesehen haben", sagt Thomas Tauris, der in
beiden Forschungsgruppen, "Sternphysik" am Argelander-Institut für Astronomie
und "Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Institut für
Radioastronomie, mitarbeitet. "Sie stimmen exakt mit den Beobachtungen überein.
Dadurch war mir klar, dass wir auf einer interessanten Spur sind, obwohl es noch
eine Stichprobe mit sehr wenigen Daten darstellt."
Die neue Theorie basiert auf umfangreichen Computermodellen, die unter der
Leitung von Tauris gerechnet wurden. Sie ermöglicht Vorhersagen für diese Art
von Doppelsternsystemen. Zum Beispiel sollten die Umlaufperioden zwischen 10 und
60 Tagen liegen, jedoch konzentriert auf den mittleren Bereich dazwischen. Und
das stimmt exakt mit den beobachteten Werten der drei neuen Systeme überein.
"Unser neuer Ansatz ist sehr elegant", sagt der Erstautor, Paulo Freire vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie. "Aber ob die Natur in der Tat
Millisekunden-Pulsare auf diese Art erzeugt, wissen wir damit natürlich noch
nicht."
In den nächsten Jahren wird das Pulsar-Team in der Forschungsgruppe
"Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Institut für
Radioastronomie in der Lage sein, die Vorhersagen des neuen Szenarios zu
überprüfen, speziell über optische Nachfolgebeobachtungen und präzise
Massenbestimmungen von Pulsaren und Begleitsternen. Sie werden ebenso versuchen,
weitere Systeme dieser Art mit dem Radioteleskop Effelsberg aufzuspüren.
"Das Schöne dabei ist, dass wir bei der Bestätigung unserer Theorie einiges
über Impuls und Massenverlust in Verbindung mit solchen Supernovae lernen
können, die erst durch Massenübertragung ausgelöst werden, oder auch über das
Innere von Neutronensternen. Es könnte einen sehr wichtigen Puzzlestein für
unser Verständnis von diesen Vorgängen darstellen", so Freire.
Über ihr Modell berichten die Astronomen in der Fachzeitschrift Monthly
Notices of the Royal Astronomical Society Letters.
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