Wie ein expandierendes Universum entsteht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der TU Wien astronews.com
10. Dezember 2013
Ein internationales Team von theoretischen Physikern hat
ausgerechnet, dass ein expandierendes Universum praktisch aus dem Nichts
entstehen kann - es muss sich allerdings drehen und die richtige Temperatur
haben. Für unser Universum dürfte dieses Geburtsszenario zwar nicht infrage
kommen, die Forscher erhoffen sich aber davon neue Einblicke in die Struktur von
Raum und Zeit.
Theoretische
Physiker haben ein "Kochrezept" für ein
expandierendes Universum gefunden - nur nicht für
unseres.
Bild: TU Wien |
Wenn man Suppe erhitzt, beginnt sie zu kochen. Wenn man Raum und Zeit
erhitzt, kann ein expandierendes Universum entstehen - ganz ohne Urknall. Diesen
Phasenübergang zwischen einem langweiligen leeren Raum und einem expandierenden
Universum, das Masse enthält, konnte ein internationales Forscherteam nun
berechnen. Grundlage ist ein bemerkenswerter Zusammenhang zwischen der
Quantenfeldtheorie und Einsteins Relativitätstheorie.
Aus dem Alltag kennt man "Phasenübergänge" nur von Stoffen, die zwischen
festem, flüssigem und gasförmigem Zustand wechseln. Allerdings können auch Raum
und Zeit selbst solche Übergänge durchmachen, wie die Physiker Stephen Hawking
und Don Page schon 1983 zeigten. Sie berechneten, dass aus leerem Raum bei einer
bestimmten Temperatur plötzlich ein Schwarzes Loch werden kann.
Lässt sich bei einem ähnlichen Prozess vielleicht auch ein ganzes Universum
erzeugen, das sich kontinuierlich ausdehnt, so wie unseres? Diese Frage stellte
sich Daniel Grumiller vom Institut für Theoretische Physik der Technischen
Universität Wien gemeinsam mit Kollegen aus Harvard, des Massachusetts
Institute of Technology (MIT) und der University of Edinburgh. Das
Ergebnis: Tatsächlich scheint es eine kritische Temperatur zu geben, bei der aus
einem völlig leeren, flachen Raum ein expandierendes Universum mit Masse wird.
"Die leere Raumzeit beginnt gewissermaßen zu kochen, es bilden sich Blasen,
eine von ihnen expandiert und nimmt schließlich die gesamte Raumzeit ein",
veranschaulicht Grumiller. Das Universum muss dabei rotieren - das Kochrezept
für ein expandierendes Universum lautet also: erhitzen und umrühren. Diese
Rotation kann dabei beliebig gering sein.
Bei den Berechnungen wurden vorerst nur zwei Raumdimensionen berücksichtigt.
"Es gibt aber nichts, was dagegen spricht, dass es in drei Raumdimensionen
genauso ist", so Grumiller. Unser eigenes Universum ist allerdings wohl nicht
auf diese Weise entstanden. So ist das Phasenübergangs-Modell auch nicht als
Konkurrenz zur Urknalltheorie gedacht: "In der Kosmologie weiß man heute sehr
viel über das frühe Universum - das zweifeln wir nicht an. Aber für uns ist die
Frage entscheidend, welche Phasenübergänge in Raum und Zeit möglich sind und wie
die mathematische Struktur der Raumzeit beschrieben werden kann", erklärt
Grumiller.
Die Theorie ist die logische Fortsetzung der sogenannten "AdS-CFT-Korrespondenz",
einer 1997 aufgestellten Vermutung, die seither die Forschung an den
fundamentalen Fragen der Physik stark beeinflusst hat: Sie beschreibt einen
merkwürdigen Zusammenhang zwischen Gravitationstheorien und Quantenfeldtheorien -
zwei Bereiche, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben
müssten. In bestimmten Grenzfällen, so sagt die AdS-CFT-Korrespondenz, lassen
sich Aussagen der Quantenfeldtheorie in Aussagen von Gravitationstheorien
überführen und umgekehrt.
Die Quantenfeldtheorie kommt dabei immer mit einer Dimension weniger aus als
die dazugehörige Gravitationstheorie – das bezeichnet man als "holographisches
Prinzip". Ähnlich wie ein zweidimensionales Hologramm ein dreidimensionales
Objekt darstellen kann, kann eine Quantenfeldtheorie mit zwei Raumdimensionen
eine physikalische Situation in drei Raumdimensionen beschreiben.
Die Gravitationstheorien müssen dafür allerdings in einer Raumzeit mit einer
exotischen Geometrie definiert werden - in sogenannten "Anti-de-Sitter-Räumen",
deren Geometrie von der flachen Geometrie unserer Alltagserfahrung deutlich
abweicht. Es wurde schon seit langem vermutet, dass es eine ähnliche Version
dieses "holographischen Zusammenhangs" auch für flache Raumzeiten geben könnte,
aber es mangelte bisher an konkreten Modellen, die diesen Zusammenhang belegten.
Letztes Jahr wurde von Grumiller und seinen Kollegen erstmals so ein Modell
aufgestellt - der Einfachheit halber in bloß zwei Raumdimensionen. Das führte
schließlich zur aktuellen Fragestellung: Dass es in den Quantenfeldtheorien
einen Phasenübergang gibt, wusste man. Doch das bedeutete, dass es aus
Konsistenzgründen auch auf der Gravitations-Seite einen Phasenübergang geben
muss.
"Das war zunächst ein Rätsel für uns", erinnert sich Grumiller. "Das würde
einen Phasenübergang zwischen einer leeren Raumzeit und einem expandierenden
Universum bedeuten, und das erschien uns zunächst äußerst unwahrscheinlich." Die
Rechenergebnisse zeigten dann aber, dass es genau diesen Übergang tatsächlich gibt.
"Wir beginnen erst, diese Zusammenhänge zu verstehen", so Daniel Grumiller.
Welche Erkenntnisse über unser eigenes Universum sich daraus ableiten lassen,
sei heute noch gar nicht absehbar.
Über ihre Berechnungen berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel,
der in der Zeitschrift Physical Review Letters erschienen ist.
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