"Was für eine tolle Wissenschaft!"
von Stefan Deiters astronews.com
26. September 2013
Mit einem fast dreistündigen Festakt hat die Astronomische
Gesellschaft gestern ihren 150. Geburtstag gefeiert. Unterhaltsam wurde dabei
auf die Entwicklung der AG zurückgeblickt, die auch die wechselvolle Geschichte
Deutschlands widerspiegelt. Der Präsident der Royal Astronomical Society
regte eine stärkere Zusammenarbeit an, um der Astronomie auch auf europäischer
Ebene eine gewichtigere Stimme zu verleihen.

Poster der
diesjährigen AG-Tagung in Tübingen.
Bild: AG / Universität Tübingen

Festvortrag im Hawaiihemd: Prof. Rolf-Peter
Kudritzki von der University of Hawaii.
Foto: Stefan Deiters |
Die Astronomische Gesellschaft in ihrer heutigen Form wurde während einer
Versammlung vom 27. bis 29. August 1863 in Heidelberg gegründet. Primäres Ziel
der Vereinigung war "die Förderung der Wissenschaft durch Ausführung solcher
Arbeiten, welche ein systematisches Zusammenarbeiten vieler erfordern".
Auch heute ist die internationale Kooperation ein entscheidender Faktor bei der
Realisierung astronomischer Großprojekte. Vor 150 Jahren aber bezog sich die
Zusammenarbeit im Wesentlichen auf die akribische Katalogisierung von einfachen
Eigenschaften wie Helligkeit und Position der damals beobachtbaren Sterne und
Nebel. Um was es sich bei diesen "Nebeln" allerdings handelte - nämlich in
vielen Fällen um weit entfernte Galaxien - wusste man damals noch nicht.
Die Astronomische Gesellschaft war in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung
die einzige größere internationale astronomische Vereinigung und spielte damals
in etwa die Rolle, die nach dem Ersten Weltkrieg die Internationale
Astronomische Union übernahm. Der verlorene Erste Weltkrieg stellt somit eine
wichtige Zäsur in der Geschichte der Astronomischen Gesellschaft dar, deren
Entwicklung und Bedeutung oft eng mit den politischen Geschehnissen in
Deutschland oder in den beiden deutschen Staaten zusammenhängt.
So wurden beispielsweise Ende der 1960er Jahre die AG-Mitglieder in der DDR von
ihrer Regierung zum Austritt aus der Vereinigung gezwungen, weil man die AG als
bundesrepublikanische Organisation ansah. Gleichzeitig konnte die Gesellschaft
in den ersten Jahren der deutschen Teilung, als die Astronomen aus der DDR noch
AG-Mitglieder waren, nur schwer die Aufgabe einer nationalen Interessensvertretung der
Astronomie gegenüber der Regierung der Bundesrepublik Deutschland oder auch
international wahrnehmen.
Zu diesem Zweck gründeten die bundesdeutschen Astronomen daher den "Rat
(west)deutscher Sternwarten", in dem die Direktoren astronomischer Institute der
Bundesrepublik vertreten waren. Von dem daraus resultierenden Bedeutungsverlust
der Astronomischen Gesellschaft hat sich die AG bis heute nicht wirklich erholt.
Im vergangenen Jahr wurde allerdings der "Rat deutscher Sternwarten" wieder in die AG
integriert.
In den letzten Jahrzehnten beschränkte sich die Rolle der AG im Wesentlichen auf
die Organisation von Tagungen, wie der gegenwärtig in Tübingen stattfindenden
Jahrestagung, und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Für
Doktoranden und junge Wissenschaftler sind die jährlichen AG-Tagungen noch immer
eine gute Gelegenheit, um erste Erfahrungen bei der Präsentation ihrer Arbeit zu
sammeln und Kontakt zu anderen Astronomen zu knüpfen.
Allerdings hat es die AG bislang nicht geschafft, in der
Öffentlichkeitswirksamkeit ihren Treffen eine ähnliche Bedeutung zu verleihen,
wie sie etwa die Treffen der britischen Royal Astronomical Society
(RAS) oder der American Astronomical Society haben. Diese Treffen
werden von Astronomen oft auch als Bühne zur Präsentation neuer Ergebnisse
genutzt, was sich etwa an der Vielzahl von Pressemitteilungen ablesen lässt, die
während dieser Zusammenkünfte herausgegeben werden. Die Tagungen der
Astronomischen Gesellschaft bleiben hingegen selbst von der interessierten Öffentlichkeit weitgehend
unbemerkt. Entsprechend unbekannt dürfte die Astronomische Gesellschaft dem
breiteren Publikum heute sein.
Von diesem relativen Bedeutungsverlust der Astronomischen Gesellschaft in den
vergangenen Jahrzehnten wollte man sich gestern aber die Feierlaune nicht
verderben lassen. Und mancher der anwesenden ehemaligen Präsidenten der AG wird
mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, dass der Präsident der Royal
Astronomical Society in London, Prof. Dr. David Southwood, in seinem
Grußwort die AG und die RAS als die zwei bedeutendsten Organisationen dieser Art
in Europa bezeichnete. Gleichzeitig wies Southwood darauf hin, dass inzwischen
auch für die Astronomie der Einfluss auf europäischer Ebene immer wichtiger
werde - ein Punkt, wo AG und RAS seiner Meinung nach zusammenarbeiten könnten.
In seinem Festvortrag "The Sky is the limit - not for us!" blickte Prof. Dr.
Rolf-Peter Kudritzki von der University of Hawaii auf die fantastischen
Fortschritte bei den Beobachtungstechniken in den vergangenen Jahrzehnten
zurück, die den Astronomen heute Möglichkeiten eröffnen, von denen man noch vor
50 Jahren nicht zu träumen wagte - geschweige denn bei der Gründung der AG vor
150 Jahren. Auch das 21. Jahrhundert würde für die Astronomie fantastische
Möglichkeiten bereithalten, so Kudritzki.
Doch um von der Astronomie fasziniert zu sein, bedarf es keiner großen und
teuren Instrumente: Kudritzki, der schon Beobachtungen an allen großen
Teleskopen der Welt gemacht hat, berichtete von dem überwältigenden Gefühl, das
ihn überkam, als er nach vielen Jahren erstmals wieder von seinem Garten aus mit
einem kleinen Amateurteleskop den Orionnebel betrachtete und resümierte: "Was
für eine tolle Wissenschaft!"
Aber nicht nur professionelle Astronomen blicken heute in den Himmel. Seit
gestern besitzt ein weiterer astronomiebegeisterter Amateur ein eigenes kleines
Teleskop: Die Organisatoren der Tübinger Tagung hatten nämlich in Zusammenarbeit mit der
örtlichen Zeitung einen Wettbewerb zur Gestaltung des Tagungsplakats
ausgeschrieben. Der Sieger, Frank-Michael Urban, bekam auf der Festveranstaltung
nicht nur "sein" eingerahmtes Plakat überreicht, sondern als Preis auch ein
modernes Amateurteleskop. Den anwesenden Institutsleitern versicherte er
anschließend: "Sollte ich damit irgendetwas entdecken, was Sie noch nicht
kennen, werde ich Sie benachrichtigen."
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