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Wie genau unsere Milchstraße für einen außergalaktischen Betrachter aussehen würde, ist nicht so leicht zu beantworten. Es ist nämlich relativ schwierig, etwa über die Struktur unserer Heimatgalaxie zu erfahren, da wir Teil dieser Galaxie sind. Durch sorgfältige Beobachtungen gelang es Astronomen jetzt aber, das Aussehen des Zentralbereichs zu ermitteln - er ähnelt in gewisser Weise einer Erdnuss.
Der Zentralbereich der Milchstraße, der sogenannte Bulge, gehört mit zu den wichtigsten und massereichsten Bestandteilen unserer Heimatgalaxie. Diese gewaltige Ansammlung von rund zehn Milliarden Sternen erstreckt sich über mehrere Tausend Lichtjahre. Über die genaue Struktur, die Entstehung und die Entwicklung dieses Bulges wissen Astronomen aber bislang relativ wenig. Der Grund dafür ist einfach: Während wir bei anderen Galaxien oft einen guten Blick auf ihre Struktur haben und sie in ihrer Gesamtheit studieren können, sieht dies im Falle der Milchstraße anders aus: Da wir Teil der Milchstraße sind, müssen wir uns ihr Aussehen durch mühevolle Messungen der Entfernungen und der Bewegungen ihrer einzelnen Sterne und Komponenten erst erschließen. Hinzu kommt, dass uns der Blick auf bestimmte Bereiche unserer Heimatgalaxie durch dichte Wolken aus Gas und Staub verwehrt ist. Dies trifft insbesondere auf die rund 27.000 Lichtjahre entfernte Zentralregion der Milchstraße zu. Im optischen Bereich des Lichts ist hier nur sehr schwer etwas zu erkennen. Astronomen müssen daher auf andere Wellenlängenbereiche ausweichen, die die Staubwolken durchdringen können, etwa ins Infrarote. Bereits frühere Beobachtungen im Infraroten, die im Rahmen der Durchmusterung 2MASS durchgeführt wurden, hatten Hinweise darauf geliefert, dass der Bulge der Milchstraße nicht etwa eine kugelähnliche Form hat, sondern eher X-förmig ist. Zwei Teams von Astronomen nutzten nun die Daten von verschiedenen Teleskopen der europäischen Südsternwarte ESO, um das Aussehen dieser Region genauer zu untersuchen.
Eine Gruppe vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching stützte sich bei ihrer Studie auf Daten, die im Rahmen der Durchmusterung VISTA Variables in the Via Lactea mithilfe des Teleskops VISTA auf dem Gipfel des Paranal in Chile gewonnen wurden. Die Daten dieser Himmelsdurchmusterung stehen im Archiv der ESO allen Wissenschaftlern zur Verfügung. Im Vergleich zu früheren Durchmusterungen, die den galaktischen Bulge umfassten, lassen sich in dieser Durchmusterung 30-mal lichtschwächere Sterne erkennen. So gelang es den Wissenschaftlern insgesamt 22 Millionen Sterne im Bulge zu identifizieren, die zu einer bestimmten Klasse von Roten Riesensternen gehören. Sie dienten den Astronomen als sogenannte Standardkerzen, also als Objekte, deren Helligkeit man sehr genau kennt. Dies ermöglicht dann die Berechnung ihrer Entfernung. "Die Tiefe des VISTA-Sternenkatalogs übertrifft die von früheren Arbeiten bei Weitem, so dass wir mit Ausnahme der am meisten durch Staub verdeckten Regionen die gesamte Population dieser Sterne entdecken konnten", erklärt Christopher Wegg vom MPE. "Von der Verteilung dieser Sterne konnten wir dann eine dreidimensionale Karte des galaktischen Bulges erstellen. Es ist das erste Mal, dass dies gemacht wurde, ohne zuvor ein Modell für die Form des Bulges anzunehmen." "Wir haben festgestellt, dass die innere Region unserer Galaxie von der Seite wie eine Erdnuss eingehüllt in ihre Schale aussieht, von oben dagegen wie ein langgezogener Balken", ergänzt Ortwin Gerhard vom MPE. "Erstmals können wir dies in unserer Milchstraße so deutlich erkennen. Simulationen unserer Arbeitsgruppe und anderer Gruppen deuten zudem darauf hin, dass diese Form charakteristisch für Galaxien mit einer Balkenstruktur ist, die ihre Entwicklung als reine Scheibe aus Sternen begonnen haben." Astronomen klassifizieren unsere Milchstraße als sogenannte Balkenspiralgalaxie. Der Bulge im Zentrum hat - von "oben" betrachtet - eine balkenähnliche Form. Vom Ende des Balkens gehen dann die Spiralarme aus. Auf diese Struktur hatten schon Beobachtungen mit dem Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer vor einigen Jahren hingedeutet (astronews.com berichtete). Ein zweites internationales Astronomenteam um Sergio Vásquez von der Pontificia Universidad Católica de Chile und der ESO in Santiago de Chile hat die Struktur des galaktischen Bulges mit einer anderen Methode untersucht: Die Astronomen verglichen Aufnahmen der Zentralregion, die in einem Abstand von elf Jahren mit dem 2,2-Meter-MPG/ESO-Teleskop in La Silla gemacht wurden und bestimmten daraus, wie weit sich die Bulge-Sterne in dieser Zeit am Himmel bewegt hatten. Diese Daten kombinierten die Wissenschaftler dann mit Messungen der Bewegung dieser Sterne in Richtung der Erde oder von der Erde weg. Auf diese Weise erhielten sie Informationen über deren Bewegung in drei Dimensionen - und dies für über 400 Sterne im Zentralbereich der Milchstraße. "Es ist das erste Mal, dass für eine so große Zahl von Sternen auf beiden Seiten des Bulges Geschwindigkeiten in drei Dimensionen ermittelt werden konnten", erläutert Vásquez. "Die Sterne, die wir beobachten haben, scheinen sich entlang der Arme des X-förmigen Bulges zu bewegen, während ihre Umlaufbahnen sie auf und ab und aus der Ebene der Milchstraße heraus führen. Das passt alles sehr gut zu den Vorhersagen aktueller Modelle." Astronomen gehen heute davon aus, dass die Milchstraße einst lediglich aus einer Scheibe aus Sternen bestand, in deren Zentrum sich vor vielen Milliarden Jahren ein flacher Balken ausbildete. Der innere Bereich dieses Balkens hat sich schließlich gekrümmt, so dass die heute zu beobachtende Struktur entstanden ist. Die Astronomenteams berichten über ihre Untersuchung in Fachartikeln in der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society und Astronomy & Astrophysics.
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