Das Geheimnis der erloschenen Galaxien
von Stefan Deiters astronews.com
2. August 2013
Wenn Galaxien älter werden, kommt zu einem bestimmten
Zeitpunkt die Sternentstehung zum Erliegen. Weit entfernte Systeme dieser Art
sind allerdings deutlich kleiner als vergleichbare Galaxien in unserer Umgebung.
Doch wie konnten die Galaxien ohne Sternentstehung weiter anwachsen? Die
Auswertung von Hubble-Daten liefert jetzt eine erstaunlich einfache
Antwort.

Eine Auswahl von erloschenen Galaxien in der
COSMOS-Durchmusterung.
Bild: NASA, ESA, M. Carollo (ETH Zürich) [vergrößerte
Gesamtansicht] |
Galaxien können nicht dauerhaft neue Sterne erzeugen, denn irgendwann ist das
Material, aus dem junge Sonnen entstehen, erschöpft. Die Galaxien stellen dann
ihre Sternentstehung ein. Astronomen bezeichnen solche Galaxien als "erloschen".
Allerdings hat man festgestellt, dass erloschene Galaxien in größerer
Entfernung, also in der Vergangenheit, deutlich kleiner sind als erloschene
Galaxien in unserer Nachbarschaft und damit in der Gegenwart.
Doch wenn es sich bei diesen entfernten Galaxien um die Vorläufer der
heutigen erloschenen Galaxien handelt, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie
diese Galaxien weiter wachsen konnten, wenn in ihnen doch keine Sterne mehr
entstehen? Die Auswertung von Daten der umfangreichen Himmelsdurchmusterung
COSMOS mit dem Weltraumteleskop Hubble lieferte auf diese Frage
nun eine erstaunlich einfache Antwort.
Bislang hatte man vermutet, dass die größeren erloschenen Galaxien in unserer
Umgebung durch Kollisionen und Verschmelzungen zahlreicher kleinerer erloschener
Galaxien entstand sind. Allerdings würde man für dieses Szenario eine große
Menge an kleinen erloschenen Galaxien benötigen, die man jedoch bislang nicht
entdeckt hat.
Ein Grund dafür war, dass man diese speziellen Systeme gar nicht in
ausreichender Zahl untersuchen konnte, um irgendwelche sicheren Aussagen über
ihre Entwicklung machen zu können. Das hat sich jetzt, dank der Auswertung von
der Daten der COSMOS-Himmelsdurchmusterung geändert. Für COSMOS
standen fast 1.000 Stunden Beobachtungszeit mit der Advanced Camera for
Surveys zur Verfügung. Die Daten erlaubten eine Zählung der erloschenen
Galaxien in den vergangenen acht Milliarden Jahren der Entwicklung des
Universums.
"Das augenscheinliche Wachstum der erloschenen Galaxien war für einige Jahre
eines der größten Rätsel der Galaxienentwicklung", erläutert Marcella Carollo
von der ETH Zürich in der Schweiz, die auch Erstautorin eines Fachartikels über
die Untersuchung ist, der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal
erscheint. "Keine bisherige Durchmusterung war umfangreich genug, um eine sehr
große Anzahl von Galaxien auf genau die gleiche Weise zu untersuchen - bis zur
COSMOS-Durchmusterung von Hubble", ergänzt Kollege Nick
Scoville vom California Institute of Technology in den USA.
Die COSMOS-Daten ergänzten die Astronomen mit weiteren Beobachtungen
des Canada-France-Hawaii Telescope und des Subaru-Teleskops
auf Hawaii. Die überraschende Erkenntnis ihrer Untersuchung: Die erloschenen
Galaxien waren zu einer Zeit, in der das Universum weniger als die Hälfte seines
heutigen Alters hatte, klein und kompakt - und haben sich im Grunde genommen
seit damals nicht verändert. Doch wie erklärt man dann die größeren erloschenen
Galaxien in unserer Nachbarschaft?
"Wir haben entdeckt, dass eine beträchtliche Zahl größerer Galaxien zu einem
späteren Zeitpunkt erlischt", erklärt Simon Lilly von der ETH Zürich. "Diese
mischen sich unter die kleineren erloschenen Galaxien. So entsteht das falsche
Bild, dass individuelle erloschene Galaxien im Laufe der Zeit weiter wachsen."
Und Alvio Renzini von der Sternwarte im italienischen Padua ergänzt: "Das ist
vergleichbar mit der Betrachtung der mittleren Größe von Wohnungen in einer
Stadt, die nicht dadurch anwächst, dass an alte Wohnungen neue Räume angebaut
werden, sondern weil neue, größere Wohnungen entstehen."
Den Astronomen liefern die neuen Erkenntnisse auch einen interessanten
Einblick in die Geschichte der Galaxienentwicklung in den vergangenen acht
Milliarden Jahren. Man wusste bereits, dass Galaxien mit aktiver Sternentstehung
im jungen Universum in der Regel kleiner sind, was auch erklärt, warum sie
kleiner waren, als die Sternentstehung in ihnen erloschen ist. "Unsere
Untersuchung bietet eine erstaunlich einfache und auch einleuchtende Erklärung
dieses Rätsels", freut sich Carollo. "Es ist immer wieder sehr befriedigend zu
sehen, wie einfach die Natur funktioniert, selbst in einem scheinbar sehr
komplexen Umfeld".
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