Ein Neutronenstern tritt auf die Bremse
von Stefan Deiters astronews.com
30. Mai 2013
Mithilfe des NASA-Satelliten Swift haben Astronomen
ein neues Phänomen bei einem schnell rotierenden Neutronenstern beobachtet: Das
kompakte Objekt verlangsamte abrupt seine Drehung um die eigene Achse.
Bislang hatte man bei solchen Sternen lediglich eine plötzliche Zunahme der
Eigenrotation registrieren können. Das neue Phänomen könnte etwas über den
Aufbau dieser Objekte verraten.

So stellt sich ein Künstler einen Magnetar
während eines Ausbruchs vor.
Bild:
NASA Goddard Space Flight Center |
Neutronensterne sind die kompakten Überreste von massereichen Sternen, deren
Brennstoff erschöpft war und die anschließend unter ihrer eigenen Masse
kollabiert sind. Solche Objekte können sich ungeheuer schnell um die eigene
Achse drehen und zudem auch über ein Magnetfeld verfügen, das rund eine
Billionen Mal stärker ist als das der Erde. Sie sind so kompakt, dass schon ein
Teelöffel voll Neutronensternmaterial auf der Erde rund eine Milliarde Tonnen
wiegen würde.
Der mithilfe des NASA-Satelliten Swift beobachtete Neutronenstern
mit der Bezeichnung 1E 2259+586 befindet sich rund 10.000 Lichtjahre von der
Erde entfernt im Sternbild Kassiopeia. Er gehört zu einer kleinen Gruppe von
Neutronensternen, die ein besonders starkes Magnetfeld aufweisen und
gelegentlich helle Ausbrüche zeigen. Man nennt solche Objekte auch Magnetare.
Beobachtungen in der Zeit vom Juli 2011 bis Mitte April 2012 hatten ergeben,
dass die Rotation des Magnetars, der sich in etwa sieben Sekunden einmal um die
eigene Achse dreht, ganz langsam, aber gleichmäßig abnimmt. Am 28. April 2012
jedoch zeigten die Daten, dass die Eigendrehung abrupt weiter zurückgegangen
war, wenn auch nur um einen kaum vorstellbar geringen Betrag: den
2,2-millionsten Teil einer Sekunde. In der Folgezeit schien sich die Abbremsung
des Magnetars weiter beschleunigt zu haben.
"Astronomen haben schon Hunderte von Ereignissen, sogenannte Glitches,
beobachtet, durch die die Umdrehungsgeschwindigkeit eines Neutronensterns
plötzlich zugenommen hat", erläutert Victoria Kaspi von der McGill
University im kanadischen Montreal die Besonderheit der Beobachtung. "Doch
diese plötzliche Abbremsung hat uns vollkommen überrascht."
Die Forscher haben das Phänomen inzwischen "Anti-Glitch" getauft. "Es hat den
Magnetar in der genau entgegengesetzten Weise beeinflusst wie jeder klar
identifizierbare Glitch, den man bei Neutronensternen bislang beobachtet
hat", erklärt Neil Gehrels, der verantwortliche Wissenschaftler für Swift
am Goddard Space Flight Center der NASA.
Die Beobachtung, über die die Astronomen heute in der
Wissenschaftszeitschrift Nature berichten, könnte wichtig sein, um die
physikalischen Eigenschaften von Neutronensternen besser zu verstehen. Die
Materie im Inneren dieser Objekte kann erheblich dichter gepackt sein als in
Atomkernen und ein exotisches Verhalten zeigen. In Neutronensternen herrschen
Bedingungen, die sich in keinem irdischen Labor reproduzieren lassen.
Mit der aktuellen Theorie über den Aufbau von Neutronensternen konnte man das
regelmäßige Auftreten der beschleunigenden "Glitches" ganz passabel erklären.
Die Beobachtung eines "Anti-Glitches" jedoch stellt dieses Modell nun vor ganz
neue Herausforderungen.
Am 21. April 2012 - und damit nur eine Woche vor der plötzlichen Abbremsung -
wurde mit dem Gamma-ray Burst Monitor an Bord des
Gammastrahlenteleskops Fermi von 1E 2259+586 ein intensiver Blitz im
Röntgenbereich registriert, der nur 36 Millisekunden dauerte. Er könnte ein
Hinweis auf die Veränderungen im Inneren des Sterns gewesen sein, die
schließlich zu der Abbremsung führten.
"Was an dieser Beobachtung wirklich bemerkenswert ist, ist die Kombination
aus der abrupten Abbremsung des Magnetars, dem Röntgenstrahlenausbruch und der
Tatsache, dass sich die Verringerung der Rotation seitdem beschleunigt hat",
fasst Robert Archibald zusammen, ein Doktorand an der McGill University
und Erstautor des Fachartikel.
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