Blinde Passagiere auf Raumsonden
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Leibniz-Instituts DSMZ astronews.com
31. Januar 2013
Wer mit Sonden nach fremdem Leben auf anderen Planeten und
Monden suchen will, muss aufpassen, dass er dabei nicht Bakterien von der Erde
mitbringt. Raumfahrzeuge werden deswegen in Reinräumen zusammengesetzt, doch
kann es auch dort Bakterien geben. Jetzt wurde eine Sammlung von besonders
widerstandsfähigen Exemplaren vorgestellt, die in verschiedenen Reinräumen
gesammelt worden waren.
Mikrobiologische Probenahme am Weltraumteleskop
Herschel.
Foto: ESA/DLR |
Bakterien sind allgegenwärtig und zum Teil wahre Überlebenskünstler. Das
stellt Weltraummissionen vor besondere Herausforderungen. Die Raumfahrzeuge, die
ins All und zu Monden und Planeten geschickt werden, sollen so sauber und
keimfrei wie möglich sein, um die Suche nach außerirdischem Leben nicht zu
erschweren oder sogar unmöglich zu machen. Raumsonden werden deshalb in
sogenannten "Reinräumen" unter strengen Biokontaminationskontrollen
zusammengebaut.
Trotzdem gibt es Mikroorganismen, die mit den dort herrschenden extremen
Bedingungen, wie Trockenheit, Nahrungsmangel oder Desinfektionsmitteln sehr gut
umgehen können. Wissenschaftler erfassen deswegen die mikrobielle Artenvielfalt
in den Reinräumen und auf den Oberflächen der Raumfahrzeuge. Das Leibniz
Institut DSMZ - Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH
bietet jetzt mit der europäischen Weltraumorganisation ESA die erste öffentliche
Stammsammlung von extremotoleranten, also sehr widerstandsfähigen Bakterien an.
Die Sammlung stellt eine wichtige Ressource für Forschungsinstitute und die
Industrie dar, um Anpassungsmechanismen von Bakterien - also die Resistenz
gegenüber Hitze, UV-Strahlung, ionisierende Strahlung, Austrocknung,
Desinfektionsmitteln - zu untersuchen. Über die Sammlung berichten die Forscher
in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Astrobiology.
"Für jede Weltraummission ist eine maximal erlaubte biologische Belastung
definiert", erläutert Dr. Rüdiger Pukall, Mikrobiologe an der DSMZ. "Man spricht
dabei in der Raumfahrt von 'Planetary Protection'. Unter diesem Begriff werden
alle Maßnahmen zusammengefasst, die verhindern sollen, dass terrestrische
Lebensformen, wie etwa Mikroorganismen, im Rahmen von interplanetaren
Raumfahrtmissionen Planeten und andere Himmelskörper kontaminieren. Als wichtige
Kontrollfunktion wird die Artenvielfalt der mikrobiellen Gemeinschaften auf den
Materialien der Weltraumfahrzeuge oder ihrer Umgebung, in den sogenannten
'Reinräumen' in denen sie gefertigt werden, analysiert. Ziel ist es dabei,
passende Dekontaminationsstrategien zu entwickeln, sonst startet man mit blinden
Passagieren zur nächsten Marsmission."
So wurde beispielsweise auch der Zusammenbau des Weltraumteleskops
Herschel in den Jahren 2007 bis 2009 von Mikrobiologen des
Leibniz-Instituts DSMZ, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und
der Universität Regensburg begleitet, um eine erste Vorstellung zur
Biodiversität in Reinräumen der Raumfahrtindustrie zu erhalten. Die Fertigung
des Raumfahrzeugs verlief über verschiedene Stationen rund um den Globus in
Reinräumen in Friedrichshafen, Noordwijk und im europäischen Weltraumbahnhof
Kourou in Französisch Guayana.
"In den Reinräumen besteht ein besonders extremes Biotop für mikrobielle
Überlebenskünstler", weiß Pukall. "Die nährstoffarme Umgebung, kontrollierte
Feuchtigkeit und Temperatur sowie die Luftfilterung und die häufigen
Dekontaminationen der Oberflächen schaffen einen besonderen Lebensraum für
sporenbildende, autotrophe, multiresistente, fakultativ oder obligat anaerobe
Bakterien."
Auch die Probenahme der Bakterien in den Reinräumen stellte die Forscher vor
besondere Herausforderungen. "Um keine fremden Keime oder Verschmutzungen
einzubringen, arbeiten die Mikrobiologen in Schutzanzügen mit Mundschutz",
berichtet Pukall. "Mit speziellen Tupfern oder Wischtüchern wurden die Proben
zum Beispiel von verschiedenen Bauteilen des Weltraumtelekops Herschel und
seiner Umgebung nach strengen Standardprotokollen der ESA genommen, damit so
viele Bakterienarten wie möglich erfasst werden. Später isolierten die Kollegen
der Universität Regensburg und des DLR in Köln die Kulturen mit verschiedenen
Kultivierungsstrategien."
Das DSMZ-Team um Pukall in Braunschweig identifizierte anschließend die
Bakterienstämme mittels einer Sequenzanalyse des 16S rRNA Gens. Die Bakterien
wurden langzeitkonserviert, also gefriergetrocknet und in flüssigem Stickstoff
eingelagert. Nicht kultivierbare Bakterien wurden nach Extraktion der gesamten
genomischen DNA aus den Proben ebenfalls über Sequenzierung identifiziert.
Der Kern dieser besonderen Sammlung potentieller blinder Passagiere besteht
aus etwa 300 Bakterienstämmen, die aus den Reinräumen isoliert wurden. Kürzlich
konnte die ESA Stammsammlung um weitere 60 Isolate ergänzt werden. Diese stammen
ursprünglich von Probenahmen aus den Jahren 2003 und 2004, die bei den Missionen
SMART-1, einer Mondsonde mit Ionenantrieb, und Rosetta, einer Mission zur
Erforschung eines Kometen in Noordwijk und Kourou durchgeführt worden sind.
Weitere fünf Reinraumisolate wurden vom Jet Propulsion Laboratory der
NASA zur Verfügung gestellt.
Etwa 30 Prozent der Mikroben in der ESA-Sammlung sind bisher auch noch
unbekannt und werden nun für Forschungszwecke bereitgestellt. Einige wurden erst
vor kurzem beschrieben wie etwa Paenibacillus purispatii oder Tersicoccus
phoenicis, ein Vertreter einer neuen bakteriellen Gattung.
Die Sammlung von extremotoleranten Mikroben, die an das komplizierte
künstliche Biotop der Reinräume angepasst ist, bietet eine sehr wertvolle und
nützliche Quelle für die Industrie und Forschung. Für die ESA ist diese Sammlung
ein essentielles Hilfsmittel, um das Biokontaminationspotential von Reinräumen
einzuschätzen und um neue biologische Kontaminationskontrollen und
Desinfektionsstrategien zu überprüfen. In den nächsten drei Jahren soll die
Sammlung um weitere extremotolerante Bakterienisolate ergänzt werden, die für
Industrie und Forschung von Interesse sein könnten.
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