Der lange Plasmaschweif der Venus
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
29. Januar 2013
Dank der europäischen Venus-Sonde Venus Express
sind Wissenschaftler Zeuge eines faszinierenden Phänomens geworden: Bei nur sehr
schwachem Sonnenwind dehnt sich die Ionosphäre unseres Nachbarplaneten
schweifartig ins All aus. Die Forscher halten es sogar für möglich, dass auf
diese Weise Partikel von einem Planeten zum anderen wandern können.

Unter normalen
Bedingungen umgibt die Ionosphäre die Venus in
150 bis 300 Kilometern Höhe. Die induzierten
Magnetfelder (angedeutet durch die gelben Linien)
halten sie dort fest.
Bild: ESA / Wei et al. (2012)

Bei sehr schwachem Sonnenwind kann sich die
Ionosphäre ausdehnen. An der Nachtseite entsteht
dadurch eine Art Plasmaschweif.
Bild: ESA / Wei et al. (2012) |
Die Hülle aus Elektronen und Ionen, welche die Venus in 150 bis 300
Kilometern Höhe umgibt, kann sich in Ausnahmefällen an ihrer sonnenabgewandten
Seite schweifartig ins Weltall ausdehnen. Zu dieser seltenen Verformung kommt
es, wenn der Sonnenwind, der Strom geladener Teilchen von der Sonne, nahezu
abbricht. Wissenschaftler unter Leitung des Max-Planck-Instituts für
Sonnensystemforschung (MPS) konnten ein solches Ereignis mit Hilfe der
Instrumente an Bord der ESA-Raumsonde Venus Express erstmals genau
untersuchen und nun auswerten. Die Ergebnisse könnten helfen zu verstehen, ob im
Sonnensystem Teilchen von einem Planeten zu einem anderen "wandern" können -
etwa von der Venus zur benachbarten Erde.
Am 3. und 4. August 2010 hielt die Sonne quasi den Atem an: Nach mehreren
heftigen Teilchenausbrüchen kam der Sonnenwind, der kontinuierliche Strom aus
Elektronen und Protonen von der Sonne, etwa 18 Stunden lang fast zum Erliegen.
Die Venus, nach Merkur der sonnennächste Planet, erreichten in dieser Phase nur
noch 0,2 Teilchen pro Kubikzentimeter. An gewöhnlichen Tagen sind es etwa 25 bis
50 Mal so viele.
"Phasen mit solch schwachem Sonnenwind kommen selten aber immer wieder vor",
erklärt Dr. Markus Fränz vom MPS. "Allerdings war das Ereignis im August 2010
das erste dieser Art seit dem Start der Raumsonde Venus Express vor
etwa sieben Jahren", fügt er hinzu. Dank der stark elliptischen Umlaufbahn der
Sonde um den Planeten bot sich den Forschern so die Gelegenheit zu untersuchen,
welche Prozesse der schwache Sonnenwind in der Atmosphäre der Venus auslöst.
Wie auch die Erde ist die Venus von einer so genannten Ionosphäre, einer
Hülle aus Elektronen und Ionen, umgeben. Wissenschaftler bezeichnen dies als
Plasma. Es entsteht, wenn extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht und
Röntgenstrahlung von der Sonne an der Tagseite der Planeten auf die äußersten
Schichten der Atmosphäre treffen. Auf der Erde hält das starke Magnetfeld die
Teilchen gefangen. Sie rotieren deshalb im Gleichtakt mit der Erde (und ihrem
Magnetfeld) um die Erdachse - und erreichen so auch die Nachtseite. Auf diese
Weise entsteht eine Hülle aus geladenen Teilchen, welche die Erde vollständig
umschließt.
"Auf der Venus ist dies völlig anders", erklärt Dr. Yong Wei vom MPS,
Erstautor der neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Planetary and Space
Science erschienen ist. "Unserem Schwesterplaneten fehlt nicht nur das
eigene Magnetfeld. Auch die Drehung um die eigene Achse vollzieht sich hier
deutlich langsamer", ergänzt er. Für eine Umdrehung benötigt die Venus etwas
mehr als 224 Erdentage. Dennoch lässt sich auch auf der Nachtseite der Venus
eine Ionosphäre beobachten. "Messungen älterer Sonden hatten gezeigt, dass
Elektronen und Ionen (im Fall der Venus hauptsächlich Sauerstoff-Ionen) von der
Tag- zur Nachtseite strömen," so Fränz. Motor dieser Bewegung ist der hohe
Plasmadruck an der Tagseite. Ähnlich wie ein komprimiertes Gas, das aus einer
Druckflasche befreit wird, strömt das Plasma aus dem Gebiet mit hohem Druck in
ein Gebiet mit geringerem Druck.
Mithilfe des Magnetometers MAG und des Instrumentes ASPERA-4 (Analyzer of
Space Plasmas and Energetic Atoms) an Bord der Raumsonde Venus Express
konnten sich die Forscher nun ein genaueres Bild dieser Vorgänge machen. Es
zeigte sich, dass bei fehlendem Sonnenwind die Ionosphäre der Venus nicht
magnetisiert wird. Unter normalen Bedingungen binden diese induzierten
Magnetfelder die geladenen Teilchen der Ionosphäre in Planetennähe. Bei
schwachem Sonnenwind hingegen, kann sich die Ionosphäre in der Übergangsregion
zwischen Tag- und Nachtseite ausdehnen.
"Die geladenen Teilchen können so einfacher und deshalb in größerer Zahl zur
Nachtseite gelangen", erklärt Fränz. Dort bildet sich auf diese Weise eine Art
Plasmaballon, der sich schweifartig ins All erstreckt. Die gesamte Ionosphäre
erhält so eine tropfenförmige Gestalt. Die neuen Messungen belegen, dass der
Plasmaschweif etwa 15.000 Kilometer weit in den Weltraum ragt. "Er könnte aber
auch deutlich länger sein und sich möglicherweise sogar über Millionen von
Kilometern erstrecken", sagt Wei.
Die Flugroute während der Messungen führte die Raumsonde jedoch nicht direkt
hinter die Venus, so dass sich diese Frage nicht abschließend klären lässt. Auch
ob sich die Ionosphäre der Venus auf diese Weise prinzipiell sogar bis zur Erde
ausdehnen könnte, ist unklar. 1996 konnten MPS-Forscher Venusplasma in Erdnähe
nachweisen. Dafür werteten sie Messdaten der Raumsonde SOHO aus, die im
Gleichtakt mit der Erde um die Sonne kreist. Möglicherweise bietet der jetzt
beobachtete Mechanismus eine Erklärung für solche Ereignisse. "Vielleicht bieten
Phasen extrem schwachen Sonnenwinds planetaren Teilchen die Möglichkeit, von den
sonnennahen Planeten zu weiter außen gelegenen zu wandern", so Wei.
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