Der Salzhaushalt von Mars-Astronauten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
15. Januar 2013
Im Rahmen der Mission Mars500 hat man 2010 und 2011
versucht, in speziellen Modulen in einem Moskauer Institut einen Marsflug zu
simulieren, um dessen Folgen auf die Besatzung zu erforschen. Das Programm
ermöglichte Medizinern aber auch ganz neue Untersuchungen, die teils unerwartete
Ergebnisse hatten, wie eine unlängst vorgestellte Studie über den Salzhaushalt
der Teilnehmer zeigt.

Vom Frühstück bis zum Abendbrot:
Das erste Jahr erhielten die "Astronauten" der Mars500-Mission einen
festgelegten Speiseplan, in dem der
Kochsalzgehalt kontinuierlich reduziert wurde.
Foto: ESA / DLR |
205 Tage lang verordnete Jens Titze, Professor für Elektrolyt- und
Kreislaufforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, mit seinem Team den
Mars500-Probanden 2011 während des virtuellen Flugs zum Mars einen strengen
Speiseplan. Mal gab es viel, mal gab es wenig Salz in den ausgewählten
Nahrungsmitteln.
Das unerwartete Ergebnis der bisher längsten Natrium-Stoffwechselstudie: Die
Annahme der Ärzte, der menschliche Körper würde das Speisesalz innerhalb von 24
Stunden wieder ausscheiden, stimmt nicht. Stattdessen speichert der Mensch das
Salz über einen längeren Zeitraum hinweg und gibt es dann wieder frei - für die
medizinische Untersuchung und Betreuung von Patienten eine wichtige Erkenntnis.
"Wir waren sehr überrascht, dass der Körper beim Salzhaushalt einem
mehrtägigen Biorhythmus folgt. Die in unserer täglichen Praxis übliche
24-Stunden-Urinuntersuchung reicht anscheinend nicht aus, um sicher abschätzen
zu können, wie viel Salz ein Mensch gegessen hat", sagt Titze. Titzes
Untersuchung gehört zu den elf deutschen Experimenten, die durch das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert werden. Die Ergebnisse der
Studie wurden in der Fachzeitschrift Cell Metabolism veröffentlicht.
"Das ist ein kritischer Befund, weil das grundsätzliche Verständnis des
Salzhaushalts in der Medizin auf der Idee beruht, dass das Salz in unserer
Nahrung sehr rasch über den Urin ausgeschieden wird. Dadurch soll der Salzgehalt
des Körpers immer konstant gehalten werden, um so den Blutdruck zu
kontrollieren", erläutert Titze. "Jetzt finden wir bei Mars500 heraus,
dass der Mensch stattdessen ganz unabhängig von der Nahrungszufuhr über Wochen
und Monate rhythmisch Salz einlagert und wieder freigibt - ganz ohne Änderung
des Blutdrucks." Bereits in den 1990er Jahren wurden erste Isolationsexperimente
zu diesem Thema durchgeführt - deren Annahmen finden jetzt durch Mars500
ihre Bestätigung.
Um diesen unerwarteten Rhythmen auf die Spur zu kommen, mussten die Probanden
jeden Tag einen genau vorgeschriebenen Speiseplan befolgen, jeden Tag 24 Stunden
den Urin sammeln - und das über Monate hinweg. Bereits 2009 hatte Titze während
des Vorläuferexperiments, bei dem Probanden 105 Tage in Isolation verbrachten,
Daten gesammelt. Neben den Europäern Oliver Knickel, Cyrille Fournier, Diego
Urbina und Romain Charles beteiligten sich auch fünf Russen und ein Chinese an
dem deutschen Experiment. "Wir sind den Probanden sehr dankbar, dass sie so
diszipliniert und genau mitgearbeitet haben", betont Titze.
Bisher hatten Mediziner nicht die Möglichkeit, den Salzhaushalt eines
Menschen über einen längeren Zeitraum exakt zu untersuchen. "Unter
Alltagsbedingungen kann überhaupt nicht erfasst werden, wie viel Salz ein Mensch
über Wochen und Monate zu sich genommen hat." Im simulierten Raumschiff der
Mars500-Crew hingegen kannten und kontrollierten Titze und sein Team um
Natalia Rakova, Kathrin Jüttner und Friedrich Luft die Lebensbedingungen der
Probanden. "Wir konnten alle anderen Komponenten konstant halten und veränderten
nur den Salzgehalt der Nahrung." Mit zunehmender Dauer des Experiments
reduzierten die Wissenschaftler die Kochsalzzufuhr von zunächst zwölf auf neun
und anschließend auf sechs Gramm täglich. In dem gesammelten Urin analysierten
sie dann Kochsalzgehalt sowie die Hormone Aldosteron und Cortisol.
Die Ergebnisse überraschten die Wissenschaftler selbst: Der Körper scheidet
das aufgenommene Kochsalz in einem Wochenrhythmus aus. Zudem speichert er ganz
unabhängig von der Kochsalzzufuhr über Monate hinweg Natrium und setzt es wieder
frei. Die beiden Hormone Aldosteron und Cortisol scheinen bei der Regulation
dieser Rhythmik eine wichtige Rolle zu spielen.
Bisher gingen die Mediziner allerdings davon aus, dass sie eine ähnliche
Wirkung haben - die Daten der Mars500-Studie hingegen zeigen, dass die
beiden Hormone langfristig wie Gegenspieler mit der Einlagerung und Ausscheidung
von Natrium verknüpft sind. "Damit wird klar, dass nicht allein das
Ausscheidungsorgan Niere mit der Regulation des Salzgehaltes beschäftigt ist,
sondern auch andere und bisher nicht beachtete Körpergewebe beteiligt sind."
Allerdings: Mit den neuen Erkenntnissen tauchen auch neue Fragen auf, auf die
die Wissenschaftler in Zukunft eine Antwort finden müssen. Warum, wo und wie
lagert der Körper Natrium ein? Wieso funktioniert das Hormon Cortisol genau
entgegengesetzt zu den bisherigen Annahmen? Und haben Frauen denselben
Salzhaushalt wie Männer? In der anderthalbjährigen Studie nahmen nur Männer teil
- vergleichbare Daten zu den Reaktionen des weiblichen Körpers fehlen. "Wenn wir
uns vom ersten Schreck über die unerwarteten Befunde erholt haben, werden wir
diese Fragen angehen", sagt Titze. Eine bestehende Annahme konnte sein Team
während Mars500 immerhin bestätigen: weniger Kochsalz in der Nahrung senkte den
Blutdruck - auch bei den gesunden Mars-Astronauten.
Während des simulierten Flugs zum Roten Planeten lieferten die sechs
Probanden Daten für zahlreiche Experimente, darunter elf in Deutschland
durchgeführte Studien. Wie wirken sich Stress und Isolation auf den Menschen
aus? Wie entwickeln sich die Beziehungen innerhalb von Gruppen, die über eine so
lange Zeit in der Isolation leben? Welche Faktoren haben einen Einfluss auf den
Blutdruck? Welche Konzepte zum körperlichen und geistigen Training erhalten die
Leistungsfähigkeit unter extremen Bedingungen am besten?
"Die Forschung für die Raumfahrt bietet auch die Gelegenheit, Erkenntnisse
für den Alltag auf der Erde zu gewinnen", betont Dr. Peter Gräf, deutscher
Projektleiter für die Mars500-Mission. "Die einzelnen Projekte helfen
zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert und leisten so maßgebliche
Beiträge für die Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit nicht nur der
Astronauten, sondern auch des Menschen in der mobilen und alternden Gesellschaft
auf der Erde."
Für einen Flug zum Mars hat sich herausgestellt: Das Zusammenspiel einer Crew
während der langen Isolation könnte gut funktionieren. Für die Medizin hat die
Mission unter anderem ergeben, dass die bisher übliche Untersuchung zum
Salzhaushalt des Menschen nicht ausreicht. Und noch ein erstaunliches Ergebnis
hat der simulierte Flug durchs All gebracht: Der Mensch und die Blaualge sind
nicht so weit voneinander entfernt - denn die Blaualge hat ebenfalls einen
mehrtägigen Rhythmus für die Ausscheidung von Salz. "Zumindest sind wir
beruhigt, dass solche Rhythmen auch in anderen Organismen bis hin zu einzelnen
Zellen gefunden wurden", so Titze.
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