Filament aus Dunkler Materie in 3D
von Stefan Deiters astronews.com
16. Oktober 2012
Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble und anderer
Teleskope haben Astronomen erstmals ein riesiges Filament aus Dunkler Materie in
seiner räumlichen Ausdehnung untersuchen können. Es erstreckt sich über 60
Millionen Lichtjahre von einem der massereichsten bekannten Galaxienhaufen ins
All und dürfte Teil des kosmischen Netzes sein, das eine Art Grundgerüst des
Universums darstellt.

Der Galaxienhaufen MACS J0717.5+374550. In
Blau ist die Massenverteilung in diesem Bereich
dargestellt. Das Filament ist links des
Haufenzentrums zu sehen.
Bild: NASA,
ESA, Harald Ebeling (University of Hawaii at
Manoa) & Jean-Paul Kneib (LAM) [Großansicht] |
Warum sind die Galaxien und Galaxienhaufen so verteilt, wie wir sie heute
beobachten? Astronomen vermuten, dass sich die sichtbare Materie im Universum
entlang eines gewaltigen Netzes anordnet, an dessen Knotenpunkten sich die
Galaxienhaufen befinden. Theoretische Simulationen am Computer bestätigen diese
Sichtweise. Die Filamente, die die einzelnen Massekonzentrationen verbinden,
bestehen größtenteils aus Dunkler Materie und sind deswegen kaum zu entdecken.
Sie haben sich aus winzigen Dichtefluktuationen entwickelt, die es direkt nach
dem Urknall gegeben haben muss.
Im Sommer war es Astronomen gelungen, einen Teil eines solchen Filaments
sicher zu identifizieren. Jetzt konnte ein Wissenschaftlerteam sogar die
Struktur des Filaments in drei Dimensionen untersuchen und damit eine räumliche
Vorstellung von dieser faszinierenden Struktur gewinnen. "Filamente des
kosmischen Netzes sind sehr ausgedehnt und diffus, wodurch sie nur sehr schwer
zu entdecken, geschweige denn in 3D zu untersuchen sind", erläutert Mathilde
Jaucaz vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille in Frankreich und
der University of KwaZulu-Natal in Südafrika, die Leiterin der Studie.
Für ihre Untersuchung kombinierten die Wissenschaftler detaillierte Aufnahmen
der Himmelsregion um den extrem massereichen Galaxienhaufen MACS J0717.5+3745
(kurz MACS J0717), die mit dem Weltraumteleskop Hubble, dem Subaru-Teleskop
und dem Canada-France-Hawaii-Teleskop gemacht worden waren, mit
spektroskopischen Daten der Galaxien des Haufens, die vom Keck-Teleskop
auf Hawaii und dem Gemini Observatory stammen. So erhielten sie einen
Blick auf das genaue Aussehen des Filaments, das sich rund 60 Millionen
Lichtjahre aus dem Galaxienhaufen hinaus nahezu genau entlang unserer Sichtlinie
zum Haufen erstreckt.
Die Wahl des Galaxienhaufens war dabei alles andere als zufällig: Nach den
aktuellen Theorien entstehen Galaxienhaufen ja gerade dort, wo sich Filamente
treffen, da diese langsam Materie in die Haufen leiten. "Von früheren
Untersuchungen von MACS J0717 wussten wir, dass dieser Haufen wächst und damit
ein hervorragendes Ziel für die Untersuchung des kosmischen Netzes sein sollte",
so Harald Ebeling von der University of Hawaii, dessen Team vor fast
einem Jahrzehnt den Galaxienhaufen entdeckt hatte.
Da die Filamente des kosmischen Netzes aber hauptsächlich aus Dunkler Materie
bestehen, von der die Wissenschaftler weder wissen, um was es sich genau
handelt, noch sie direkt beobachten können, mussten sie für ihre Studie einen
Trick anwenden: Sie nutzten einen von Einsteins Relativitätstheorie
vorhergesagten Effekt. Massereiche Objekte lenken nämlich Lichtstrahlen ab. Sie
wirken als sogenannte Gravitationslinsen, lassen also verzerrte Bilder deutlich
entfernterer Objekte rund um die Massenansammlung entstehen. In der Umgebung
massereicher Galaxienhaufen finden sich daher oft unzählige solcher verzerrter
Galaxienbilder.
Die Astronomen haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe sich aus
den verzerrten Bildern der Galaxien eine Karte der Massenverteilung in der
Struktur berechnen lässt, die für die Verzerrung verantwortlich ist. Dazu
benötigte man aber möglichst gute Aufnahmen der verzerrten Galaxien, die das
Weltraumteleskop Hubble liefern konnte. Dies erlaubte den Forscher, auf
die Lage des Filaments aus Dunkler Materie zu schließen. "Das Schwierige war",
so Jean-Paul Kneib vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille, "ein
Modell der Form des Haufens zu finden, das mit allen Gravitationslinsen-Bildern
übereinstimmt, die man beobachtet hat."
Schließlich benötigten die Astronomen noch detaillierte Informationen über
Entfernung und Bewegung der Galaxien in dem Filament und dem Haufen. Die
Hubble-Daten ermöglichten zwar schon die Erstellung der bislang besten
zweidimensionale Karte des Filaments, doch um dessen räumliches Aussehen zu
erkennen, waren noch zusätzliche Beobachtungen - etwa mit Spektrometern - nötig.
So wurden die Entfernungen von Tausenden von Galaxien in dem Filament bestimmt
und von vielen zusätzlich noch ihre Bewegungsrichtung.
Mit den Positions- und Geschwindigkeitsangaben ließ sich dann das wirkliche
dreidimensionale Aussehen des Filaments rekonstruieren. Es hat danach eine
Ausdehnung von mindestens 60 Millionen Lichtjahren und die Galaxien in dem
Filament bewegen sich in Richtung des Galaxienhaufens MACS J0717. Überrascht hat
die Astronomen die Masse, die in dem Filament versammelt ist. Sollten andere
Filamente in der Nähe großer Galaxienhaufen ähnlich massereich sein, dürften
diese Strukturen des kosmischen Netzes mehr Masse in Form Dunkler Materie
enthalten, als Theoretiker bislang vorhergesagt hatten. Eventuell könnte sogar
die Hälfte der Masse des Universums in solchen Filamenten verborgen sein.
Weitere Informationen über die Filamente und das kosmische Netz erhoffen sich
die Astronomen vom James Webb Space Telescope, dessen Start gegenwärtig
für das Jahr 2018 geplant ist. Dank seiner noch höheren Empfindlichkeit sollten
sich mit dem Nachfolger des Weltraumteleskops Hubble noch zahlreiche
weitere Filamente entdecken lassen. Die Astronomen berichten über ihre Arbeit in
der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
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