Ein oft übersehener Sternhaufen
von Stefan Deiters astronews.com
25. April 2012
Die Europäische Südsternwarte ESO hat heute ein neues Bild
des Sternhaufens NGC 6604 veröffentlicht, das mit Hilfe des Wide Field
Imager am MPG/ESO-2,2-Meter-Teleskops in La Silla entstanden ist. Der
Sternhaufen wird oft übersehen, liegt er doch in unmittelbarer Nähe des
berühmten Adlernebels. Dabei hat auch NGC 6604 einiges zu bieten.

Der Sternhaufen NGC 6604 und seine kosmische
Umgebung.
Bild: ESO [Großansicht] |
Die Europäische Südsternwarte ESO hat heute ein neues Bild des offenen
Sternhaufens NGC 6604 veröffentlicht, das mit dem Wide Field Imager
entstanden ist, einem Instrument am MPG/ESO-2,2-Meter-Teleskop im chilenischen
La Silla. Auf der neuen Aufnahme ist NGC 6604 im oberen linken Teil des Bildes
zu erkennen.
Der Sternhaufen gehört zu einer größeren Ansammlung von Sternen, die unter
der Bezeichnung Serpens OB bekannt ist und rund 100 helle bläulich-weiße Sterne
enthält. NGC 6604 ist der Bereich mit der höchsten Sternenkonzentration. Rund um
den Haufen sind zudem noch der zugehörige Nebel mit der Bezeichnung Sh2-54 zu
erkennen - ein Bereich mit leuchtenden Wolken aus Wasserstoffgas - und diverse
Staubwolken.
NGC 6604 ist rund 5.500 Lichtjahre von der Erde entfernt und liegt etwa zwei
Grad nördlich des bekannten Adlernebels im Sternbild Schlange. Die hellen Sterne
des Haufens sind schon mit einem kleinen Teleskop zu erkennen und wurden bereits
1784 von Wilhelm Herschel in einem Katalog erfasst. Die nicht so leuchtstarken
Gaswolken allerdings sind deutlich schwerer zu beobachten. Sie katalogisierte
erstmals Stewart Sharpless in den 1950er Jahren. Dies erklärt auch die
Bezeichnung "Sh2-54", da die Region im zweiten, 1959 erschienenen Katalog des
Astronomen als 54. Eintrag enthalten ist.
Die heißen jungen Sterne in NGC 6604 dürften bereits für die Entstehung der
nächsten Sternengeneration sorgen: Durch die starken, von ihnen ausgehenden
stellaren Winde und die intensive Strahlung wird Material an anderer Stelle so
verdichtet, dass es zu neuen Sonnen kollabieren kann. Diese werden dann bald die
Rolle der jetzt noch hell leuchtenden Sterne übernehmen, die zwar eine recht
große Masse haben, dafür aber auch sehr verschwenderisch mit ihrem nuklearen
Brennstoff umgehen, so dass ihnen nur ein relativ kurzes Leben vergönnt ist.
NGC 6604 fasziniert die Astronomen aber nicht nur aus ästhetischen Gründen:
Von dem Sternhaufen geht offenbar eine merkwürdige Säule aus heißem, ionisiertem
Gas aus. Ähnliche Strukturen aus heißem Gas, in denen herausströmendes Material
offenbar gebündelt wird, sind auch von weiteren Sternhaufen in der Milchstraße
und in anderen Galaxien bekannt. Der Vorteil von NGC 6604 ist, dass uns dieser
Sternhaufen relativ nahe ist und sich daher für weitere Untersuchungen dieses
Phänomens anbietet.
Im Fall von NGC 6604 erstreckt sich diese Säule senkrecht zur Ebene der
Milchstraße über 650 Lichtjahre ins All. Die Astronomen vermuten, dass die
heißen Sterne des Haufens für die Entstehung dieses auch als "Kamin"
bezeichneten Phänomens verantwortlich sind. Es bedarf allerdings noch weiterer
Untersuchungen, um diese Strukturen wirklich zu verstehen.
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