Blick auf die frühere Galaxienverteilung
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
4. April 2012
Mit Hilfe von Daten des Sloan Digital Sky Surveys haben
Astronomen die Verteilung von Galaxien vor rund fünf bis sechs
Milliarden Jahren mit bislang unerreichter Genauigkeit vermessen. Die
Daten liefern wichtige Hinweise auf die Entwicklung unseres Universums.
Bislang stimmen sie gut mit dem Standardmodell der Kosmologen überein -
doch das könnte sich noch ändern.

Die Signatur der
baryonischen akustischen Oszillationen (weiße
Kreise) in Galaxienkarten hilft den Astronomen
dabei, die Geschichte des sich ausdehnenden
Universums nachzuvollziehen.
Bild: E. M. Huff, das SDSS-III-Team und
das South Pole Telescope-Team / Zosia Rostomian
(Grafik) [Großansicht] |
Die Wissenschaftler des BOSS-Teams (Baryon Oscillation
Spectroscopic Survey) haben die Verteilung der Galaxien vor etwa
fünf bis sechs Milliarden Jahren so genau vermessen wie noch niemals
zuvor. Diese Zeit ist von besonderer Bedeutung, da sie den Punkt
markiert, als die Ausdehnung des Universums nicht mehr langsamer wurde,
sondern anfing, sich aufgrund der geheimnisvollen "Dunklen Energie" zu
beschleunigen. Was hinter dieser Dunklen Energie steckt ist eines der
großen Rätsel in der Kosmologie. Um es zu lösen, benötigen die
Wissenschaftler genaue Messungen der Ausdehnungsgeschichte des
Universums. Die Daten, die das Team in der vergangenen Woche während der
deutsch-britischen Astronomietagung NAM2012 vorstellte, sind auch in
sechs Fachartikeln beschrieben, in denen die BOSS-Daten zudem zum
Eingrenzen unterschiedlicher kosmologische Modelle verwendet werden.
BOSS ist Teil des Sloan Digital Sky Survey (SDSS-III) und begann im
Jahr 2009 mit seinem Blick zurück zu einer Zeit, als die Dunkle Energie im
Universum anfing eine wichtige Rolle zu spielen. Bis 2014 wird das Projekt mit
einem speziell entwickelten neuen Spektrographen am 2,5-Meter-Sloan-Teleskop am
Apache Point Observatorium im US-Bundesstaat New Mexico Daten von 1,35 Millionen
Galaxien sammeln. In den ersten eineinhalb Jahren hat BOSS bereits ein Zehntel
des Himmels abgetastet und für mehr als eine viertel Million Galaxien deren
dreidimensionale Positionen bestimmt, woraus sich eine genaue und vollständige
Verteilung der Galaxien bis zu einer Entfernung von etwa sechs Milliarden
Lichtjahren ergibt.
Die Galaxien bilden ein "kosmisches Netz" mit vielen unterschiedlichen
Strukturen, die wertvolle Informationen über unser Universum enthalten.
Insbesondere sind die sogenannten "baryonischen akustischen Oszillationen (BAO)"
für die Wissenschaftler von Interesse, da diese ihnen eine "Standard- Messlatte"
an die Hand geben. BAO sind Überreste aus der Frühphase des Universums, als es
nicht mehr als eine heiße und dichte "Teilchensuppe" war. Kleine
Dichteschwankungen durchliefen diese "Suppe" als Druck- bzw. Schallwellen.
Als sich das Universum ausdehnte und abkühlte, sank der Druck ab und so
wurden die weitere Ausbreitung dieser Wellen nach etwa 500 Millionen Lichtjahren
gestoppt. Diese "eingefrorenen Wellen" bildeten sich in der Materieverteilung ab
und können heute in der Galaxienkarte abgelesen werden: so ist dort die
Wahrscheinlichkeit dafür, zwei Galaxien in einem bestimmten Abstand zu finden,
etwas höher als für größere oder kleinere Entfernungen.
Misst man nun die scheinbare Größe dieser BAO-Skala in der Verteilung der
Galaxien so erhält man Information zu kosmischen Entfernungen. Kombiniert mit
einer Messung der Galaxien-Rotverschiebung - einem Maß dafür, wie schnell sich
die Galaxien als Folge der kosmischen Expansion von uns entfernen - können die
Wissenschaftler somit die Ausdehnungsgeschichte des Universums rekonstruieren.
Damit liefern die BOSS-Daten zusammen mit früheren Analysen jetzt
Informationen, um die Parameter des kosmologischen Standardmodells auf eine
Genauigkeit von besser als fünf Prozent zu bestimmen. "Alle unterschiedlichen
Messungen deuten auf die gleiche Erklärung", sagt Dr. Ariel Sanchez,
Wissenschaftler am Max-Planck- Institut für extraterrestrische Physik und
Erstautor bei einem der jetzt veröffentlichten Fachartikel. "Die dunkle Energie
ist konsistent mit Einsteins kosmologischer Konstante: einer kleinen aber nicht
vernachlässigbaren Energie, die den Raum kontinuierlich dehnt und damit die
beschleunigte Expansion des Universums antreibt."
Neben der dunklen Energie können die Informationen aus der großräumigen
Galaxienverteilung aber auch verwendet werden, um andere wichtige physikalische
Parameter wie die Krümmung des Universums, die Neutrino-Masse oder die Phase der
Inflation im frühen Universum einzugrenzen. "Aktuelle Beobachtungen zeigen, dass
das Universum flach sein muss, mit einer Genauigkeit von besser als 0,5
Prozent", erklärt Sanchez. "Und während wir auf der einen Seite einen derart
globalen Parameter auf kosmischen Maßstäben messen, können wir gleichzeitig
Informationen über Neutrinos auf den kleinsten Skalen erhalten."
Neutrinos sind winzige Elementarteilchen. Obwohl eine Reihe von Experimenten
gezeigt hat, dass diese eine Masse haben müssen, können die Wissenschaftler
nicht sagen, wie viel sie wiegen, da man das nur schwer in einem Labor messen
kann. Doch als zusätzliche Komponente in der heißen, frühen Phase des Universums
haben die Neutrinos Einfluss auf das Wachstum von Strukturen. Damit enthält die
Verteilung der Galaxien, wie sie von BOSS sondiert wird, Informationen über die
maximale Masse, die diese Neutrinos haben dürfen. "Wir haben hier wirklich die
Verbindung zweier extremer Welten, der sehr, sehr großen und der sehr, sehr
kleinen", so Sanchez.
Aufgrund der hohen Qualität der neuen Daten konnte das BOSS-Team sogar neue
Hinweise auf die kosmische Inflation erhalten, einer Zeit kurz nach dem Urknall,
als sich das Universum unglaublich schnell ausdehnte. Während der kosmischen
Inflation wurden kleine Bereiche des Alls so stark aufgeblasen, dass sie heute
das gesamte, für uns beobachtbare Universum bilden. Gleichzeitig wurden auch die
winzigen Quantenfluktuationen aufgebläht und bildeten so die Keime der
Strukturen, die uns die BOSS-Daten noch heute zeigen.
"Es gibt einen regelrechten Zoo aus alternativen Inflationsmodellen. Mit BOSS
bekommen wir neue wichtige Hinweise auf die inflationäre Phase des Universums,
und können so den Markt der verfügbaren Modelle etwas ausdünnen”, erklärt
Sanchez. Bisher stimmen alle Messungen sehr gut mit dem kosmologischen
Standardmodell überein, das aus ein paar Prozent gewöhnlicher Materie, etwa
einem Viertel Dunkler Materie und dem Rest aus Dunkler Energie besteht.
Aber Sanchez ist vorsichtig: "Das ist nur der Anfang. Wenn wir die kompletten
fünf Jahre an BOSS-Daten haben, können wir viel engere Grenzen erwarten, und es
gibt auch eine Reihe zukünftiger Projekte, die uns noch bessere Messungen
liefern werden. Damit werden wir den Antworten auf die großen offenen Fragen der
Kosmologie einen Schritt näher kommen."
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