Schwarze Löcher und ihre UFOs
von Stefan Deiters astronews.com
28. Februar 2012
In rund 40 Prozent der aktiven Galaxien lassen sich schnelle
Teilchenströme nachweisen, die aus der unmittelbaren Umgebung des
supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum stammen. Dies ergaben jüngste
Beobachtungen mit dem europäischen Röntgenteleskop XMM-Newton. Diese
UFOs getauften Ströme dürften die Entwicklung der Galaxien erheblich
beeinflussen.

So könnte ein aktiver Galaxienkern aussehen,
von dem gebündelte Jets (orange) und
UFOs ausgehen.
Bild: ESA/AOES Medialab |
In den Zentren fast aller Galaxien vermuten Astronomen supermassereiche Schwarze Löcher.
Schon seit Längerem besteht der Verdacht, dass sich die zentralen
Schwerkraftfallen und die sie umgebenden Galaxien gegenseitig beeinflussen. Doch
was bestimmt die Masse einer Galaxie und die ihres Schwarzen Lochs? Könnte es
einen universellen Mechanismus geben, der das Wachstum beider Komponenten
regelt? Eine neue Studie, die auf Beobachtungen mit dem ESA-Weltraumteleskop
XMM-Newton basiert, könnte nun bei der Beantwortung dieser Fragen helfen.
In den vergangenen Jahren war den Astronomen aufgefallen, dass es offenbar
einen Zusammenhang zwischen der Masse des zentralen Schwarzen Lochs und den
Sternen der zentralen, kugelförmigen Region der Galaxie gibt, des sogenannten
Bulge. Dieser scheint umso mehr Sterne zu enthalten, je massereicher das
Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie ist. Die Sterne scheinen außerdem auch im
Schnitt eine höhere Geschwindigkeit zu haben. Dieser Zusammenhang überrascht, da
der unmittelbare Einflussbereich des supermassereichen Schwarzen Lochs winzig im
Vergleich zur Größe einer Galaxie ist. Die Gravitationswirkung der
Schwerkraftfalle ist nämlich nur in direkter Nachbarschaft des Schwarzen Lochs
zu spüren und beeinflusst weite Regionen der Galaxie so gut wie gar nicht.
Astronomen vermuten daher, dass es eine Art Feedback-Mechanismus geben muss,
der Material in der Galaxie verteilt und der von der Akkretionsscheibe um das
Schwarze Loch ausgeht. In einer Akkretionsscheibe sammelt sich das Material
bevor es schließlich im Schwarzen Loch verschwindet. Als vielversprechende
Kandidaten galten lange Zeit enggebündelte Teilchenstrahlen, sogenannte Jets,
die man in den Zentren nahezu aller aktiven Galaxien hat nachweisen können. Sie
schleudern mit hoher Geschwindigkeit Partikel aus der unmittelbaren Umgebung des
Schwarzen Lochs ins All.
Simulationen haben allerdings gezeigt, dass diese Jets kaum die gesamte
Galaxie beeinflussen können. Das gleiche gilt auch für die intensive Strahlung,
die von heißem Material rund um das Schwarze Loch ausgeht. Man benötigte also
noch einen weiteren Mechanismus - starke Teilchenströme, die in alle Richtungen
von der Akkretionsscheibe des Schwarzen Lochs ausgehen.
In den vergangenen Jahren konnte man tatsächlich solche Teilchenströme
in den Spektren einzelner Galaxien nachweisen. Mit dem Röntgenteleskop
XMM-Newton führten Astronomen nun aber erstmals eine systematische Suche
nach solchen Strömen durch und nahmen dafür 42 nahegelegene aktive Galaxien ins
Visier. Sie konnten so zeigen, dass die Teilchenströme tatsächlich die
Eigenschaften haben, die sich die Wissenschaftler von ihnen erhofft hatten.
"Wir haben diese Teilchenströme in 40 Prozent der von uns untersuchten
Galaxien nachweisen können und damit gezeigt, dass es sich um ein recht
verbreitetes Phänomen bei diesen Objekten handelt", so Francesco Tombesi vom
Goddard Space Flight Center der NASA, der auch Erstautor einer Reihe von
Fachartikeln ist, in denen die Untersuchungen beschrieben werden. Aus den
Beobachtungsdaten konnten Tombesi und seine Kollegen auch Eigenschaften wie
Geschwindigkeit, Dichte und Ionisationsgrad der Teilchenströme abschätzen.
"Wir nennen sie 'ultra-fast outflows', kurz UFOs, da ihre Geschwindigkeit
sehr groß ist - zwischen 10.000 und 100.000 Kilometer pro Sekunde. Sie sind
damit deutlich schneller und kräftiger als andere, normale galaktische
Teilchenströme aus den Zentren, jedoch noch immer langsamer als die schnellsten
Jets." Die Teilchenströme bestehen aus stark ionisiertem Plasma und sollten
deswegen aus unmittelbarer Nähe des Schwarzen Lochs stammen. Nur hier ist
nämlich die Strahlung intensiv genug, um den hohen Ionisationsgrad zu erklären.
Durch die UFOs kann nach Analyse der Forscher Material im Umfang von einer
Sonnenmasse pro Jahr in die Galaxie gelangen.
Mit den jetzt vorgestellten Ergebnisse sei, so die Astronomen, erstmals
gezeigt, dass es zwischen den dichten Zentren von Galaxien und dem umgebenden
interstellaren Medium einen beträchtlichen Massenaustausch gibt. "Die
untersuchten Teilchenströme üben auf ihre Galaxie einen stärkeren Einfluss aus
als Jets", fasst Tombesi zusammen. "Sie enthalten mehr Masse, sind langsamer und
haben einen weiteren Öffnungswinkel. Sie müssen daher stärker mit dem
interstellaren Medium wechselwirken." So könnten sie beispielsweise
Sternentstehung im Bulge unterdrücken oder das Wachstum des zentralen Schwarzen
Lochs behindern und so den beobachteten Zusammenhang zwischen diesen beiden
Komponenten erklären helfen.
In Zukunft wollen sich Tombesi und seine Kollegen auf die Vorgänge rund um
das supermassereiche Schwarze Loch konzentrieren. "Wir wollen den physikalischen
Mechanismus erforschen, durch den diese Teilchenströme entstehen", so Tombesi.
"Das wäre dann ein weiterer wichtiger Schritt, um die Funktionsweise und die
Entwicklung aktiver Galaxien zu verstehen."
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