Neuer Rekordhalter im entfernten Universum
von Stefan Deiters astronews.com
10. Januar 2012
Astronomen haben in großer Entfernung einen äußerst
massereichen Galaxienhaufen aufgespürt. Es handelt sich um das massereichste
Objekt dieser Art, das im entfernten Universum bislang entdeckt wurde. Zur
Untersuchung des faszinierenden Haufens nutzten die Forscher das Very Large
Telescope der ESO, das NASA-Röntgenteleskops Chandra und das
Atacama Cosmology Telescope.

Der Galaxienhaufen ACT-CL J0102-4915, genannt
El Gordo. Für das Bild wurden Aufnahmen
verschiedener Teleskope kombiniert. Die
Röntgenstrahlung des heißen Gases im Haufen ist
blau dargestellt.
Bild: ESO / SOAR / NASA [Großansicht] |
Der neu entdeckte Galaxienhaufen, über den ein internationales Astronomenteam
jetzt auf der Tagung der American Astronomical Society in Austin im
US-Bundesstaat Texas berichtete, erhielt von den Wissenschaftlern den Spitznamen
"El Gordo", das spanische Wort für "der Große" oder "der Dicke". Dies deutet
schon an, dass der Haufen erheblich größer ist als ihn die Astronomen in dieser
Entfernung erwartet hatten.
Der offizielle und wesentlich unhandlichere Name von El Gordo ist ACT-CL
J0102-4915, wobei der erste Teil der Bezeichnung auf das Atacama Cosmology
Telescope hinweist, mit dem der Galaxienhaufen entdeckt wurde, und der
zweite Teil auf seine Position am Himmel. El Gordo liegt im südlichen Sternbild
Phoenix und besteht aus zwei Unterhaufen, die mit einer Geschwindigkeit von
mehreren Millionen Kilometern pro Stunde kollidieren. Er ist so weit von der
Erde entfernt, dass sein Licht sieben Milliarden Jahre benötigt hat, um uns zu
erreichen.
"Dieser Haufen ist der massereichste und der heißeste und gibt mehr
Röntgenstrahlung ab als jeder andere Haufen in vergleichbarer oder größerer
Entfernung", so Felipe Menanteau von der Rutgers University, der die
Untersuchung leitete. "Wir haben einen wesentlichen Teil unserer Beobachtungszeit
für El Gordo verwendet. Ich bin daher froh, dass sich diese Wette am Ende
ausgezahlt hat und wir eine faszinierende Haufenkollision gefunden haben."
Galaxienhaufen sind die größten durch die Gravitation zusammengehaltenen
Objekte im Universum. Sie entstehen durch die Verschmelzung von kleineren
Galaxiengruppen. Wie genau dieser Prozess abläuft, hängt allerdings stark vom
Anteil der Dunklen Materie und der Dunklen Energie im Universum zum Zeitpunkt
der Kollision ab. Die Untersuchung von Galaxienhaufen kann deswegen auch etwas
über diese beiden mysteriösen Bestandteile des Weltalls verraten. "Riesige
Galaxienhaufen wie dieser sind genau das, nach was wir gesucht haben", meint
daher auch Jack Hughes von der Rutgers University. "Wir wollen nämlich
schauen, ob wir mit Hilfe der besten verfügbaren kosmologischen Modelle
verstehen können, wie sich diese extremen Objekte bilden."
Um El Gordo aufzuspüren, machten sich die Astronomen einen besonderen Effekt
zunutze, der Ende der 1960er Jahre von den russischen Astronomen Rashid Sunyaev
und Yakov Zeldovich vorausgesagt und Anfang der 1980er Jahre
erstmals beobachtet wurde. Die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung, ein
schwaches Glimmen des Urknalls, wechselwirkt mit den Elektronen im heißen Gas
von Galaxienhaufen. Dadurch entsteht eine Störung im Mikrowellenhintergrund, den
wir von der Erde beobachten. Je dichter und größer der Haufen ist, desto größer
ist auch dieser sogenannte Sunyaev-Zeldovich-Effekt.
El Gordo wurde in einer Himmelsdurchmusterung der
Mikrowellenhintergrundstrahlung mit dem Atacama Cosmology Telescope
entdeckt, einem sechs Meter durchmessenden Radioteleskop in der chilenischen
Atacama-Wüste. Mit dem Very Large Telescope der europäischen
Südsternwarte ESO bestimmten die Astronomen die Geschwindigkeit der Galaxien in
dieser Kollision und die Entfernung des Haufens von der Erde. Das
Röntgenteleskop Chandra schließlich untersuchte das heiße Gas des
Haufens.
Galaxienhaufen in dieser Entfernung und mit der Größe von El Gordo sind
äußerst selten. Trotzdem lässt sich ihre Existenz, so die Astrononen, noch
mit dem gegenwärtig bevorzugten Modell des Universums in Übereinstimmung
bringen. El Gordo dürfte vermutlich ähnlich entstanden sein wie der inzwischen
berühmte Bullet-Cluster (astronews.com berichtete), der uns allerdings deutlich
näher ist. In beiden Haufen finden sich Hinweise darauf, dass sich die normale
Materie, die hauptsächlich aus heißem, Röntgenstrahlen-aussendenden Gas besteht,
von der Dunklen Materie getrennt hat. Das heiße Gas wurde nämlich - im Gegensatz
zur Dunklen Materie - durch die Kollision abgebremst.
"Dies ist das erste Mal, dass wir ein System wie den Bullet-Cluster in so
großer Entfernung finden", freut sich Cristóbal Sifón von der Pontificia
Universidad Católica de Chile in Santiago. "Es ist wie in dem alte
Sprichwort: Um die Zukunft zu verstehen, muss man die Vergangenheit kennen."
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