Erdrotation erstmals direkt gemessen
Redaktion
/ Pressemitteilung der TU München astronews.com
28. Dezember 2011
Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, mit Labormessungen die
Schwankungen der Erdachse zu bestimmen. Sie haben dazu in einem
Untergrundlabor den weltweit stabilsten Ringlaser konstruiert, an dessen
Verhalten sich Veränderungen der Erdrotation ablesen lassen. Bislang
konnte man auf die Wanderungen der Polachse nur indirekt über die
Richtung zu Fixpunkten im All schließen.
Ringlaser des Geodätischen Observatoriums
Wettzell.
Foto: U. Hessels / Geodaetisches
Observatorium Wettzell [Großansicht] |
Die Erde schlingert. Wie bei einem Brummkreisel, den man antippt,
schwankt die Lage ihrer Rotationsachse im Raum, weil die Gravitation von
Sonne und Mond auf sie wirkt. Gleichzeitig ändert sich auch die Position
der Rotationsachse auf der Erde permanent: Zum einen verursachen
Ozeanbewegungen, Wind und Luftdruck eine Bewegung der Pole, die rund 435
Tage dauert - ein nach seinem Entdecker "Chandler Wobble" getauftes
Phänomen. Zum anderen ändert sich die Position im Laufe eines Jahres,
weil die Erde auf einer elliptischen Bahn um die Sonne rast - der
"Annual Wobble". Die beiden Effekte ergeben eine unregelmäßige Wanderung
der Erdachse auf einer kreisähnlichen Linie mit einem Radius von maximal
sechs Metern. Diese Schwankungen zu erfassen, ist entscheidend für ein
zuverlässiges Koordinatensystem und damit für den Betrieb von
Navigationssystemen oder die Vorhersage von Bahnen in der Raumfahrt.
"Einen Punkt für die GPS-Ortung zentimetergenau zu bestimmen, ist ein
hochdynamischer Vorgang - schließlich bewegen wir uns in unseren Breiten
pro Sekunde um circa 350 Meter nach Osten", sagt Prof. Karl Ulrich
Schreiber, der in der Forschungseinrichtung Satellitengeodäsie der
Technischen Universität München (TUM) das Projekt geleitet hat. Bislang
sind weltweit 30 Radioteleskope im Einsatz, um die Lage der Achse im
Raum und die Drehgeschwindigkeit der Erde in einem aufwendigen Prozess
zu berechnen. Abwechselnd messen acht bis zwölf von ihnen jeden Montag
und Donnerstag die Richtung zu bestimmten Quasaren. Die Wissenschaftler
gehen davon aus, dass sich die Position dieser Galaxiekerne nicht ändert
und sie deshalb als Fixpunkte dienen können. An dem Verfahren beteiligt
ist das Geodätische Observatorium Wettzell, das die TU München und das
Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) betreiben.
Mitte der 90er Jahre haben sich Wissenschaftler von TUM und BKG
gemeinsam mit Forschern der neuseeländischen University of
Canterbury vorgenommen, eine Methode zu entwickeln, die eine
weniger aufwendige und eine kontinuierliche Bestimmung des Chandler und
des Annual Wobble ermöglicht. "Außerdem wollten wir mit einer
Alternative systematische Fehler ausschließen", erinnert sich Schreiber.
"Schließlich wäre es ja möglich, dass die angenommenen Fixpunkte gar
keine sind."
Die Wissenschaftler hatten die Idee, zu diesem Zweck einen Ringlaser zu
konstruieren, wie er in Flugzeugen zur Navigation verwendet wird - nur
millionenfach genauer. "Damals sind wir beinahe ausgelacht worden, weil
dies kaum jemand für möglich hielt", erzählt Schreiber. Doch Ende der
1990er Jahre ging auf dem Gelände des Wettzeller Observatoriums der
heute weltweit stabilste Ringlaser in Bau. Zwei Lichtstrahlen
durchlaufen in entgegengesetzten Richtungen eine quadratisch angeordnete
Bahn mit Spiegeln in den Ecken, die in sich geschlossen ist (daher die
Bezeichnung Ringlaser).
Dreht sich eine solche Apparatur, hat der Laserstrahl in der
Drehrichtung einen längeren Weg als der gegenläufige. Die Strahlen
passen daraufhin ihre Wellenlänge an, die optische Frequenz ändert sich.
Aus dieser Differenz kann man auf die Drehgeschwindigkeit schließen. In
Wettzell dreht sich nicht der Ringlaser selbst, sondern nur die Erde.
Die vier mal vier Meter lange Konstruktion ist in einem massiven
Betonpfeiler verankert, der wiederum in rund sechs Metern Tiefe auf
massiven Fels der Erdkruste gegründet ist, damit ausschließlich die
Erdrotation auf die Laserstrahlen wirkt.
Wie die Drehung der Erde das Licht beeinflusst, ist abhängig vom
Standort des Lasers: "Stünden wir am Pol, wären Drehachse der Erde und
Drehachse des Lasers identisch und wir würden die Drehgeschwindigkeit
eins zu eins sehen", erklärt Schreiber. "Am Äquator dagegen würde der
Lichtstrahl gar nicht merken, dass sich die Erde dreht." Die
Wissenschaftler müssen deshalb die Position des Wettzeller Lasers auf
dem 49. Breitengrad berücksichtigen. Ändert sich nun die Achse der
Erdrotation, ändert sich auch das, was die Forscher von der
Drehgeschwindigkeit sehen. Die Veränderungen im Verhalten des Lichts
zeigen also die Schwankungen der Erdachse an.
"Das Prinzip ist einfach", so Schreiber. "Die große Schwierigkeit
bestand darin, den Laser so stabil zu halten, dass wir ein solch
schwaches geophysisches Signal störungsfrei messen können - und das über
Monate." Die Wissenschaftler mussten dazu nämlich auch Änderungen in den
Frequenzen ausschließen, die nicht von der Drehbewegung der Erde,
sondern von Umwelteinflüssen wie Luftdruck und Temperatur herrühren.
Ihre wichtigsten Instrumente dazu: eine Glaskeramikplatte und eine
Druckkabine. Auf die neun Tonnen schwere Platte aus Zerodur haben die
Forscher den Ringlaser montiert, auch die balkenartigen Halterungen
wurden aus dem Werkstoff gefertigt. Dieser hat den großen Vorteil, auf
Temperaturänderungen kaum zu reagieren.
Geschützt wird die Konstruktion durch die Druckkabine. Sie registriert
Änderungen des Luftdrucks und der Temperatur von zwölf Grad und steuert
automatisch gegen. Um solche Einflüsse von vornherein gering zu halten,
liegt das Labor in fünf Metern Tiefe, nach oben hin isoliert mit
Schichten aus Styrodur und Ton sowie einem vier Meter hohen Erdhügel.
Die Wissenschaftler müssen durch einen 20 Meter langen Tunnel mit fünf
Kühlraumtüren und einer Schleuse gehen, um zum Laser zu gelangen. Unter
diesen Bedingungen ist es den Forschern gelungen, die aus den Messungen
der Radioteleskope stammenden Daten zur Ausprägung des Chandler Wobble
und des Annual Wobble zu bestätigen.
Ihr nächstes Ziel ist nun zum einen, die Genauigkeit der Konstruktion so
zu erhöhen, dass sie Veränderungen der Erdrotationsgeschwindigkeit eines
einzelnen Tages erfassen kann. Zum anderen wollen sie Ringlaser für
einen dauerhaften Betrieb rüsten, bei dem die Apparatur auch über Jahre
keine Abweichungen produziert. "Salopp gesagt", so Schreiber, "wollen
wir künftig mal eben in den Keller gehen können und nachschauen, wie
schnell sich die Erde gerade dreht."
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