Der am schnellsten rotierende Stern
von Stefan Deiters astronews.com
6. Dezember 2011
Astronomen haben mit dem Very Large Telescope der
europäischen Südsternwarte ESO einen Stern aufgespürt, der sich schneller als
jede andere bislang bekannte normale Sonne um die eigene Achse
dreht. Der massereiche Stern liegt im Tarantelnebel in der Großen Magellanschen Wolke
und könnte eine
abenteuerliche Geschichte haben.
Kein den Astronomen bekannter normaler Stern dreht
sich schneller um die eigenen Achse als VFTS 102 im Tarantelnebel.
Bild: ESO / M.-R. Cioni / VISTA
Magellanic Cloud survey / Cambridge Astronomical
Survey Unit [Großansicht] |
Es war ein Zufallsfund: Eigentlich ist das internationale
Astronomenteam damit beschäftigt, mit dem Very Large Telescope der europäischen
Südsternwarte ESO auf dem Gipfel des Paranal in Chile die massereichsten und
hellsten Sterne im Tarantelnebel zu erfassen, einer auch unter dem Namen 30
Doradus bekannten Sternentstehungsregion in der Großen Magellanschen Wolke. Die
Große Magellansche Wolke ist eine Satellitengalaxie der Milchstraße und
ungefähr 160.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Unter den zahlreichen hellen Sternen im Tarantelnebel entdeckten die
Astronomen dann aber mit VFTS 102 (VFTS steht für VLT-Flames Tarantula Survey)
einen Stern, der sich mit enormer Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht: Die
Äquatorregionen der Oberfläche bewegen sich mit mehr als zwei Millionen Kilometer pro Stunde
um das Zentrum des Sterns. Das entspricht mehr als der 300-fachen
Rotationsgeschwindigkeit unserer Sonne. Der Stern rotiert damit so schnell, dass
er kurz davor stehen sollte, von den eigenen Fliehkräften auseinandergerissen zu
werden. Von schnell rotierenden Pulsaren abgesehen, handelt es
sich bei VFTS 102 damit um den sich am schnellsten um die eigene Achse drehenden
Stern, den man bislang entdeckt hat.
VFTS 102 hat die ungefähr
25-fache Masse unserer Sonne und ihre 100.000-fache Helligkeit. Er bewegt sich
zudem mit einer
signifikant anderen Geschwindigkeit durch das All, als die Sterne in
seiner Umgebung. "Diese bemerkenswerte Rotationsgeschwindigkeit und die
ungewöhnliche Bewegung im Vergleich zu den anderen Sternen, lässt die Vermutung
aufkommen, dass dieser Stern eine sehr ungewöhnliche Jugend gehabt haben muss.
Das hat uns neugierig gemacht", so Philip Dufton von der Queen's University in
Belfast. Der Astronom ist auch Erstautor eines Fachartikels in den
Astrophysical Journal Letters, in dem die
Beobachtungen beschrieben sind.
Nach Ansicht der Astronomen könnte es sich bei VFTS 102 um einen stellaren "Ausreißer"
handeln, der aus einem Doppelsternsystem hinausgeschleudert wurde, nachdem sein
Partner als Supernova explodiert ist. Interessanterweise findet sich nämlich
auch ganz in der
Nähe von VFTS 102 ein Supernova-Überrest sowie ein zugehöriger Pulsar.
Pulsare sind rotierende Neutronensterne, die nach einer Supernova-Explosion
zurückbleiben.
VFTS 102 könnte also einmal eine Komponente eines Doppelsternsystems gewesen
sein. Beide Sterne, so die Theorie der Astronomen, müssen dabei nur einen sehr
geringen Abstand voneinander gehabt haben, so dass Material des Partners auf VFTS 102 hinüberströmen
konnte. Dadurch hat sich dessen Rotationsgeschwindigkeit immer weiter erhöht.
Auf diese Weise ließe sich die ungewöhnlich schnelle Drehung um die eigene Achse elegant
erklären.
Nach vielleicht zehn Millionen Jahren ist dann der massereichere Begleiter
von VFTS 102 als Supernova explodiert, wurde zum Pulsar und hat den heute zu
beobachtenden Supernova-Überrest entstehen lassen. VFTS 102 wurde dabei ins
All geschleudert, was die ungewöhnliche Bewegung des Sterns im Vergleich zu den
anderen Sonnen in der Region erklärt.
Natürlich lässt sich dieses Szenario nicht wirklich beweisen. "Es ist aber
eine sehr überzeugende Geschichte, weil sie alle ungewöhnlichen Beobachtungen
erklärt, die wir gemacht haben", so Dufton. "Dieser Stern führt uns zweifellos
einige unerwartete Seiten des sehr kurzen, aber dramatischen Lebens der
massereichsten Sterne vor Augen."
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