Rätsel um produktive Zwerggalaxien
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
10. November 2011
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble haben
Astronomen im frühen Universum eine Population kleiner, junger Galaxien
entdeckt, die in geradezu atemberaubendem Tempo neue Sterne produzieren. Die
üblichen Modelle der Galaxienbildung bieten keine Erklärung für diese extrem
hohe Sternentstehungsrate. Allerdings könnte die Entdeckung ein anderes
Zwerggalaxien-Rätsel lösen helfen.

Eine der zwei Himmelsregionen, in denen das
CANDELS-Team einen ungewöhnlichen neuen Typ
Zwerggalaxie gefunden hat.
Bild: NASA, ESA, A. van der Wel
(MPIA), H. Ferguson und A. Koekemoer (STScI) und
das CANDELS-Team [Großansicht] |
Zwerggalaxien, die nur etwa ein hundertstel der Masse unserer Heimatgalaxie,
der Milchstraße, besitzen, sind der häufigste Galaxientyp im Universum. Und sie
sind ein beliebtes Studienobjekt für Astronomen, die sich aus der Untersuchung
dieser Objekten neue Erkenntnisse über allgemeine Fragen der Galaxienentstehung
versprechen. Im Vergleich mit anderen Himmelskörpern sind weit entfernte
Zwerggalaxien sehr lichtschwach und klein, und dementsprechend schwer
nachzuweisen. Bislang konnten nur einzelne dieser entfernten Objekte genauer
untersucht werden. Das hat sich jetzt geändert: mit der CANDELS-Durchmusterung,
dem größten Beobachtungsprojekt in der Geschichte des Hubble-Weltraumteleskops.
Von 2010 bis 2013 sucht CANDELS nach einigen der am weitesten entfernten
Galaxien unseres Universums. In Sachen Zwerggalaxien erlebten die Astronomen
dabei eine Überraschung. "Wir haben eine Population von 69 Zwerggalaxien
gefunden, die uns zunächst aufgrund ihrer ungewöhnlichen Farbe aufgefallen
sind", sagt Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), der
das Forscherteam leitete und gleichzeitig auch Erstautor eines Fachartikels über
die Beobachtungen ist, der heute in der Fachzeitschrift Astrophysical
Journal erscheint.
Aufgrund der großen Entfernungen sehen die Astronomen diese
Zwerggalaxien so, wie sie vor fast 10 Milliarden ausgesehen haben. Wie
nachfolgende Untersuchungen der Spektren von vier der Galaxien bestätigten, geht
die ungewöhnliche Färbung darauf zurück, dass in den Galaxien extrem viele neue
Sterne entstehen. Zum Vergleich: Bei der jetzigen Rate würde sich die
Sternpopulation einer solchen Galaxie in nur 15 Millionen Jahren verdoppeln. Das
ist ein tausend Mal größeres Tempo als in unserer Milchstraße.
Damit haben die Astronomen ein wichtiges Puzzlestück der Galaxienevolution
gefunden, wie MPIA-Direktor Hans-Walter Rix glaubt: "Aus 'archäologischen'
Studien an nahen Zwerggalaxien, bei denen sorgfältig das Alter der beteiligten
Sterne bestimmt wurde, wussten die Astronomen bereits, dass die meisten dieser
Sterne vor mehr als acht Milliarden Jahren entstanden sein müssen. Ungeklärt war
aber bislang, ob die Sterne allmählich oder vergleichsweise schnell entstanden.
Die neuen Ergebnisse legen nahe, dass sich die Sterne rasch gebildet haben, im
Rahmen nur einer oder einiger weniger Sternentstehungs-Episoden."
Einige Simulationen der Evolution von Zwerggalaxien sagen in der Tat einen
episodenartigen Verlauf der Sternentstehung voraus. Doch selbst die größten
Stern-Zuwachsraten dieser Simulationen reichen nicht aus, um die neuen
Beobachtungen zu erklären. Für die Forschungen zur Zwerggalaxien-Entwicklung
stellen die hohen Sternentstehungsraten ein Rätsel dar, das es erst noch zu
lösen gilt.
Die neue Beobachtungen könnte aber gleichzeitig helfen, ein Jahrzehnte altes
Rätsel zu lösen, das die Verteilung von Dunkler Materie in Galaxien betrifft.
Mehr als 80 Prozent der Materie in unserem Universum ist sogenannte Dunkle
Materie, die nur über ihre Gravitation mit anderer Materie wechselwirkt und
insbesondere kein Licht aussendet; herkömmliche Atome (inklusive jener, aus
denen wir selbst bestehen) zeichnen dagegen für weniger als 20% des
Materieinhalts verantwortlich.
Dunkle Materie spielt eine Schlüsselrolle dabei, wie sich unser Kosmos im
Laufe der letzten knapp 14 Milliarden Jahre von einem so gut wie strukturlosen
Zustand zu den heutigen Verhältnissen mit Galaxien und Galaxienhaufen entwickelt
hat. Allerdings führen herkömmliche Simulationen der Galaxienentwicklung zu
einem Ergebnis, das den Beobachtungen widerspricht: Sie sagen voraus, dass
Dunkle Materie in den Zentren von Galaxien konzentriert sein sollte (mit spitzem
Maximum der Dichteverteilung im Zentrum der Galaxie); Beobachtungen zeigen
dagegen eine gleichmäßigere Verteilung.
Bereits 1996 hatten Astronomen vorgeschlagen, die beobachtete Verteilung
könnte sich ergeben haben, weil herkömmliche Materie der Galaxie nach außen
getrieben worden sei und dabei einiges an Dunkler Materie mitgezogen habe. Die
jetzt entdeckten intensiven Sternentstehungsphasen junger Zwerggalaxien, während
derer man in der Tat erwarten würde, dass Gas der Galaxien nach außen getrieben
wird, sind der bislang direkteste Hinweis darauf, dass sich die Verteilung der
Dunklen Materie auf die vorgeschlagene Art und Weise erklären lässt.
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