Als sich der kosmische Nebel lichtete
von Stefan Deiters astronews.com
12. Oktober 2011
Mithilfe des Very Large Telescope haben Astronomen fünf
weit entfernte Galaxien untersucht, um mehr über eine kurze, aber wichtige
Epoche der kosmischen Geschichte zu erfahren, die Reionisations-Phase. Sie
stellten so
fest, dass unser Universum deutlich schneller durchsichtig wurde als
bislang angenommen. Verantwortlich dafür waren vermutlich massereiche Sterne.
Bei dem kleinen unscheinbaren roten Fleck in
der Bildmitte handelt es sich um die Galaxie
NTTDF-6345. Es ist eine der fünf jetzt von den
Astronomen mit Hilfe des Very Large Telescope
untersuchten Galaxien.
Bild:
ESO / L. Pentericci [Großansicht]
So könnte das Universum nach Ansicht der
Wissenschaftler in einem Alter von weniger als
einer Milliarde Jahren ausgesehen haben. Deutlich
zu erkennen sind noch vorhandene Nebelschwaden
aus Wasserstoff.
Bild: ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
Teleskope sind auch immer so etwas wie Zeitmaschinen: Beobachtet
man nämlich ein weit entferntes Objekt, sieht man dieses so, wie es vor langer
Zeit einmal ausgesehen hat. Grund dafür ist, dass sich auch das Licht nur mit
einer begrenzten Geschwindigkeit ausbreitet. Ein Objekt in einer Entfernung von
einer Million Lichtjahren sehen wir daher so, wie es vor einer Million Jahren
ausgesehen hat - das Licht hat nämlich von dem Objekt bis zur Erde genau eine
Million Jahre benötigt.
Interessant wird dies natürlich vor allem bei noch deutlich entfernteren
Gebilden, etwa bei Galaxien, die wir in der absoluten Frühphase des Universums
beobachten können. Mit dem Very Large Telescope (VLT) der europäischen
Südsternwarte ESO haben Astronomen nun einige der entferntesten Galaxien ins
Visier genommen und auch ihre genaue Entfernung bestimmt. Danach sehen wir die
Objekte in einem Zustand, wie sie zwischen 780 Millionen und einer Milliarde
Jahre nach dem Urknall ausgesehen haben. Die entfernteste Galaxie, die mit dem
VLT beobachtet wurde, sehen wir 600 Millionen Jahre nach dem Urknall (astronews.com
berichtete), im Januar fanden Astronomen mit Hubble möglicherweise sogar eine
noch entferntere Galaxie (astronews.com berichtete).
Die jetzt in einem Artikel in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal
vorgestellten VLT-Beobachtungen erlaubte es den Astronomen erstmals eine Art
Zeitleiste für das Zeitalter der Reionisation aufzustellen, eine Periode in der
Geschichte des Universums, in der das Gas
ionisiert und das All damit praktisch durchsichtig für ultraviolette Strahlung
wurde. Zuvor war diese Strahlung von dem elektrisch neutralen Wasserstoffgas
absorbiert worden. Man vermutet, dass es unmittelbar nach dem Urknall schon
einmal eine kurze Periode gab, in der das Wasserstoffgas ionisiert war, weshalb man
den Begriff "Reionisation", also "Wieder-Ionisation" gewählt hat.
"Archäologen können die Abläufe in der Geschichte durch Artefakte
rekonstruieren, die sie in verschiedener Tiefe im Erdboden finden", vergleicht
Adriano Fontana vom italienischen INAF Osservatorio Astronomico di Roma,
der die Studie leitete. "Astronomen haben es da besser: Wir können direkt in die
entfernte Vergangenheit blicken und das schwache Licht ferner Galaxien in
verschiedenen Phasen der kosmischen Entwicklung untersuchen. Die Unterschiede
zwischen den Galaxien verraten uns etwas über die sich ändernden Umweltbedingungen im
Universum in dieser Periode und wie schnell sich diese verändert haben."
Die Studie basiert auf VLT-Beobachtungen von entfernten Galaxien in den
vergangenen drei Jahren. Von besonderem Interesse war dabei die spektrale
Zusammensetzung des Lichts der entfernten Objekte. Bestimmte charakteristische
Ausschläge in den Spektren, sogenannte Emissionslinien, verraten Astronomen
etwas über die chemische Zusammensetzung der Objekte. Eine der stärksten
Emissionslinien im Ultravioletten ist die sogenannte Lyman-alpha-Linie. Sie ist so markant, dass sie sich auch
noch in den Spektren weit entfernter und sehr lichtschwacher Objekte nachweisen
lässt.
Die Entdeckung dieser Lyman-alpha-Linie bei fünf von insgesamt zwanzig
untersuchten Galaxien ermöglichte es den Astronomen nun zu bestimmen, wie weit diese
spezielle
Linie bei diesen Galaxien zum roten Ende des Spektrums verschoben ist. Ursache
für diese Verschiebung ist die
Ausdehnung des Universums. Aus der Rotverschiebung lässt sich dann ableiten,
welche Entfernung die Galaxien von uns haben müssen und damit, in welcher Zeit
nach dem Urknall wir sie sehen. So gelang es, die Galaxien in einer Art Zeitleiste
anzuordnen.
Anschließend verglichen die Wissenschaftler dann, wie die
Lyman-alpha-Emission, die durch leuchtenden Wasserstoff in den Galaxien
entsteht, durch den Nebel aus neutralem Wasserstoff im intergalaktischen Raum zu den
verschiedenen Zeiten beeinflusst worden ist. "Wir konnten zwischen den frühsten
und den spätesten Galaxien dramatische Unterschiede in der Menge von
ultraviolettem Licht erkennen, das absorbiert wurde", erläutert Laura Pentericci
vom INAF Osservatorio Astronomico di Roma, die Erstautorin des
Fachartikels. "Als das Universum nur 780 Millionen Jahre alt war, gab es noch
sehr viel neutralen Wasserstoff. Er hat zehn bis 50 Prozent des Gesamtvolumens
ausgefüllt. Aber nur 200 Millionen Jahre später war diese Menge deutlich
zurückgegangen und glich schon in etwa dem, was wir heute beobachten. Es sieht
so aus, als wäre die Reionisation sehr viel schneller abgelaufen, als Astronomen
bislang angenommen hatten."
Doch woher kam die Strahlung, durch die sich dieser urzeitliche Nebel
so schnell auflöste? Im Verdacht hatten die Wissenschaftler bislang vor allem
zwei Kandidaten: die erste Sternengeneration im Universum und Strahlung, die
entsteht, bevor Material in Schwarze Löcher stürzt. "Die detaillierte Analyse
des Lichts der beiden entferntesten Galaxien deutet darauf hin, dass die
allererste Generation von Sternen wesentlich dazu beigetragen hat", so
Teammitglied Eros Vanzella vom italienischen INAF Osservatorio Astronomico
di Trieste. "Dabei dürfte es sich um sehr junge und massereiche Sterne
gehandelt haben, die etwa 5.000-mal jünger und 100-mal massereicher als
unsere Sonne waren."
Um diesen Verdacht jedoch bestätigen zu können, sind weitere Beobachtungen
nötig, die entweder aus dem Weltraum oder mit noch größeren erdgebundenen
Teleskopen, wie dem geplanten European Extremely Large Telescope, durchgeführt
werden müssten. Schon die jetzt vorgestellte Studie erforderte die
leistungsfähigsten derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente und nutzte die
Fähigkeiten des Very Large Telescope voll aus.
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