Einblick in die Geburt der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Zürich astronews.com
25. August 2011
Seit bald zwanzig Jahren versuchen Astrophysiker die
Entstehung von Spiralgalaxien wie unserer Milchstraße realistisch nachzubilden.
Astrophysiker der Universität Zürich stellten nun zusammen mit Astronomen der
University of California in Santa Cruz die erste wirklichkeitsgetreue
Simulation zur Entstehung unserer Heimatgalaxie vor. Sie lässt unter anderem
darauf schließen, dass es am äußersten Rand der Milchstraße Sterne geben muss.

Oben ein Bild
der simulierten Galaxie mit Gasen (rot) und
Sternen (blau), unten ein entsprechendes
Falschfarben-Bild der Galaxie M74. Die aus Gasen
bestehenden Spiralarme sind in der simulierten
und in der echten Galaxie deutlich zu erkennen.
Bild: Universität Zürich
[Großansicht] |
Astrophysikalische Simulationen haben zum Ziel, die Wirklichkeit unter
Berücksichtigung der physikalischen Gesetze und Prozesse abzubilden.
Astronomische Himmelsbeobachtungen und astrophysikalische Simulation müssen sich
dabei exakt entsprechen. Ein komplexes System wie die Milchstraße und ihre
Entstehung wirklichkeitsgetreu simulieren zu können, bildet den letzten
Nachweis, dass die zugrunde liegenden Theorien der Astrophysik stimmen.
Alle bisherigen Versuche, die Entstehung von Spiralgalaxien wie die Milchstraße
zu simulieren, scheiterten an einem von zwei Punkten: Entweder wiesen die
simulierten Spiralgalaxien im Zentrum zu viele Sterne auf oder aber die gesamte
Sternmasse war um ein Vielfaches zu groß. Eine Forschungsgruppe unter der
gemeinsamen Leitung von Lucio Mayer, Astrophysiker an der Universität Zürich,
und Piero Madau, Astronom an der University of California in Santa
Cruz, publiziert jetzt im Astrophysical Journal die erste
wirklichkeitsgetreue Simulation zur Entstehung der Milchstraße. Die Simulation
wurde von den Doktoranden Javiera Guedes und Simone Callegari durchgeführt, die
die Daten anschließend auch analysierten.
Für ihre Arbeit entwickelten die Wissenschaftler eine höchst komplexe
Simulation, bei der sich eine der Milchstraße ähnliche Spiralgalaxie ohne
weiteres Zutun aus sich selbst entwickelt. Die Simulation - wegen der
jahrzehntelangen Debatten um die Entstehung von Spiralgalaxien nach Eris, der
griechischen Göttin der Zwietracht, benannt - gestattet im Zeitraffer einen
Einblick in nahezu die gesamte Entstehungsgeschichte einer Spiralgalaxie. Ihren
Anfang nimmt sie weniger als eine Million Jahre nach dem Urknall. "Unser
Resultat beweist, dass sich auf Basis der Grundprinzipien des
kalte-Dunkle-Materie-Paradigmas und der physikalischen Gesetze von Gravitation,
Fluiddynamik und Strahlenphysik eine wirklichkeitsgetreue Spiralgalaxie bilden
lässt", erläutert Mayer die Simulation.
Die Simulation zeigt weiter, dass in einem Gebilde, welches sich zu einer
Spiralgalaxie entwickeln soll, die Sterne in den Bereichen mit riesigen
Gaswolkenkomplexen entstehen müssen. In diesen kalten molekularen Riesenwolken
weisen die Gase extrem hohe Dichten auf. Die Sternbildung und Verteilung erfolgt
dort nicht gleichmäßig, sondern klumpig und in Haufen. Dies wiederum führt zu
einer wesentlich größeren Erhitzung durch lokale Supernova-Explosionen. Durch
diese massive Erhitzung wird unter hoher Rotverschiebung sichtbare
Standardmaterie ausgeschleudert. Dies verhindert die Bildung einer gewölbten
Scheibe im Zentrum der Galaxie.
Das Ausschleudern von baryonischer Materie, wie die sichtbare Standardmaterie
auch genannt wird, reduziert zudem die Gesamtmasse an vorhandenem Gas im
Zentrum. Dies führt dazu, dass die richtige Sternmasse gebildet wird, wie sie
auch in der Milchstraße zu beobachten ist. Am Ende der Simulation steht eine
schmale, gekrümmte Scheibe, die den astronomischen Beobachtungen an der
Milchstraße in Bezug auf die Verhältnisse von Masse, Drehimpuls und
Rotationsgeschwindigkeit völlig entspricht.
Für die Berechnungen wurde das Modell weiterentwickelt, welches Mayer und
Kollegen im Zusammenhang mit der Simulation der Entstehung scheibenförmiger
Zwerggalaxien erarbeitet und 2010 im Wissenschaftsmagazin Nature
publiziert hatten. Das hoch Modell simuliert die Entstehung einer Galaxie mit
790 Milliarden Sonnenmassen und umfasst 18.6 Millionen Partikel, aus denen sich
Gase, Dunkle Materie und Sterne bilden. Die hohe Auflösung der numerischen
Simulationen bildet die Voraussetzung für die neuen Resultate. Für die
Berechnungen kamen die Hochleistungs-Supercomputer am Swiss National
Supercomputing Centre CSCS der ETHZ und der NASA Advanced Supercomputer
Division zum Einsatz. Ein regulärer PC hätte für die Berechnungen 570 Jahre
benötigt.
Die neue Simulation bestätigt die von Mayer publizierten Resultate zur
Entstehung von scheibenförmigen Zwerggalaxien und zeigt, dass das Modell – im
Gegensatz zu allen bisherigen Ansätzen – sowohl kleine als auch sehr große
Galaxien wirklichkeitsgetreu abbilden kann. Weiter kann aus der Simulation
abgeleitet werden, dass Protogalaxien mit einer großen, aus Gasen und Sternen
bestehende Scheibe im Zentrum bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall und
damit lange vor der Bildung unserer heutigen Galaxien entstanden sind.
Aufgrund der Simulation muss nach Ansicht der Wissenschaftler auch das
Verhältnis von sogenannter "kalter Dunkler Materie" (CDM) und Standardmaterie in
Spiralgalaxien korrigiert werden. Um die richtige Gesamtsternmasse im Endstadium
der Galaxie zu erhalten - bislang eines der größten Probleme - ist es zwingend,
dass Standardmaterie durch Supernova-Winde aus dem Zentrum ausgeschleudert wird.
Am äußersten Rand des CDM-Rings einer Spiralgalaxie ist anhand der Simulation zu
erwarten, dass das Verhältnis Standardmaterie zu CDM nicht wie bisher angenommen
1:6, sondern 1:9 beträgt.
Die Simulation sagt zudem für den sechshunderttausend Lichtjahre entfernten
äußersten Halo der Milchstraße Sterne und Gase voraus. Erst die nächste
Generation an Raumsonden und Teleskopen wird in der Lage sein, diese nur sehr
schwach leuchtenden Sterne zu entdecken. Weiter macht die Simulation Voraussagen
in Bezug auf die radiale Verteilung von heißen Gasen um die zentrale Scheibe der
Galaxie. Zukünftige Teleskope, die Röntgenstrahlen messen können, wie
beispielsweise die geplante IXO-Mission von ESA und NASA, werden diese
Vorhersage prüfen können. Da wird man auch wissen, ob die jetzt vorgestellte
Simulation in allen Punkten so wirklichkeitsgetreu ist, wie die Astronomen
hoffen.
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