Rotationsgeschwindigkeit neu bestimmt
von Stefan Deiters astronews.com
12. Juli 2011
Durch die genaue Verfolgung bestimmter Strukturen in der
Atmosphäre des Neptun ist es nun gelungen, die Rotationsgeschwindigkeit des
äußersten Gasplaneten mit bislang unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Neptun
dreht sich danach alle 15 Stunden, 57 Minuten und 59 Sekunden einmal um die
eigene Achse.
Falschfarbenbild
von Neptun mit einigen der Strukturen in der
Atmosphäre, anhand derer jetzt die
Rotationsgeschwindigkeit des Planeten neu
bestimmt wurde.
Bild: University of Arizona / Erich
Karkoschka [Großansicht] |
Ein Tag auf dem äußersten Planeten unseres Sonnensystems, dem
Gasplaneten Neptun, dauert exakt 15 Stunden, 57 Minuten und 59 Sekunden. Zu
diesem Ergebnis gelangte jetzt Erich Karkoschka von der University of Arizona
durch eine detaillierte Auswertung von Beobachtungen des Planeten. "Die
Rotationsgeschwindigkeit ist eine fundamentale Eigenschaft eines Planeten",
erläutert Karkoschka, der am Lunar and Planetary Laboratory der Universität
arbeitet. "Auf Neptun gibt es zwei Strukturen, die mit dem Weltraumteleskop
Hubble zu beobachten sind und die offenbar mit der inneren Rotation des Planeten in
Zusammenhang stehen. Auf keinem der vier Riesenplaneten hat man bislang so etwas
beobachten können." Über seine Entdeckung berichtete Karkoschka in der Fachzeitschrift
Icarus.
Die Bestimmung der Rotationsgeschwindigkeit ist bei Gasplaneten naturgemäß
deutlich komplizierter als bei Gesteinsplaneten wie Venus, Mars oder Merkur. Die
Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun rotieren nicht wie ein starrer
Körper, sondern eher wie riesiger Flüssigkeitstropfen. Man nimmt zwar an, dass
sie alle über einen festen Kern verfügen, doch versteckt sich dieser unter
dichten Atmosphärenschichten, in denen es zu turbulenten Verwirbelungen kommen kann, die die
eigentliche Drehung überlagern.
"Wenn man aus dem Weltall auf die Erde blickt, lassen sich auf ihr Berge und
andere Strukturen erkennen, die sehr regelmäßig rotieren", erläutert Karkoschka.
"Würde man sich nur die Wolken anschauen, gäbe es diese Regelmäßigkeit nicht,
weil der Wind sich andauernd ändert. Auf Neptun sieht man nichts weiter als
Wolken und Strukturen in der Atmosphäre. Einige bewegen sich schneller, andere
langsamer, einige beschleunigen, so dass man wirklich keine Ahnung hat, wie groß
hier die Rotationsgeschwindigkeit sein könnte, wenn es denn einen festen, sich
drehenden Kern gibt."
Mit Beginn der Radioastronomie in den 1950er Jahren entdeckten Astronomen
Radiopulse vom Jupiter, die durch sein im Inneren erzeugtes Magnetfeld
entstehen. Ähnliche Signale von den anderen Gasplaneten waren auf der Erde
allerdings nicht zu empfangen, so dass entsprechende Messungen erst mit den
Sonden Voyager 1 und Voyager 2 durchgeführt werden konnten. Auf Grundlage dieser
Messungen gelang es schließlich, die Rotationsgeschwindigkeit aller vier
Gasplaneten zu ermitteln. "Wir dachten, dass wir die Rotationsperiode dieser
Planeten nun kennen", so Karkoschka.
Als jedoch die Saturnsonde Cassini 15 Jahre später den Ringplaneten
erreichte, stellte man fest, dass sich die Periode der Radiosignale um etwa
ein Prozent von den älteren Messungen unterschied. In so kurzer Zeit aber konnte die
Eigendrehung eines Planeten dieser Größe sich nicht so deutlich verändert haben.
"Irgendetwas war also merkwürdig", erinnert sich Karkoschka. Außerdem entdeckte
man später, dass sich Nord- und Südhalbkugel des Saturn mit unterschiedlicher
Geschwindigkeit zu drehen schienen. "Dadurch erkannten wir, dass die
Magnetfelder kein wirkliches Uhrwerk sind, sondern verrutschen", erklärt der
Wissenschaftler. "Das rotierende Innere zieht das Magnetfeld mit, doch durch den
Sonnenwind und andere, noch unbekannte Einflüsse, kann es nicht mithalten und
fällt praktisch hinter den Planetenkern zurück."
Karkoschka wollte daher auf eine andere Weise der Rotation des Neptun auf
die Spur kommen: Er nutzte frei zugängliche Bilder aus den Archiven des
Weltraumteleskops Hubble. Akribisch und mit großer Geduld wertete er mehrere
Hundert dieser Beobachtungen aus und analysierte jede in der Atmosphäre erkennbare
Struktur, die etwas über das Rotationsverhalten hätte verraten können. In diesem
Umfang hatte dies bislang noch niemand gemacht.
"Als ich mir die Bilder anschaute, erkannte ich, dass sich Neptun schneller
zu drehen scheint, als Voyager beobachtet hat", erzählt Karkoschka. "Ich
schätze, dass meine Bestimmung der Rotationsgeschwindigkeit in etwa 1.000-mal
genauer ist, als die auf den Voyager-Messungen basierende Bestimmung. Das ist schon
ein großer Fortschritt bei der Bestimmung der Eigendrehung von Neptun, den es in
den vergangenen drei Jahrhunderten für keinen der Riesenplaneten gegeben hat."
Karkoschka entdeckte in der Neptun-Atmosphäre zwei Strukturen, die ungefähr
fünf Mal regelmäßiger rotieren, als das bekannte Sechseck in der
Saturnatmosphäre (astronews.com berichtete), der bisherige Rekordhalter in dieser Hinsicht. Es gelang dem
Forscher diese beiden South Polar Feature und South Polar Wave genannten
Strukturen über einen Zeitraum von über 20 Jahren zu verfolgen. Beide Strukturen
tauchen alle 15,9663 Stunden wieder auf - mit einer Abweichung von nur wenigen
Sekunden. "Diese Regelmäßigkeit deutet darauf hin, dass es irgendeine
Verbindung zwischen diesen Strukturen und dem Inneren von Neptun geben muss",
vermutet Karkoschka. "Wie diese Verbindung aussieht, darüber kann man nur
spekulieren."
Auf alten Voyager-Aufnahmen von Neptun entdeckte Karkoschka sechs weitere
Strukturen in der Atmosphäre, die sich ganz in der Nähe der auf den
Hubble-Bildern entdeckten Merkmale befanden und mit diesen offenbar auch in
Zusammenhang stehen. Sie lassen sich von der Erde allerdings nicht erkennen. Die
Frage, wie diese Strukturen entstehen, könnte somit auch Neues über den inneren
Aufbau des Planeten verraten. "Wir kennen die Gesamtmasse von Neptun, wissen
aber nichts über deren Verteilung", so Karkoschka. "Wenn der Planet
schneller rotiert als wir bislang angenommen haben, könnte sich mehr Masse als
gedacht in der Nähe des Zentrums befinden. Dies wiederum würde unsere Modelle
vom Aufbau des Planeten beeinflussen, was weitere Implikationen
haben könnte."
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