Blue Straggler im Bulge der Milchstraße
von Stefan Deiters astronews.com
30. Mai 2011
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble haben
Astronomen eine Reihe von eigentümlichen Sternen im zentralen Bulge unserer
Galaxie aufgespürt. Diese Blue Straggler erscheinen deutlich jünger als
sie eigentlich sein können und wurden bereits in zahlreichen Sternhaufen
nachgewiesen. Nur im Zentrum der Milchstraße blieben sie unentdeckt - bis
Hubble hier nach extrasolaren Planeten suchte.
In einem kleinen Bereich in der Nähe des
Zentrums der Milchstraße konnten Astronomen mit
Hilfe von Hubble zahlreiche Blue Straggler
nachweisen. Rechts die untersuchte Region der
SWEEPS-Durchmusterung.
Bild: NASA, ESA, W. Clarkson (Indiana
University und UCLA) und K. Sahu (STScI) [Großansicht] |
Den Namen Blue Straggler - also etwa "blaue Nachzügler" -
hat der jetzt von Hubble im zentralen Bulge der Milchstraße
nachgewiesene Sternentyp bekommen, weil Sterne dieses Typs auf den ersten Blick
jünger erscheinen, als sie nach den Theorien der Sternentwicklung eigentlich
sein können. Astronomen haben diese ungewöhnlichen Sterne bereits in zahlreichen
Sternhaufen entdeckt, jedoch bislang nicht im Zentralbereich unserer
Milchstraße.
Die Forscher vermuten, dass sich Blue Straggler in
Doppelsternsystemen bilden: Wenn sich der massereichere Partner ausdehnt, zieht
der weniger massereiche Stern Material von diesem ab. Dadurch wird der
masseärmere Stern praktisch verjüngt: Die Rate, mit der Wasserstoff im Inneren
des Sterns fusioniert, nimmt zu, der Stern wird heißer und leuchtet bläulicher.
Er sieht also wie ein massereicher junger Stern aus. Für die These spricht, dass
Blue Straggler vermehrt im dichten Inneren von Sternhaufen beobachtet wurden, wo
es also besonders viele Doppelsternsysteme geben muss.
Die Entdeckung dieser Sterne im zentralen Bulge der Milchstraße werten die
Astronomen als Bestätigung dafür, dass in dieser Region tatsächlich seit einigen
Milliarden Jahren keine neuen Sterne entstanden sind und sich hier nur alternde
sonnenähnliche Sterne befinden. Blaue Riesensterne, die es hier einmal gab, sind
schon längst als Supernova explodiert.
"Der zentrale Bulge der Milchstraße ist zwar der uns am nächsten gelegene
galaktische Bulge, doch gibt es noch immer verschiedene Aspekte über dessen
Entstehung und Entwicklung, die nur sehr schlecht verstanden sind", erläutert
Will Clarkson von der Indiana University in Bloomington, der die
Ergebnisse der Studie in der vergangenen Woche auf einem Treffen der
American Astronomical Society in Boston vorstellte. "Viele Details über die
Sternentwicklungsgeschichte werden noch immer kontrovers diskutiert. Die
Population von Blue Stragglern, die wir entdeckt haben, liefert nun
neue Randbedingungen für Modelle über die Sternentstehungsgeschichte des
galaktischen Bulges."
Die Entdeckung der Blue Straggler gelang im Rahmen einer siebentägigen,
Sagittarius Window Eclipsing Extrasolar Planet Search (SWEEPS) genannten
Durchmusterung, die mit Hubble im Jahr 2006 durchgeführt wurde. Dabei
behielt Hubble rund 180.000 Sterne im zentralen Bulge unserer
Milchstraße im Auge. Ziel war es, auf diese Weise Gasriesen zu finden, die ihren
Zentralstern in geringer Entfernung umkreisen und dabei - von der Erde aus
gesehen - vor ihrer Sonne vorüberziehen. Praktisch nebenbei wurden so auch 42
eigentümliche blaue Sterne entdeckt, die nach Helligkeit und Temperatur
eigentlich sehr viel jünger sein müssten als die normalen Sterne im Bulge und
auch sonst verdächtig nach Blue Stragglern aussahen.
Mit SWEEPS fanden die Astronomen zudem keine Hinweise darauf, dass es
tatsächlich eine nennenswerte Population von jungen Sternen im Bulge gibt. Die
Schwierigkeit, diese Sterne nun tatsächlich als Objekte des Bulges zu bestätigen,
bestand darin, sie von jungen Sternen in der galaktischen Scheibe zu
unterscheiden, die lediglich auf unserer Sichtline ins galaktische Zentrum
liegen. Hubble musste dazu die potentiellen Blue Straggler
erneut beobachten. Dies geschah in einem Abstand von zwei Jahren. Es stellte
sich dabei heraus, dass sich die entdeckten blauen Sterne zusammen mit den
anderen Sternen im Bulge bewegt haben und somit eine andere Geschwindigkeit
aufwiesen als Sterne im Vordergrund.
"Die Größe des beobachteten Sichtfeldes am Himmel entspricht in etwa der
Dicke eines menschlichen Fingernagels am ausgestreckten Arm", verdeutlicht
Clarkson. "Und in dieser Region in Richtung des Bulges hat Hubble etwa
eine Viertelmillionen Sterne gesehen. Nur dank der einmaligen Bildqualtität und
Stabilität der Beobachtungen von Hubble war es möglich, solche
Messungen in einem so eng zusammenliegenden Sternenfeld zu machen."
Das Team schätzt, dass es sich bei 18 bis 37 der 42 Blue-Straggler-Kandidaten
tatsächlich auch um solche handelt. Der Rest könnten Vordergrundsterne oder
tatsächlich noch existierende junge Sterne im Bulge sein. Ihre Resultate
beschreibt das Team auch in einem Fachartikel in der Zeitschrift The
Astrophysical Journal, der in Kürze erscheint.
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