Auswertung von Strahlungsexperiment beginnt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
17. Mai 2011
Mithilfe der menschenähnlichen MATROSHKA-Puppe versuchen
Raumfahrtmediziner an Bord der Internationalen Raumstation ISS mehr über
die Strahlenbelastung im Weltraum zu erfahren. Jetzt wurden erneut
Detektoren zur Auswertung zur Erde geschickt. Die Daten sollen helfen,
Aufenthalte an Bord der ISS oder auch eine Reise zum Mars sicherer zu
machen.
Aus insgesamt 33 Scheiben bestehen Kopf und
Oberkörper der MATROSHKA. Im Innersten des Torsos
befindet sich ein menschliches Skelett,
eingegossen sind diese Knochenteile in den
Kunststoff Polyurethan, der das menschliche
Gewebe in seiner unterschiedlichen Dichte
simuliert.
Foto: NASA / DLR |
Fein säuberlich in einzelne Fächer aufgeteilt sehen die kleinen, fast
durchsichtigen Kristalle eher unscheinbar aus. Für die Wissenschaftler
des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt (DLR) und ihre Kollegen in den USA, Japan, Russland
und Europa sind sie dennoch enorm spannend: Sie bieten ihnen
Informationen darüber, welcher Strahlungsdosis die Astronauten während
ihres Aufenthalts im japanischen Kibo-Modul der Internationalen
Raumstation ISS ausgesetzt sind. Von Mai 2010 bis März 2011 ruhten die
Strahlungsdetektoren im künstlichen Körper des "Phantoms" MATROSHKA.
"Wir wollen vor allem den Langzeiteffekt von Strahlung untersuchen",
sagt Projektmanager Dr. Thomas Berger vom DLR-Institut für Luft- und
Raumfahrtmedizin.
Aus insgesamt 33 Scheiben bestehen Kopf und Oberkörper der MATROSHKA. Im
Innersten des Torsos befindet sich ein menschliches Skelett, eingegossen
sind diese Knochenteile in den Kunststoff Polyurethan, der das
menschliche Gewebe in seiner unterschiedlichen Dichte simuliert. Scheibe
für Scheibe haben die Astronauten das "Phantom" MATROSHKA
auseinandergebaut und an 1.600 Messpunkten die kleinen Röhrchen mit den
Strahlungsdetektoren entnommen.
"Wir wollen vor allem herausfinden, welche Organe in welchem Ausmaß von
der Strahlung betroffen sind", erläutert der Projektmanager. Deshalb
integrieren die Forscher die winzigen Detektoren im gesamten künstlichen
Körper und erfassen damit präzise, wie sehr unterschiedliche Organe wie
Lunge, Magen oder Hautoberfläche auf die kosmische und solare Strahlung
des Weltraums reagieren. "Die Messungen, bei denen die Astronauten
Dosimeter an ihrem Körper tragen, registrieren ja ausschließlich an der
Körperoberfläche." Auf der Erde ist der Mensch durch die Atmosphäre vor
dieser Strahlung geschützt - ihre Wirkung ist vergleichbar mit der einer
zehn Meter hohen Wassersäule. Im Weltall bei einem Außeneinsatz der
Astronauten schützt nur noch der Raumanzug - die Wassersäule würde im
Vergleich auf einen Zentimeter schrumpfen.
Bereits vier Mal diente die MATROSHKA-Puppe als Messwerkzeug: Bei ihrem
ersten Einsatz 2004 montierten die Astronauten den Oberkörper für 539
Tage an der Außenseite der Raumstation. Mit jeweils neuen Detektoren
ausgerüstet wurde MATROSHKA dann in den folgenden Jahren zum
zusätzlichen Crew-Mitglied in den russischen Modulen Pirs und
Zvezda, in dem die Astronauten schlafen, sowie zum Schluss im
japanischen Modul Kibo. "Die Auswertung dieser Detektoren hat
uns interessante Ergebnisse geliefert: So ist die Dosis in den inneren
Organen fast unabhängig davon, ob sich MATROSHKA innerhalb oder
außerhalb der Station befindet. Je tiefer ein Organ im Körper liegt,
desto stärker wird es durch den Körper selbst abgeschirmt."
Als besonders empfindliche Organe gelten dabei die Lunge, der Magen, die
Fortpflanzungsorgane sowie blutbildende Organe wie das Knochenmark. Die
Haut, so die Messungen der DLR-Forscher, ist hingegen vergleichsweise
unempfindlich. "Wir wissen jetzt schon, dass einige Bereiche der
Raumstation mehr, manche weniger gegen die Strahlung abgeschirmt sind",
sagt Strahlenphysiker Thomas Berger. Bis September, schätzt
Projektmanager Berger, wird es wohl dauern, bis die aktuellen Daten, die
im Kibo-Modul aufgezeichnet wurden, detailliert ausgewertet
sind. Die Proben der verschiedenen internationalen Partner hat das DLR
als MATROSHKA-Projektleitung bereits an die jeweiligen Einrichtungen
verschickt. Die gemessenen Daten werden dann auch in Computerprogramme
einfließen, um diesen bei der Simulation von Strahlenbelastungen eine
breitere Datenbasis zu ermöglichen.
Die Forschung der Wissenschaftler konzentriert sich aber nicht nur auf
die Internationale Raumstation. "Wir versuchen auch, Erkenntnisse für
einen Flug zum Mars zu gewinnen." Im interplanetaren Raum müssten die
Raumfahrer nicht nur auf die schützende Erdatmosphäre, sondern zudem
noch auf das Magnetfeld der Erde verzichten. Auch auf der Erde selbst
sind Phantome wie MATROSHKA im Einsatz: In Kooperation mit der
Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt simuliert das DLR mit
einem MATROSHKA-Zwilling die Bestrahlung eines an Krebs erkrankten
Menschen. "Dort erforschen wir zum Beispiel, wie groß die Strahlendosis
in den Organen ist, die vom eigentlichen Bestrahlungsort entfernt
liegen."
Für die MATROSHKA an Bord der Internationalen Raumstation steht nun
zunächst einmal eine Ruhepause an. Nach dem Ausbau der
Strahlungsdetektoren hat ESA-Astronaut Paolo Nespoli das zusätzliche
Crew-Mitglied aus dem Kibo-Modul im russischen Zarya-Modul
zwischengelagert. Pläne für die Zukunft gibt es aber bereits: "MATROSHKA
soll noch einmal an der Außenhaut der ISS exponiert werden", erläutert
der wissenschaftliche Leiter der MATROSHKA-Experimente, Dr. Günther
Reitz vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Seit dem letzten
Außeneinsatz der MATROSHKA 2004 hat sich die Aktivität der Sonne
geändert. "Wir werden also einen weiteren Datensatz für einen
Astronauten beim Weltraumaußeneinsatz erhalten, der im Vergleich zur
ersten Außenexposition unter veränderter Sonnenaktivität stattfindet."
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