Gravitationsmessungen mit Neutronen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technische Universität Wien astronews.com
18. April 2011
Mit den Tricks der Quantenphysik kann nun auch die Gravitation auf kurzen
Abständen untersucht werden: An der Technischen Universität (TU) Wien wurde dazu
ein neues Messverfahren entwickelt, mit dem sich Theorien über die Schwerkraft
nun präzise testen lassen. Die Wissenschaftler erhoffen sich davon neue
Erkenntnisse über die Stringtheorie und vielleicht sogar über die dunkle
Materie.

Neutronen zwischen zwei Platten
können im Schwerefeld der Erde unterschiedliche
Quantenzustände einnehmen. Eine vibrierende Platte (unten)
hebt sie von einem Zustand in den anderen - das erlaubt eine
hochpräzise Energiemessung.
Bild: Florian Aigner, TU Wien /
idw |
Bei den genauesten Messverfahren, die wir kennen, ist
Quantenphysik im Spiel: Hochpräzise Atomuhren oder hochauflösende
Magnetresonanzverfahren in der Medizin beruhen auf der Vermessung von
Quantensprüngen: Regt man ein Teilchen in genau der richtigen Frequenz
an, wechselt es seinen Quantenzustand – man spricht von
"Resonanzspektroskopie". Alle bisherigen Verfahren dieser Art verwenden
dafür elektromagnetische Strahlung oder Felder. Wissenschaftler an der
TU Wien haben nun eine Resonanzmethode entwickelt, die zum ersten Mal
ohne Elektromagnetismus auskommt und auf die Schwerkraft angewandt wird.
Durch die Gravitation ergeben sich für die Neutronen verschiedene
mögliche Quantenzustände. Neu ist, dass Übergänge zwischen diesen
Zuständen angeregt und präzise vermessen werden können. Die Ergebnisse
dieser Experimente wurden nun im Fachjournal Nature Physics
publiziert.
Schwerkraft und Quantenphysik haben auf den ersten Blick wenig
miteinander zu tun: Die Gravitation spüren wir, wenn große, massereiche
Objekte wie Sterne oder Planeten im Spiel sind. Für Quantenteilchen
hingegen spielt die Schwerkraft meist keine große Rolle. Mit der neuen
Methode werden diese beiden Bereiche nun verknüpft - die Theorie der
Gravitation lässt sich nun auf der Skala kleinster Entfernungen
untersuchen. Damit erhofft man sich auch neue Erkenntnisse über
Stringtheorie und die Natur dunkler Materie. Bisher beschränkte sich die
Erforschung der Schwerkraft auf makroskopische Entfernungen - oder gar
auf astronomische Abstände.
Die Auswirkungen der Gravitation auf sehr kurzen Längenskalen zu messen
ist schwer: "Die Aussagekraft von Atomen bei solchen Experimenten ist
begrenzt, weil ihr Verhalten von kurzreichweitigen elektrischen Kräften
stark dominiert wird - etwa von Van der Waals- oder Casimirkräften",
erklärt Prof. Hartmut Abele von der TU Wien. "Doch mit ultrakalten
Neutronen, die ladungslos und extrem wenig polarisierbar sind, können
wir auf kurzen Abständen sehr präzise messen." Neben Prof. Abele und
seinen Assistenten Tobias Jenke und Dr. Hartmut Lemmel war auch Dr.
Peter Geltenbort vom Institut Laue-Langevin in Grenoble an dieser
Forschungsarbeit beteiligt.
Ein Stein lässt sich in eine beliebige Höhe anheben – und je höher wir
ihn heben, umso mehr Energie müssen wir aufwenden. Bei Quantenteilchen,
wie den Neutronen, die zwischen zwei ebenen Platten hindurchfliegen, ist
das anders: Sie können nur ganz bestimmte Portionen von
Gravitations-Energie aufnehmen. An der Neutronenquelle des Instituts
Laue-Langevin in Grenoble gelang es den Wiener Physikern, den
quantenphysikalischen Energie-Zustand der Neutronen zwischen zwei ebenen
Platten genau festzulegen. Eine der Platten ließ man dann mit einer
präzise kontrollierten Frequenz vibrieren. Entspricht diese Frequenz
genau der Energiedifferenz zwischen zwei Quantenzuständen, wird das
Neutron dazu angeregt, in einen höheren Energiezustand zu wechseln. Wenn
man misst, bei welcher Frequenz es zu diesem Übergang kommt, weiß man
auch, welcher Energie-Unterschied zwischen den beiden Quantenzuständen
besteht.
Massive Objekte haben zwei wichtige Eigenschaften: Sie sind träge (sie
lassen sich also nur mit großem Kraftaufwand beschleunigen) und sie sind
schwer (auf sie wirkt eine starke Gravitationskraft, nämlich die
Anziehungskraft der Erde). Schon im 16. Jahrhundert erkannte man, dass
Trägheit und Schwere zusammengehören und dass deshalb alle Objekte
unabhängig von ihrer Masse gleich schnell zu Boden fallen. Ob das nur
eine gute Näherung ist, oder ob das tatsächlich auch auf winzigen Skalen
in der Quantenwelt stimmt, soll sich nun mit den neuen Experimenten
endlich untersuchen lassen.
Schon seit Jahrzehnten wird angestrengt versucht, die Gravitation mit
der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie aller Kräfte zu
vereinen. So entstanden etwa verschiedene Stringtheorien, von denen die
Existenz von zusätzlichen Raumdimensionen vorhergesagt wird, die uns
bisher noch verborgen geblieben sind. "Mit unserer Neutronen-Methode
werden wir jetzt daran gehen, solche Theorien direkt im Labor zu
testen", blickt Abele in die Zukunft.
Selbst für die Kosmologie können diese Experimente eine wichtige Rolle
spielen: Auch Theorien über die geheimnisvolle "dunkle Materie", die
Bewegungen der Galaxien beeinflussen soll, können nun auf winziger Skala
durch die hochpräzisen Neutronen-Messungen untersucht werden. "Unsere
Methode, die für die ganz kleinen Längenskalen gemacht ist, könnte
möglicherweise - viel Glück vorausgesetzt - Aussagen über die
Entwicklung des Universums an sich erlauben. Auf jeden Fall erwarten uns
spannende Neuigkeiten der Gravitationsforschung", ist Abele
zuversichtlich.
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