Verschmelzungen sorgen nicht für Aktivität
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
6. Januar 2011
In aktiven Galaxienkernen verschlingen gewaltige Schwarze Löcher ungeheure
Mengen an Material. Bislang waren viele Astronomen davon ausgegangen, dass diese
Aktivität durch die Verschmelzung von Galaxien ausgelöst wird. Eine jetzt
veröffentlichte Studie, bei der Beobachtungen von 1.400 Galaxien ausgewertet
wurden, deutet aber nun darauf hin, das dies nicht der wichtigste Grund sein kann.

Eine Auswahl der untersuchten Galaxien: Wenn Verschmelzungen
großer Galaxien dafür sorgen, dass den zentralen
Schwarzen Löchern solcher Galaxien mehr Materie
zugeführt wird und sie dann zu leuchten beginnen,
sollte man bei aktiven Galaxien (ein Beispiel
links) häufiger Verzerrungen - also die Spuren
solcher Verschmelzungen - finden als bei
inaktiven Galaxien (ein Beispiel rechts).
Bild:: NASA/ESA und M. Cisternas (MPIA)
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Die enorme Energie, die aktive Galaxienkerne (im Englischen Active
Galactic Nuclei, AGN) freisetzen, geht auf Materie zurück, die in
das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie fällt.
Allerdings ist bislang ungeklärt, wie diese Materie über die letzten
wenigen Lichtjahre in die unmittelbare Umgebung des Schwarzen Lochs
transportiert wird. Eine in den späten 1980er Jahren erschienene Studie
von David Sanders und Kollegen schien einen geeigneten Mechanismus für
den Materietransport zu präsentieren: Verschmilzt eine Galaxie mit einer
ähnlich großen anderen Galaxie, würde das Galaxiengas dramatisch
gestört, und einiges davon in Richtung des zentralen Schwarzen Loches
der Galaxie fallen.
Dies erscheint wie ein plausibles Szenario, das allerdings nur mit einer
umfangreichen systematischen Studie überprüft werden kann. Dieses Ziel
steckten sich 2008 Mauricio Cisternas und Knud Jahnke vom
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA). "Eine so umfassende Studie
ist erst kürzlich möglich geworden", so Cisternas. "Nur die neuesten
Durchmusterungen des Weltraumteleskops Hubble, liefern die
dafür nötigen Daten. Vorher gab es schlicht keine Möglichkeit, eine
genügend große Anzahl von weit entfernten aktiven Galaxien hinreichend
detailliert zu untersuchen."
Cisternas und seine Kollegen nutzen die Daten von 140 aktiven
Galaxienkernen (AGN), die zuvor im Rahmen der COSMOS-Durchmusterung mit
Röntgenbeobachtungen des Weltraumteleskops XMM-Newton als aktiv
identifiziert worden waren. Das Licht der entferntesten dieser AGN war
rund acht Milliarden Jahre unterwegs, bevor es uns erreichte: Wir sehen
diese AGN also so, wie sie vor acht Milliarden Jahren ausgesehen haben.
Damit umfasst die Stichprobe Daten zum Wachstum Schwarzer Löcher während
der gesamten zweiten Hälfte der Geschichte unseres Universums.
Das besondere an der Studie ist nun, dass die Astronomen systematisch
eine "Kontrollgruppe" von normalen Galaxien zusammenstellten - also von
Galaxien, deren zentrales Schwarzes Loch keine großen Mengen an Materie
verschluckt. Für jeden der AGN in der Studie wurden aus dem gleichen
Satz von Hubble-Bildern neun nichtaktive Galaxien in ungefähr
der gleichen Entfernung und mit der gleichen Masse ausgewählt, die damit
in die gleiche Ära kosmischer Entwicklung gehören. Insgesamt kamen die
Forscher so auf eine Stichprobe von 1.400 Galaxien. Diese Auswahl
erlaubte es, aktive Galaxien und eine dazugehörige Population
nicht-aktiver Galaxien direkt miteinander zu vergleichen.
Dass eine Galaxie in den letzten hunderten Millionen Jahren an einer
großen Verschmelzung beteiligt war, zeigt sich daran, dass die Form der
Galaxie in charakteristischer Weise verzerrt ist. Für Bilder dieser Art,
die weit entfernte Galaxien zeigen, ist die automatische Auswertung
durch Computerprogramme nur zweite Wahl. Als deutlich effektiver erweist
es sich, die Bilder durch Astronomen direkt begutachten zu lassen.
"Allerdings hatten wir dabei das Problem, wie wir mit den Erwartungen
und mit möglichen Vorurteilen unserer Gutachter umgehen sollten. Alle
Beteiligten kannten Galaxienverschmelzungen als plausiblen Mechanismus
für die AGN-Aktivität – würden sie die AGN daher unbewusst häufiger
verzerrt einstufen?", verdeutlicht Jahnke die Problematik. Um solche
unbewussten Fehleinschätzungen auszuschließen, beschlossen die Forscher,
ihr Projekt als Blindstudie auszuführen - ein Standardverfahren etwa in
der medizinischen Forschung, aber in der Astronomie recht ungewöhnlich.
Cisternas entfernte dazu diejenigen Bildbestandteile, die auf die
Aktivität einer Galaxie hinweisen, so dass die Gutachter keine
Möglichkeit haben würden, anhand des Bildes zu erkennen, ob sie es mit
einer aktiven oder inaktiven Galaxie zu tun hätten. Die beiden
Stichproben wurden anschließend gemischt und die Bilder zehn
Galaxienexperten aus acht verschiedenen Instituten vorgelegt, die die
Aufgabe bekamen, jede Galaxie als "verzerrt" oder "nicht verzerrt"
einzuschätzen.
Im Einzelnen waren die Einschätzungen der Experten dabei durchaus
unterschiedlich - ein Zeichen dafür, dass die Astronomen unterschiedlich
strenge Kriterien anlegten. Doch bei dem entscheidenden Aspekt kamen
alle zu dem gleichen Ergebnis: Keine der Klassifikationen zeigte einen
signifikanten Unterschied zwischen aktiven und inaktiven Galaxien. Es
gab keinen deutlichen Zusammenhang zwischen der Aktivität einer Galaxie
und ihrer Verzerrung, und damit offenbar keinen Zusammenhang zwischen
der Menge an Material, die das Schwarzen Loch einer Galaxie verschlingt
und der Teilnahme der Galaxie an großen Verschmelzungsereignissen.
Galaxienverschmelzungen sind in der kosmischen Geschichte recht häufig
und haben zumindest zur Aktivität einiger AGN beigetragen. Die Studie
zeigt aber, dass sie weder ein universeller noch der wichtigste
Mechanismus sind, um Schwarzen Löchern Materie zuzuführen. Der
statistischen Auswertung zufolge gibt es für mindestens 75 Prozent, und
vielleicht sogar für die gesamte AGN-Aktivität der letzten 8 Milliarden
Jahre andere Erklärungen.
Zu den Möglichkeiten, Materie zu zentralen Schwarzen Löchern zu
transportieren, gehören instabile Gebilde wie die "Balken" einiger
Spiralgalaxien sowie Zusammenstöße gigantischer Molekülwolken innerhalb
einer Galaxie, oder der nahe Vorbeiflug einer anderen Galaxie, bei dem
es aber nicht zu einer Verschmelzung kommt.
Könnte es in noch fernerer Vergangenheit - bei weiter entfernten aktiven
Galaxien - einen Zusammenhang zwischen Verschmelzungen und Aktivität der
galaktischen Kerne geben? Dieser Frage will sich das Forscherteam als
nächstes zuwenden. Die richtigen Daten dafür versprechen zwei derzeit
laufende Beobachtungsprogramme des Weltraumteleskops Hubble,
sowie Beobachtungen seines Nachfolgers, des James Webb-Weltraumteleskops,
das aber frühestens 2014 seine Arbeit aufnehmen wird.
Die Wissenschaftler veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen
in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal.
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