Woher Materie ihre Masse bekommt
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Jena astronews.com
30. Dezember 2010
Nicht nur aus extrem heißen Plasmen können Teilchenphysiker etwas über die Zeit
unmittelbar nach dem Urknall lernen, sondern auch aus ultrakalten atomaren
Gasen. Deren Verhalten hat nämlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit Vorgängen,
die sich im frühen Universum abgespielt haben müssen. Eine deutschlandweite
Forschergruppe, die sich mit diesen Fragen beschäftigt, wird nun für drei
weitere Jahre von der DFG unterstützt.

Wie genau entstand die Materie nach dem Urknall,
aus der sich später Sterne und Galaxien bilden
konnten? Wissenschaftler suchen auch in
ultrakalten Plasmen nach Antworten.
Bild: STScI / NASA |
Als Anfang des Jahres im Forschungszentrum CERN im schweizerischen Genf der weltgrößte Teilchenbeschleuniger seine Arbeit aufgenommen hat, verfolgte nicht nur die Fachwelt gespannt die Nachrichten: In einer kilometerlangen unterirdischen Röhre rasen Elementarteilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu, um schließlich miteinander zu kollidieren.
"Diese gewaltigen Kollisionen lassen in Sekundenbruchteilen die Materie in ihre Grundbausteine zerfallen und ermöglichen so einen Blick auf ihren Urzustand kurz nach dem Urknall",
erklärt Prof. Dr. Holger Gies von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Der Inhaber der Heisenberg-Professur für Theoretische Physik und Quantenfeldtheorie ist
selbst den Prozessen am unmittelbaren Beginn unseres Universums auf der
Spur.
Allerdings untersuchen Gies und sein Team die Wechselwirkungen von Elementarteilchen nicht nur in extrem heißen Plasmen, wie sie in einem Teilchenbeschleuniger entstehen. Sie nehmen ebenso ultrakalte atomare Gase unter die Lupe und berechnen, wie sich Materieeigenschaften kollektiv ändern können.
"Uns interessiert dabei vor allem, wie Materie ihre Masse bekommt. Die Mechanismen im frühen Universum haben dabei verblüffende Ähnlichkeit mit der Kondensation von ultrakalten Gasen in kollektive Quantenzustände",
erläutert Gies. Eingebunden sind die Untersuchungen in die deutschlandweite Forschergruppe
"Funktionale Renormierungsgruppe für korrelierte Fermion-Systeme", die die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auch in den kommenden drei Jahren mit rund 1,5 Millionen Euro
unterstützt - 200.000 davon fließen nach Jena.
Als Fermionen bezeichnen die Physiker eine Gruppe von Elementarteilchen, aus denen sämtliche Materie aufgebaut ist. Zu ihnen gehören
etwa Elektronen und Quarks, aber auch ganze Atome können fermionische Eigenschaften haben.
"Die induzierten Wechselwirkungen zwischen den Fermionen bezeichnen wir als Korrelationen",
erklärt Gies. "Sie sind verantwortlich für die Eigenschaften der Materie, die aus den Fermionen aufgebaut ist."
Mit ihren Berechnungen versuchen die Jenaer Physiker Messungen an Atomgasen zu verstehen, die im Temperaturbereich von Nanokelvin gewonnen werden
- bei etwa minus 273 Grad Celsius. Das sind die tiefsten Temperaturen des gesamten Universums.
"Anders als in Beschleunigerexperimenten lassen sich bei diesen Temperaturen die Korrelationen zwischen den fermionischen Atomen nahezu störungsfrei untersuchen",
so Gies. "Noch lieber wäre uns zwar ein direkter Zugang zum frühen Universum,
aber unsere theoretischen Konzepte machen es möglich, Rückschlüsse über diese
Zeit vor 13 Milliarden Jahren aus heutigen Laborexperimenten zu ziehen."
Im Rahmen der DFG-Forschergruppe geht es nun darum, eine mathematische Methode weiterzuentwickeln
- die "Funktionale Renormierung" -, mit der sich die Korrelationen der Fermionen quantitativ beschreiben lassen. Neben dem
Team an der Universität Jena sind auch Wissenschaftler der Universitäten in
Heidelberg, Stuttgart, Frankfurt am Main und Aachen an der Forschergruppe beteiligt.
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