Die verborgene Seite der Sternentstehung
Redaktion
/ Pressemitteilung der ESA astronews.com
6. Mai 2010
Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse des Infrarot-Weltraumteleskops
Herschel der ESA enthüllen bislang verborgene Details der
Sternentstehung. So untersuchte das Teleskop Tausende weit entfernte
Galaxien, in denen ungestüme Sternengeburten stattfinden sowie prachtvolle
sternbildende Staubwolken, die sich über die gesamte Milchstraße hinziehen.
Außerdem entdeckte Herschel den Embryo eines extrem massereichen
Sterns.
Der massereiche stellare Embryo befindet sich am
linken unteren Rand der galaktischen Blase RCW
120. Diese ist durch einen, in diesen
Wellenlängen nicht sichtbaren Stern entstanden.
Bild: ESA / PACS / SPIRE / HOBYS
Consortia [Großansicht]
In Staubfilamenten der Milchstraße entdeckte
Herschel Ketten von stellaren Kinderstuben.
Bild: ESA/Hi-GAL Consortium [Großansicht] |
Die heute auf einem ESA-Symposium präsentierten Ergebnisse stellen
frühere Annahmen über die Entstehung von Sternen in Frage. So konnte
durch Herschels Beobachtungen der sternbildenden Wolke RCW 120
ein Stern im Embryostadium entdeckt werden, der sich in mehreren
Hunderttausend Jahren zu einem der größten und hellsten Sterne unserer
Galaxie entwickeln dürfte. Er besitzt bereits jetzt die acht- bis
zehnfache Masse der Sonne und ist noch von einer 2.000 Sonnenmassen
erreichenden Gas- und Staubwolke umgeben, von der er weiter Materie
akkretieren kann. "Dieser Stern kann nur größer werden", meint Dr. Annie
Zavagno vom Labor für Astrophysik in Marseille.
Massereiche Sterne sind selten und kurzlebig. Einen solchen während der
Entstehung einzufangen bedeutet die einmalige Chance, ein seit langem
bestehendes Paradoxon in der Astronomie zu klären. "Nach unserem
derzeitigen Kenntnisstand ist es eigentlich nicht möglich, dass sich ein
Stern bildet, der größer ist als acht Sonnenmassen", so Zavagno. Der
Grund dafür ist, dass die intensive Strahlung, die von solch riesigen
Sternen ausgesandt wird, ihre Ursprungswolke auflösen sollten, noch
bevor sich mehr Masse anhäufen kann.
Aber sie bilden sich trotzdem irgendwie. Viele dieser "unmöglichen"
Sterne sind bereits bekannt, einige davon machen bis zu 150 Sonnenmassen
aus. Nun, da Herschel einen Stern am Anfang seiner Existenz
beobachtet hat, können die Astronomen mit Hilfe der gewonnenen Daten
untersuchen, inwiefern er ihren Theorien widerspricht. Herschel
ist das größte jemals in den Weltraum gestartete astronomische Teleskop.
Der Durchmesser seines Hauptspiegels ist viermal größer als der jedes
vorangegangenen Infrarot-Weltraumteleskops und eineinhalbmal größer als
der von Hubble.
Zu Beginn einer Sternengeburt werden die umgebenden Staub- und Gaswolken
bis auf ein paar Dutzend Grad über dem absoluten Nullpunkt aufgeheizt
und fangen an, Strahlung im fernen Infrarot-Wellenlängenbereich
auszusenden. Die Erdatmosphäre blockt den Großteil dieser Wellenlängen
vollkommen ab, weshalb Beobachtungen vom Weltraum aus notwendig sind.
Mit seiner bisher unerreichten Auflösung und Empfindlichkeit erfasst
Herschel die sternbildenden Regionen unserer Galaxie.
"Vor Herschel war nicht geklärt, wie sich die Materie in der
Milchstraße in hinreichend hoher Dichte und zu den erforderlichen
niedrigen Temperaturen zusammenballte, um Sterne zu bilden," erklärt
Sergio Molinari vom Institut für Weltraumphysik in Rom. Ein neues, auch
heute veröffentlichtes Bild von Herschel, das eine Reihe
stellarer Kinderstuben in der Milchstraße zeigt, klärt darüber auf.
Sternembryos erscheinen zunächst im Inneren der Filamente aus glühendem
Staub und Gas, die die gesamte Galaxie durchziehen. Die Filamente bilden
Ketten von Kinderstuben, die Dutzende Lichtjahre lang sind und die
Galaxie in ein Netz von Sternbrutstätten hüllen.
Herschel hat ferner den Weltraum jenseits unserer Galaxie unter
die Lupe genommen und das Infrarotlicht tausender anderer Galaxien
gemessen, die Milliarden von Lichtjahren entfernt im Universum verteilt
sind. Jede Galaxie erscheint so klein wie ein Staubkorn; durch ihre
Helligkeit können die Astronomen jedoch ihre Sterngeburtenrate
bestimmen. In der Regel gilt: je heller die Galaxie desto mehr Sterne
bringt sie hervor. Auch in diesem Fall wurden die bisherigen Kenntnisse
durch den von Herschel erbrachten Nachweis, dass sich die
Galaxien entlang der kosmischen Zeitskala viel schneller als
ursprünglich angenommen entwickelt haben, in Frage gestellt.
Die Astronomen waren der Ansicht, dass die Galaxien in den vergangenen
drei Milliarden Jahren mit ungefähr derselben Geschwindigkeit Sterne
gebildet haben. Herschel widerlegt dies jedoch. In der
Vergangenheit gab es zahlreiche Galaxien, in denen wahre Sternausbrüche
stattfanden und die Sterne 10- bis 15-mal schneller entstanden, als
heute in der Milchstraße. Was diese frenetische Aktivität auslöste, ist
noch nicht ganz klar. "Herschel wird uns nun die Gelegenheit
bieten, die Gründe für diese Vorgänge zu untersuchen", freut sich Steve
Eales von der Universität Cardiff in Großbritannien.
Zudem ist Herschel ein erstklassiges Instrument zur Erfassung
der kleinsten Formen der Materie, der Moleküle. Das Teleskop hat zum
ersten Mal im Weltraum einen neuen Zustand von Wasser entdeckt. Er ist
elektrisch geladen und kommt zum Unterschied von den bekannteren Formen,
wie festes Eis, flüssiges Wasser und gasförmiger Dampf, nicht in
natürlicher Weise auf der Erde vor. Wenn in den Geburtswolken, die die
jungen Sterne umgeben, ultraviolettes Licht durch das Gas dringt, kann
diese Strahlung jedoch ein Elektron aus dem Wassermolekül herausstoßen
und dieses mit einer elektrischen Ladung versehen.
"Diese Entdeckung ionisierten Wasserdampfs war eine Überraschung" sagt
Arnold Benz von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.
"Sie führt uns vor Augen, dass im frühen Geburtsstadium gewaltige
Prozesse vor sich gehen, die zu einer in der ganzen Wolke verbreiteten
energetischen Strahlung führen."
Von den größten Galaxien bis zu den kleinsten Molekülen – die
zahlreichen ersten Ergebnisse von Herschel werden in dieser
Woche auf der Fachtagung ESLAB 2010 vorgestellt, die am ESTEC, dem
Weltraumforschungs- und Technologiezentrum der ESA in Noordwijk in den
Niederlanden stattfindet. "Dies ist erst der Anfang der Mission. In den
kommenden Jahren werden wir dank Herschel noch viele weitere
wissenschaftliche Erkenntnisse erlangen" ist Göran Pilbratt,
Herschel-Projektwissenschaftler der ESA, überzeugt.
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