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ERDE
100 Jahre Potsdamer Schweresystem
Redaktion / Pressemitteilung des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam
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28. Dezember 2009

Wem während der Feiertage eine Christbaumkugel vom weihnachtlich geschmückten Baum gefallen und zerbrochen ist, der erhielt ein anschauliches Beispiel für die Auswirkungen der irdischen Schwerkraft. Den genauen Wert der Schwerebeschleunigung lernt man heute bereits in der Schule. Vor 100 Jahren bestimmte man ihn in Potsdam so genau, dass er zum weltweit gültigen Referenzwert wurde.

DLR

Das Schwerefeldmodell der Erde (in stark überhöhter Form). Bild: Achim Helm, GFZ 

Wenn eine Kugel vom Weihnachtsbaum fällt und auf dem Boden zwischen den Geschenken zerschellt, dann liegt das an der Schwerkraft. Jeder, der im Physikunterricht aufgepasst hat weiß: die Kugel wurde mit 9,81 Meter pro Sekunde-Quadrat in Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt, und das reicht zum Zersplittern am Boden. Aber woher kommt dieser Wert für die irdische Gravitation? Vor genau einhundert Jahren wurde erstmals die Erdanziehungskraft mit einer solchen Genauigkeit bestimmt, dass man diesen Messwert zu einem weltweit gültigen Referenzwert machen konnte.

Im 1892 eingeweihten Potsdamer Geodätischen Institut auf dem Telegrafenberg maßen die Vorgänger des GeoForschungsZentrums (GFZ) mit Pendeln die Erdbeschleunigung mit einer solchen Präzision, dass dieser Potsdamer Absolutwert weltweit Gültigkeit erlangte. "Der damalige Direktor, Professor Robert Helmert, bewies eine großartige wissenschaftliche Weitsicht bei diesen Arbeiten," sagt Professor Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ. "Mit Helmert wurde Potsdam zur Wiege der wissenschaftlichen Geodäsie."

Mit der Veröffentlichung seines Berichts über die relativen Messungen der Schwerkraft mit Pendelapparaten in der Zeit von 1908/09 und ihre Darstellung im Potsdamer Schweresystem führte Emil Borrass das Potsdamer System als erstes international verwendetes Schwerereferenzsystem ein, das ein absolutes Schwereniveau definiert. Der Bezugswert basierte auf Reversionspendel-Messungen, die Friedrich-Jacob Kühnen und Philipp Furtwängler in den Jahren 1898 bis 1904 im Pendelsaal des Geodätischen Instituts vorgenommen hatten.

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Das beruhte auf Erfahrung: Robert D. von Sterneck war der erste, der im neu eingerichteten Institut Pendelmessungen vornahm. In zeitgemäß würdigem Ton vermerkte er 1893: "Herr Director Helmert hatte die große Güte, den theilweise noch in Ausführung begriffenen Pendelsaal provisorisch soweit herstellen zu lassen, dass ich die Beobachtungen in demselben ausführen konnte. …Es gereicht mir zur besonderen Ehre und größten Befriedigung, dass es mir vergönnt war, in Gegenwart des geistigen Schöpfers dieses Musterinstituts, Herr Directors Dr. Helmert, diesen, der Schwere auf der Erde geweihten Raum als Erster zu benützen."

Das Potsdamer Schweresystem war mehrere Jahrzehnte das Standard-Referenzsystem, auf das alle Schweremessungen weltweit bezogen wurden. In den 1930er Jahren zeigten Messungen eine systematische Abweichung zum Potsdam Bezugswert, die durch Untersuchungen in den Folgejahren bestätigt wurde. Schwerewerte, die im Potsdamer Schweresystem definiert sind, liegen um 140 µm/s² zu hoch. Die letztendliche Ursache für diese Diskrepanz konnte bis zum heutigen Tag nicht völlig zweifelsfrei geklärt werden. Auch heute ist das Potsdamer Schweresystem nicht in Vergessenheit geraten: Obwohl es im Jahr 1971 durch das International Gravity Standardization Net 1971 (I.G.S.N.1971) offiziell abgelöst wurde, findet es trotzdem noch in einigen Ländern Anwendung. Bei der Zusammenfügung von Datensätzen aus verschiedenen Ländern fallen diese Schweredaten durch den genannten Versatz auf und müssen entsprechend korrigiert werden.

Eine der wichtigsten Bezugsflächen für die Erdanziehung ist der mittlere Meeresspiegel. Wer am Ozean steht, sieht eine große, ebene Fläche, nämlich Normal-Null. Tatsächlich aber weist die Meeresoberfläche Hügel und Täler auf, auch ohne Wind, Wetter und Gezeiten. Ursache dafür sind regional unterschiedliche Anziehungskräfte aufgrund ungleichmäßiger Massenverteilungen im Erdinnern. Diese ziehen auch das Wasser unterschiedlich stark an. Der Meeresspiegel stellt sich immer senkrecht zur Gravitationskraft und wenn diese Kraft etwas von der Seite wirkt, dann beult sich das Meer dort ein: südlich von Indien bildet der Meeresspiegel ein rund 110 Meter tiefes Tal, nördlich von Indonesien ein 85 Meter hoher Hügel. Wohlgemerkt: es fließt dort kein Wasser hin, weil es sich um eine Fläche gleicher Erdanziehung handelt.

Die Forscher des GFZ, dem Helmholtz-Zentrum in Potsdam, haben hierfür ein Modell entwickelt: Das "Potsdamer Geoid" zeigt die Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld der Erde in 15.000-facher Überhöhung: eine bunte, unregelmäßige, aber gravitätische Weihnachtsbaumkugel, die Potsdamer Schwere-Kartoffel. Die Potsdamer Forscher sind auch an der Mission GRACE beteiligt, mit der in den vergangenen Jahren das Schwerefeld der Erde mit hoher Genauigkeit vermessen wurde. 

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siehe auch
GRACE: Auszeichnung für GRACE-Team - 12. Dezember 2007
GRACE: Dem Schwerefeld der Erde auf der Spur - 11. August 2003
GRACE: Tom und Jerry sind im All - 18. März 2002
GRACE: Satellitenduo soll Schwerefeld messen -14. März 2002
Links im WWW
Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam
GRACE, Homepage am GFZ Potsdam
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