Kosmische Verjüngungskur für alte Sterne
von Stefan Deiters astronews.com
23. Dezember 2009
Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble haben
Astronomen im Kugelsternhaufen Messier 30 zwei verschiedene Typen von Sternen
entdeckt, die sich auf unterschiedliche Weise verjüngt haben. Dieses stellare
Facelifting fand offenbar während einer besonderen Phase in der dynamischen
Entwicklung des Sternhaufens statt, im sogenannten Core Collaps vor ein
bis zwei
Milliarden Jahren.

Der Kugelsternhaufen Messier 30 in einer
Aufnahme von Hubbles Advanced Camera for Surveys.
Bild: NASA, ESA und Francesco Ferraro
(Universität von Bologna) [Großansicht]

Die zwei Entstehungsszenarien für Blue
Straggler, die Astronomen im Kugelsternhaufen Messier 30
nachweisen konnten: durch eine Kollision (oben)
und durch "Vampirismus" (unten).
Bild: NASA, ESA und Francesco Ferraro
(Universität von Bologna) [Großansicht] |
Sterne in Kugelsternhaufen sind mit einem Alter von 12 bis 13 Milliarden Jahren ausgesprochen alt.
Die Systeme gelten daher
auch als die ältesten Bestandteile unserer Milchstraße. Schon vor
längerer Zeit allerdings spürte man in ihnen einige Sterne auf, die auf den
ersten Blick jünger zu sein schienen als der Rest. Die Astronomen nannten diese
hellen Außenseiter Blue Straggler.
Genau solche Objekte haben Astronomen nun im Kugelsternhaufen Messier 30
untersucht, der 1764 von Charles Messier entdeckt wurde und vor 13 Milliarden
Jahren entstanden ist. Er ist rund 28.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, hat
einen Durchmesser von rund 90 Lichtjahren und enthält mehrere 100.000 Sterne.
Zum Vergleich: Der der Sonne am nächsten gelegene Stern ist schon über vier
Lichtjahre entfernt.
Blue Straggler sind seit den 1950er Jahren bekannt, wie sie aber entstehen,
darüber gibt es bislang nur Theorien. "Das ist so, als würde man unter den
Bewohnern eines Altersheims einige Kinder spielen sehen. Da würde man sich auch
fragen, warum die da sind", vergleicht Francesco Ferraro von der Universität im
italienischen Bologna. Ferraro ist Hauptautor der neuen Studie, die in der morgigen
Ausgabe der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wird.
Die bisherigen Untersuchungen dieser Sterne hatten nämlich zumindest eines ergeben:
Die Sterne sind nicht so jung wie sie aussehen, sondern haben sich irgendwie
verjüngt. Ursprünglich, so eine These, handelte es sich bei ihnen um ein enges
Doppelsternsystem. Dabei könnte der masseärmere Stern vampirgleich Wasserstoff
von seinem Begleiter abgesaugt haben. Dadurch wird der stellare Vampir heller,
blauer und heißer und gleicht so einem Stern in der Frühphase seiner
Entwicklung.
Die neue Untersuchung ergab nun, dass manche Blue Straggler aber auf andere
Weise entstanden sind, nämlich durch einen Frontalzusammenstoß von zwei Sternen.
Dabei wurde das Brennmaterial der beiden Sterne durchmischt und das nukleare Feuer
dadurch neu angefacht. Beide Arten von Blue Stragglern sollten
etwa die doppelte Masse der typischen Masse der Sterne im Sternhaufen haben.
"Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass Blue Straggler die durch
Kollisionen entstanden sind, etwas andere Eigenschaften haben als die, die sich
durch Vampirismus gebildet haben", erläutert Giacomo Beccari von der ESA. "Das
zeigt direkt, dass beide Entstehungsszenarien gleichzeitig in diesem Haufen
abgelaufen sind." Die Astronomen nutzten Daten der inzwischen außer Dienst
gestellten Wide-Field Planetary Camera 2 (WFPC2) an Bord des Weltraumteleskops
Hubble. Sie konnten zudem auch bestätigen, dass sich die Blue Straggler vermehrt
im Zentrum des Haufens finden. "Das deutet darauf hin, dass sie massereicher
sind als die durchschnittlichen Sterne des Haufens", so Ferraro, "weil
massereichere Sterne dazu neigen, ins Haufenzentrum zu wandern."
In den dichten Zentren von Kugelsternhaufen finden sich so viele Sterne, dass
Kollisionen hier praktisch unvermeidlich sind. Die Astronomen glauben, dass
Messier 30 vor etwa einer bis zwei Milliarden Jahren zudem einen sogenannten Core Collaps
durchlaufen hat, bei dem sich die Konzentration von Sternen noch
deutlich erhöht hat. Dadurch wurden Kollisionen unter den Sternen noch wahrscheinlicher, was die Entstehung
des Kollisions-Typs von Blue Stragglern begünstigt
haben sollte.
Gleichzeitig könnten aber durch das "Gedränge" auch Doppelsternsysteme
gestört worden sein, was wiederum dem Vampirszenario zu Gute gekommen sein
sollte.
"Fast zehn Prozent der Kugelsternhaufen der Milchstraße haben einen solchen
Core Collaps bereits durchgemacht", erklärt Barbara Lanzoni von der Universität in
Bologna. "Hier können wir erstmals den Effekt davon in der
Sternenpopulation des Haufens wiederfinden."
Und Ferraro ergänzt: "Die beiden eindeutig verschiedenen Populationen von
Blue Stragglern in Messier 30 sind Relikte des Kollapses des Kerns dieses
Haufens vor rund zwei Milliarden Jahren. Unser Fund ist damit der erste direkte
Beweis für die Auswirkungen der dynamischen Entwicklung eines Sternhaufens auf
die Entwicklung seiner Sterne. Nun sollte man versuchen herauszufinden, ob man
diese zwei Populationen von Blue Stragglern auch in anderen Kugelsternhaufen
nachweisen kann."
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