40.000 mögliche Universen
Redaktion
/ Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft astronews.com
30. November 2009
Mithilfe eines neuen Computeralgorithmus haben Astronomen
des Max-Planck-Instituts für Astrophysik eine detaillierte Kartierung des
sichtbaren Universums vorgenommen - und dies in 40.000 verschiedenen Versionen.
Jede Variante zeigt ein mögliches Universum, das zu den Beobachtungsdaten passt.
Zusammen verraten sie den Forschern einiges über das Weltall.
Das Weltall in 3-D: Ansicht (blau) und
Querschnitte (rot) der über die 40.000 möglichen
Universen gemittelten, dreidimensionalen
kosmischen Karte.
Bild: MPI für Astrophysik
[Großansicht] |
Parallelwelten gehören eher ins Reich der Fiktion. Aber selbst seriöse
Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Multiversum - wenngleich in einem
etwas anderen Wortsinn. So haben Forscher aus dem Max-Planck-Institut für
Astrophysik dank eines neuen Computeralgorithmus die bisher detailgetreueste
Kartografierung des sichtbaren Universums vorgenommen - und das gleich in 40 000
Versionen. Jede davon zeigt ein mögliches Universum, passend zu den bekannten
Galaxien. Diese 40 000 Karten vereinen unser momentanes Wissen über die
beobachteten kosmischen Strukturen. Und ihre Unterschiede zeigen, wie unbekannte
Regionen des Alls aussehen könnten.
Die endlosen Weiten des Universums sind erfüllt von Galaxien, deren
Milliarden Jahre altes Licht wir heute in unseren Teleskopen beobachten. Dabei
finden wird die fernen Milchstraßensysteme nicht beliebig im All verteilt,
sondern sie zeichnen die Konturen eines gigantischen kosmischen Geflechts nach.
Dieses Netz besteht aus mysteriöser unsichtbarer dunkler Materie und hat sich
über die Äonen aus dem Zusammenspiel vieler physikalischer Phänomene gebildet.
Der Ursprung dieser Struktur liegt in den mikroskopischen
Quantenfluktuationen, die während der ersten Sekundenbruchteile des Universums
auftraten und formte sich in den folgenden fast 14 Milliarden Jahren unter dem
wesentlichen Einfluss der Gravitation. Eine exakte Vermessung und
Kartografierung gewährt daher Einblick in die Frühphasen des Weltalls kurz nach
seiner Geburt, als der Raum noch mit Strahlung und heißem Plasma erfüllt war und
es weder Sterne noch Galaxien gab. Zudem liefern Analysen dieser Struktur
Aufschluss über die Eigenschaften der Materie, über Gravitation und
Galaxienbildung sowie über geometrische Eigenschaften von Raum und Zeit.
Anders als Seefahrer und Entdecker vergangener Zeiten können Astronomen die
"Landkarte" des Universums nicht selbst "erfahren", sondern nur mit Teleskopen
aus der Ferne erarbeiten. Dabei stören Ungenauigkeiten die Messung. Insbesondere
lassen sich lichtschwache Galaxien mit zunehmendem Abstand immer schlechter
aufspüren: Die Information über die kosmische Struktur verschwindet bei großen
Abständen im Nebel der Ungewissheit - das Netzwerk erscheint unscharf und lässt
sich nur noch erahnen.
Eine wissenschaftlich gehaltvolle Karte des Weltalls muss daher neben der
Darstellung der kosmischen Struktur auch noch Aussagen über deren
"Glaubwürdigkeit" machen. Hierbei wird die Glaubwürdigkeit - gemäß dem
Mathematiker Thomas Bayes (1702 bis 1761) - mittels einer Wahrscheinlichkeit
quantifiziert, die ausdrückt, wie gut wir das kosmische Netz erkennen können.
Die Erstellung derartiger Karten bedarf der Durchmusterung von extrem
hochdimensionalen Räumen und war bisher ein nicht zu bewältigendes
Rechenproblem.
Am Max-Planck-Institut für Astrophysik hat nun Jens Jasche den auf der
Bayesischen Statistik basierenden Computeralgorithmus HADES (HAmiltonian
Density Estimation and Sampling) entwickelt, der es erlaubt, die
dreidimensionalen kosmischen Strukturen zu analysieren und zu bewerten. HADES
liefert nicht nur eine einzige Karte des Universums, sondern gleich einen Satz
unterschiedlicher Karten, die alle im Mittel die gleichen durch die
Beobachtungsdaten aufgezeigten Strukturen zeigen, sich aber in ihren sonstigen
Details unterscheiden.
Jede dieser Karten zeigt ein mögliches Universum, das mit den Daten
kompatibel ist. Strukturen, die in allen Karten vorkommen, sind daher
glaubwürdiger als Strukturen, die sich nur in wenigen Karten finden. Der
Kartensatz liefert also die Information über die Vertrauenswürdigkeit aller
kartografierten Strukturen und erlaubt eine vernünftige wissenschaftliche
Analyse.
Basierend auf dieser Methode hat ein internationales Team von
Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei
München und der Scuola Normale Superiore di Pisa in Italien aus den
Galaxiendaten des Sloan Digital Sky Surveys die bisher detailgetreueste
Abbildung unserer kosmischen Umgebung ermittelt. Die Analyse der Daten umfasst
ein würfelförmiges Gebiet mit einer Seitenlänge von mehr als 2,1 Milliarden
Lichtjahren und spiegelt das kosmische Geflecht in überraschender Qualität
wieder.
Dieses besteht, wie von Simulationen vorhergesagt, aus vielen filamentartigen
Strukturen und großen leeren Regionen. Insgesamt erzeugten die Forscher 40.000
solcher möglichen Universen und erhielten drei Terabyte an Daten, mittels derer
sie die Glaubwürdigkeit der erkannten Strukturen bewerten und präzise
Vertrauensgrenzen bestimmen können. Das gewonnene kosmische Kartenmaterial
erlaubt nun weitergehende Analysen der Galaxien- und Strukturentstehung sowie
die Vorhersage vieler physikalischer Effekte, die mittels der Mission des
Satelliten Planck oder dem Radiointerferometer LOFAR gemessen und bestätigt
werden können.
Zukünftige Beobachtungen der Galaxienverteilung werden noch weitaus größere
und detailliertere kosmische Karten ermöglichen. Dann steht auch das
Forscherteam am Max-Planck-Institut bereit, die Grenzen des bekannten Universums
weiter in die Tiefen des Raumes zu verschieben.
|