Erste Earth Explorer-Mission gestartet
Redaktion /
Pressemitteilung der ESA astronews.com
17. März 2009
Nach mehreren Anläufen hat es endlich geklappt: Heute
Nachmittag wurde der ESA-Satellit Gravity field and steady-state Ocean
Circulation Explorer (GOCE) mit einer russischen Rockot-Trägerrakete
vom Kosmodrom Plessezk in Nordrußland in eine quasi sonnensynchrone niedrige
Erdumlaufbahn befördert. Mit diesem Start beginnt für die ESA ein neues Kapitel
in der Geschichte der Erdbeobachtung.

Der Geoid der Erde.
Bild: ESA |
GOCE (für Gravity field and steady-state Ocean Circulation Explorer,
auf deutsch etwa "Satellit zur Bestimmung des Schwerefelds und der stationären
Ozeanzirkulation") ist der erste einer neuen Reihe von ESA-Satelliten zur
Erkundung der Erde und ihres Umfeldes, um die Mechanismen des "Systems Erde"
besser zu verstehen und besser auf die Herausforderungen des Klimawandels
vorbereitet zu sein. GOCE wird insbesondere die winzigen Unterschiede im
Schwerefeld der Erde messen.
Der auf der Grundlage einer modifizierten ballistischen Rakete entwickelte
Rockot-Träger hob um 15.21 Uhr MEZ ab und flog nordwärts über die
Arktis. Rund 90 Minuten später wurde nach einer Erdumrundung und zwei Zündungen
der Breeze-KM-Oberstufe des Trägers das 1.052 Kilogramm schwere
Raumfahrzeug erfolgreich auf einer kreisförmigen Umlaufbahn in 280 Kilometern
Höhe mit einer Neigung von 96,7 Grad zum Äquator ausgesetzt. Kurz nach dem
Aussetzen kam über die Bahnverfolgungsstation der ESA im schwedischen Kiruna der
erste Kontakt mit GOCE zustande, dessen Kontrolle nun die ESA-Teams im
Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt übernommen haben.
"GOCE ist der erste wissenschaftliche Satellit der ESA für Erdbeobachtung
seit Envisat im Jahr 2002. Die Größe ist nicht dieselbe, wohl aber das
Ziel, nämlich mit unserer Technologie den wissenschaftlichen Kreisen und letzten
Endes den Bürgern in Europa und weltweit die bestmöglichen wissenschaftlichen
Ergebnisse zu liefern", sagte ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain
anlässlich des geglückten Starts. GOCE wurde 1999 als erste
Erdforschungs-Kernmission des ESA-Programms "Living Planet / lebender Planet"
ausgewählt. Der Satellit wurde von einem Industriekonsortium unter der
Federführung von Thales Alenia Space Italy in Turin entwickelt. Insgesamt waren
45 europäische Unternehmen am Bau des Satelliten beteiligt.
Über eine Dauer von 24 Monaten wird GOCE dreidimensionale Daten des
Schwerefelds unseres gesamten Globus sammeln. Nach ihrer Verarbeitung am Boden
werden diese Daten die Erstellung der bisher genauesten Karte des Schwerefelds
der Erde und eine Verbesserung der Bestimmung ihrer genauen Bezugsfläche, des
Geoids, ermöglichen. Präzise Kenntnisse über den Geoid, der als die ruhige
Oberfläche eines idealen globalen Ozeans bezeichnet werden kann, werden bei der
künftigen Erforschung unseres Planeten, seiner Ozeane und seiner Atmosphäre eine
äußerst wichtige Rolle spielen. Diese Karte wird als die Referenz für unsere
Messungen und Modelle in Bezug auf Veränderungen des Meeresspiegels, der
Ozeanströmungen und der Dynamik der Eiskappen dienen.
Die Nutzlast der Mission besteht aus einem hochmodernen Elektrostatischen
Gravitations-Gradiometer (EGG) mit sechs hochsensiblen Beschleunigungsmessern,
die paarweise entlang drei senkrechten Achsen auf einer ultrastabilen Struktur
aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff angeordnet sind. Die Mission wird nicht die
Schwerkraft selbst messen, sondern die winzigen Schwerkraftunterschiede zwischen
den Beschleunigungsmesser-Paaren, die jeweils 50 Zentimeter voneinander entfernt
sind. Anhand der GOCE-Daten werden die Höhe des Geoids bis auf ein bis zwei
Zentimeter und Anomalien des Schwerefelds mit einer Genauigkeit von etwa 1
Milligal festgestellt werden können (Berge zum Beispiel verursachen in der Regel
örtliche Veränderungen von bis zu 100 Milligal).
Die Auflösung am Boden wird sich von mehreren Hundert bis Tausend Kilometern
bei früheren Missionen auf nur noch 100 km mit GOCE verbessern. Um
Höchstleistungen des Instruments EGG zu ermöglichen, wurde der Satellit so
entworfen, dass er trotz der niedrigen Höhe seiner Umlaufbahn, die ihn dem
leichten, aber eindeutigen Widerstand der obersten Schichten der Atmosphäre
aussetzt, eine hochstabile und störungsfreie Umgebung bietet. Hauptsächlich aus
diesem Grund wurde ein schlankes, pfeilförmiges aerodynamisches Design von fünf
Metern Länge gewählt.
GOCE besitzt ferner zwei Niedrigleistungs-Xenon-Ionentriebwerke - ein Haupt-
und ein Reservetriebwerk - mit jeweils 1 bis 20 mN Schubkraft (was unserem
Ausatmen entspricht). Diese Triebwerke dienen dem Ausgleich des atmosphärischen
Widerstands in Echtzeit, ausgehend von der von den beiden entlang der
Geschwindigkeitsachse angebrachten Beschleunigungsmessern festgestellten
mittleren Beschleunigung. Struktur und Design des Satelliten wurden außerdem
dahingehend optimiert, dass Störungen aller Art herausgefiltert werden können.
Hierfür wurde auf ultrastabile Werkstoffe zur Begrenzung thermischer
Wechseleffekte zurückgegriffen; auch befinden sich an der Außenseite keinerlei
ausfahrbare oder bewegliche Komponenten.
In den nächsten sechs Wochen werden die Teams der ESA und ihrer
Industriepartner GOCE überprüfen und in Betrieb nehmen. Anschließend wird der
Satellit auf seine Einsatzbahn in 263 Kilometern Höhe gebracht, wo seine
Instrumente über einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen einsatzerprobt und
geeicht werden. Der Missionsbetrieb soll im Sommer anlaufen.
Die Kartierung des Schwerefelds der Erde mit dieser Genauigkeit wird für alle
Bereiche der Geowissenschaften nützlich sein. Für die Geodäsie wird diese Karte
ein einheitliches Bezugsmodell für weltweite Höhenmessungen liefern, das die
Diskontinuitäten zwischen Höhensystemen für die verschiedenen Landmassen, Länder
und Kontinente überwindet. Dies wird eine genauere Ermittlung der Veränderungen
des Meeresspiegels sowie den Vergleich mit seit über 200 Jahren vorgenommenen
Meeresspiegelaufzeichnungen ermöglichen.
In der Meeresforschung werden bessere Kenntnisse über das Schwerefeld die
gegenwärtigen Unsicherheiten hinsichtlich der Wärme- und Massetransfers der
Ozeane erheblich verringern, was wiederum gewaltige Verbesserungen der
Ozeanzirkulations- und Klimavorhersagemodelle zur Folge haben wird. Auch unser
Wissen über den Grund der polaren Eiskappen in Grönland und der Antarktis wird
GOCE erweitern. Die präzise Karte des Geoids wird eine genauere Bestimmung der
Umlaufbahnen der die Eiskappen überwachenden Satelliten und somit präzisere
Messungen ermöglichen.
Im Bereich der Geophysik wird die Kombination der Ergebnisse von GOCE mit
Magnetismus-, Topografie- und Seismologiedaten bei der Erstellung einer
detaillierten dreidimensionalen Karte der Dichteschwankungen in der Erdkruste
und dem oberen Erdmantel helfen. Dies wird in erheblichem Maße zur Verfeinerung
sämtlicher Modelle von Sedimentbecken, Spalten, tektonischen Bewegungen und
vertikalen Veränderungen zu Lande und zu Wasser und damit zur Verbesserung
unseres Verständnisses der für Naturkatastrophen verantwortlichen Prozesse
beitragen.
"Mit diesem erfolgreichen Start beginnt eine neue Ära in Europas
Geowissenschaften", meinte Volker Liebig, ESA-Direktor für
Erdbeobachtungsprogramme. "GOCE, der erste einer neuen Reihe kleiner
Wissenschaftssatelliten, ebnet den Weg für weitere Erdforschungsmissionen. Die
Wissenschaftler warten ungeduldig auf die Daten dieser Missionen. Mit vier
weiteren Starts in den kommenden zwei Jahren stehen uns sehr aktive Zeiten
bevor."
GOCE ist die erste Kernmission des Erdforschungsprogramms "Lebender Planet",
das die ESA 1999 in die Wege geleitet hat, um die Erforschung der Atmosphäre,
der Biosphäre, der Hydrosphäre, der Kryosphäre und des Inneren unseres Planeten,
ihrer Wechselwirkungen und der Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf
diese Naturprozesse zu fördern.
Bei zwei weiteren öffentlichkeitswirksamen Kernmissionen ist die Entwicklung
bereits angelaufen: Es handelt sich um ADM-Aeolus zur Erforschung der
Dynamik der Atmosphäre (2011) und EarthCARE zur Untersuchung der
Strahlungsbilanz (2013). Auch drei kleinere Erdforschungs-Gelegenheitsmissionen
sind in der Vorbereitung, nämlich Cryosat 2 zur Messung der Dicke der
Eisschichten (2009), SMOS zur Untersuchung der Bodenfeuchtigkeit und
des Salzgehalts der Ozeane (2009) und Swarm zur Erforschung der
Entwicklung des Magnetfelds (2011).
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