Stellarer Kannibalismus entlarvt
von
Rainer Kayser
16. Januar 2009
Seit vielen Jahren wundern sich Astronomen über eine
eigentümliche Gruppe von Sternen, die sich hauptsächlich in den Zentren von
Kugelsternhaufen finden - die sogenannten Blue Straggler. Es handelt
sich dabei um massereiche Sterne, die es an dieser Stelle eigentlich gar nicht
geben sollte. Jetzt glauben Forscher hinter ihr Geheimnis gekommen zu sein:
Blue Straggler sind stellare Kannibalen.
![47 Tuc](../../../bilder/2009/0901-021.jpg)
Zwei Blue
Straggler (Kreis) im Zentrum des
Kugelsternhaufens 47 Tucanae.
Bild:
R. Saffer (Villanova University), D. Zurek (STScI)
und NASA/ESA |
Eigentlich sollten alle Sterne in einem Kugelsternhaufen - einer dichten
Ansammlung von mehreren hunderttausend Sternen - gleich alt sein. Doch die
Astronomen stoßen in Kugelsternhaufen vereinzelt immer wieder auf so genannte
Blue Stragglers (auf Deutsch: Blaue Nachzügler), ungewöhnlich massereiche und heiße Sterne, die viel jünger zu sein scheinen als die anderen Sterne des jeweiligen Haufens. Im Fachblatt
Nature
präsentieren britische und kanadische Forscher nun Beweise dafür, dass die Blue Straggler sich durch Kannibalismus jung halten: Sie entreißen offenbar einem benachbarten Stern Materie.
"Seit 55 Jahren wundern wir uns über diese ungewöhnlichen Sterne", sagt Alison Sills von der
McMaster University in Hamilton, Kanada. "Es gab bislang zwei Theorien für ihre Entstehung. Zum einen könnten sie durch den Zusammenstoß von zwei Sternen entstehen, zum anderen dadurch, dass sie einem Partnerstern Materie entreißen."
Um herauszufinden, welche dieser Theorien zutrifft, haben Sills und ihre Kollegen 56 Kugelsternhaufen untersucht. Sie fanden heraus, dass die Zahl der
Blue Straggler in den Haufen in keinerlei Zusammenhang mit der vorhergesagten Anzahl der Sternkollisionen steht. Damit war die erste Theorie vom Tisch. Stattdessen stießen die Forscher auf einen bislang unbekannten Zusammenhang zwischen der Zahl der
Blue Straggler und der Masse des Haufenkerns.
"Das ist der bislang stärkste Beweis dafür, dass Blue Straggler durch den Massentransfer zwischen zwei Sterne entstehen", erklärt Christian Knigge von der
University of Southampton, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt war. Denn massereiche Haufenkerne enthalten auch mehr Doppelsterne. Diese Schlussfolgerung werde auch durch vorläufige Beobachtungen unterstützt, die die Anzahl von Doppelsternen in Haufenkernen direkt gemessen haben. "Mit weiteren Beobachtungen wollen wir jetzt untersuchen, ob die Entstehung von
Blue Straggler isoliert stattfindet", sagt Knigge, "oder ob dynamische Begegnungen mit anderen Haufensternen dabei eine wichtige Rolle spielen."
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