Zehn Jahre im Erdorbit
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR
astronews.com
20. November 2008
Vor genau zehn Jahren begann eines der wohl faszinierendsten
Bauprojekte der Menschheit: Zahlreiche Nationen, die sich vor wenigen Jahren
noch im kalten Krieg gegenüber standen, begannen mit dem Bau einer gemeinsamen
Raumstation im Erdorbit. Das erste Modul namens Sarja startete am 20.
November 1998 und stellt bis heute das Herzstück der Internationalen Raumstation
ISS dar.
Die
Internationale Raumstation im Juni 2008.
Foto: NASA |
Am 20. November 1998 startete eine russische Proton-Rakete
vom Kosmodrom Baikonur zu einer historischen Mission: An Bord befand
sich das erste Modul der Internationalen Raumstation ISS mit dem Namen
Sarja (russisch für "Morgenröte"). Dieses rund 20 Tonnen
schwere und knapp 13 Meter lange Fracht- und Kontrollmodul stellt auch
heute noch Elektrizität und Antrieb bereit, kontrolliert die korrekte
Flugbahn und bietet Stauraum. Mit diesem auch FGB (russische Abkürzung
für "Functional Cargo Block") genannten Modul wurde der Grundstein für
ein neues Zeitalter in der Raumfahrt gelegt, da erstmals eine dauerhafte
internationale Zusammenarbeit zwischen Russland, Amerika, Europa, Kanada
und Japan im Weltraum zustande kam.
In den folgenden zehn Jahren wurden zahlreiche weitere Module in die
Umlaufbahn gebracht - und die ISS entwickelte sich zum größten menschlichen
Außenposten im All. Die mit russischen Trägerraketen oder dem amerikanischen
Space Shuttle transportierten Bauteile haben die ISS inzwischen auf die
Größe eines Fußballfeldes mit einer aktuellen Gesamtmasse von rund 300 Tonnen
anwachsen lassen.
Die Geschichte der ISS weist zahlreiche Premieren und Meilensteine in der
bemannten Raumfahrt auf. Der erste wichtige Schritt im Vorfeld war ein
internationales Regierungsabkommen zwischen den USA, zehn europäischen Staaten
(vertreten durch die Europäische Weltraumorganisation ESA), Japan und Kanada.
Dieser so genannte "Vertrag ohne Vorbild" ging 1988 als eines der
umfangreichsten Dokumente internationaler Zusammenarbeit in die Geschichte der
Raumfahrt ein.
Nach der Überwindung des Kalten Krieges ersetzte die internationale
Kooperation die bis dato vorherrschende Konkurrenz um das Weltall der beiden
Supermächte USA und Russland. 1993 wurde Russland von den USA eingeladen, sich
am Programm der Internationalen Raumstation zu beteiligen. Russland konnte nicht
nur mit einem enormen Erfahrungsschatz aus dem Betrieb der eigenen Raumstation
Mir aufwarten, sondern auch Trägerraketen vom Typ Proton und
Sojus zur Versorgung der ISS und zum Transport der Crews bereitstellen.
Bereits in den 1990er Jahren nutzten westliche Wissenschaftler die russische
Raumstation MIR für zahlreiche gemeinsame Experimente.
Im September 2000 schwebten erstmals zwei Besatzungsmitglieder der
amerikanischen Space Shuttle Mission STS-106 in die ISS. Seit November 2000 ist
die Station permanent von zwei oder drei Astronauten beziehungsweise Kosmonauten
besetzt. Bereits jetzt ist die ISS das größte "künstliche" Himmelsobjekt - mit
einer Innenraumgröße vergleichbar der eines Jumbojets. Nach der geplanten
Fertigstellung im Jahr 2010 wird die ISS aus sechs Forschungslabors, zwei
Wohneinheiten, einer Beobachtungskuppel, etlichen Stauräumen, Verbindungsknoten,
Andockvorrichtungen und Roboterarmen bestehen.
Der Italiener Umberto Guidoni war im April 2001 der erste europäische
Astronaut an Bord der ISS. Ein neues Kapitel schlug Thomas Reiter aus
Deutschland im Sommer 2006 auf: er brach mit der Mission "Astrolab" als erster
europäischer Langzeitastronaut zur ISS auf und verbrachte fast sechs Monate auf
der Station, um neben Wartungs- und Servicearbeiten über 30 wissenschaftliche
Experimente durchzuführen. Es war das erste Mal, dass europäische
Wissenschaftler ein auf die Möglichkeiten der ISS abgestimmtes
Forschungsprogramm zusammenstellen und über einen längeren Zeitraum durchführen
konnten. Zudem war "Astrolab" die erste Langzeitmission der ESA, für die das
Columbus-Kontrollzentrum im DLR Oberpfaffenhofen die Verantwortung
übernahm.
Am 7. Februar 2008 startete das Space Shuttle Atlantis mit den
beiden ESA-Astronauten Hans Schlegel und Leopold Eyharts an Bord und brachte das
Weltraumlabor Columbus zur ISS. Columbus ist Europas
Hauptbeitrag zur ISS und das erste europäische Weltraumlabor, das für eine
langfristige, multidisziplinäre Forschung im All ausgelegt ist. Seit
Inbetriebnahme wurden rund 40 deutsche Experimente begonnen und teilweise schon
abgeschlossen - ermöglicht nicht zuletzt durch eine erfolgreiche
zwischenstaatliche Kooperation zwischen der DLR Raumfahrt-Agentur und den
ISS-Partnern sowie im Rahmen der ESA-Mitgliedsstaaten.
Im April 2008 schließlich dockte der europäische Raumtransporter ATV (Automated
Transfer Vehicle) mit 7,5 Tonnen Nutzlast erstmals vollautomatisch an die
ISS an. Das Raumfahrzeug mit dem Namen Jules Verne dient der
Bahnanhebung der ISS und versorgt die Station unter anderem mit Lebensmitteln,
Frischwasser, Kleidung, Sauerstoff sowie technischer Ausrüstung für Experimente
und Instandhaltung der ISS. Anschließend wurde es als Lagerraum und Schlafplatz
genutzt, bevor es Ende September 2008 - mit Abfall gefüllt - abgekoppelt wurde,
um in der Atmosphäre beim Wiedereintritt weitgehend zu verglühen. Etwa alle 18
Monate soll ein ATV zur ISS geschickt werden, um den kontinuierlichen Betrieb
der Station zu gewährleisten.
Deutschland ist für die Europäische Weltraumorganisation ESA der wichtigste
ISS-Partner in Europa. Als größter Beitragszahler finanziert die Bundesrepublik
41 Prozent der europäischen ISS-Infrastruktur und trägt maßgeblich zur
wissenschaftlichen Nutzung der Raumstation bei. Die Raumfahrt-Agentur des DLR
koordiniert die deutschen Beiträge zu den ISS-Programmen der ESA, bezogen auf
Aufbau, Betrieb und Nutzung der Station.
Deutsche Wissenschaftler sind seit Beginn der wissenschaftlichen Nutzung der
Raumstation im Jahr 2001 dabei. Sie haben seither zahlreiche Experimente auf der
ISS durchgeführt. Diese dienten unter anderem der Gesundheitsforschung, der
Züchtung von Proteinkristallen, der Grundlagenphysik (Plasmaforschung) sowie
biologischen Fragestellungen. Nach wie vor zeigen Wissenschaftler großes
Interesse, Experimente in Schwerelosigkeit an Bord der ISS durchzuführen. Fast
70 weitere deutsche Projekte, zumeist initiiert durch das DLR, haben sich im
internationalen Wettbewerb durchgesetzt und warten auf ihre Umsetzung an Bord
der Internationalen Raumstation.
|