Wie Neutronensterne verschmelzen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
28. Oktober 2008
Wenn zwei Neutronensterne in unserem Universum kollidieren,
ist das ein seltenes aber unglaublich energiereiches Ereignis. Was aber passiert
genau bei diesem Prozess, der am Ende ein neues Schwarzes Loch entstehen lässt?
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut, AEI) können diese Frage jetzt beantworten. Sie
veröffentlichten die erste vollständige und präzise Simulation des komplexen
Prozesses.
Das Bild zeigt
eine Momentaufnahme aus einer Simulation zweier verschmelzender Neutronensterne zu dem
Zeitpunkt, da sie sich gerade zu einem hypermassiven Neutronenstern vereinigt
haben. Die unterschiedlichen Farben stellen
verschiedene Werte der Materiedichte dar, von grün für hohe Dichte bis orange
für geringe Dichte. Obwohl er sehr heiß ist, reicht der Strahlungsdruck des
Objekts
nicht aus, um den Gravitationskollaps zu verhindern - nach ca. einer halben
Sekunde kollabiert der Stern zu einem Schwarzen Loch. Die Materie geringer
Dichte (orange) wird dann einen Torus um das Schwarze Loch bilden, eine
Konfiguration, die auch hinter sogenannten Gammastrahlenblitzen vermutet wird.
Bild: Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik / Zuse-Institut Berlin
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Die Simulation jetzt vorgelegte zeigt - dreidimensional und vollkommen relativistisch,
also unter Berücksichtigung der Effekte von Einsteins Relativitätstheorie - wie sich die beiden kompakten Sterne einander auf spiralförmigen Bahnen nähern und schließlich miteinander verschmelzen. Diese neuen Forschungsergebnisse enthalten wichtige Informationen für ein tieferes Verständnis unseres Universums - insbesondere für Wissenschaftler, die auf den Gebieten der Gravitationswellen- und der Gammastrahlenforschung arbeiten. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Physical Review D veröffentlicht.
Die außerordentlich komplexen Berechnungen erforderten den Einsatz modernster Parallelrechner. Sie wurden auf den eigens auf diese Erfordernisse zugeschnittenen AEI-Supercomputern BELLADONNA und DAMIANA durchgeführt.
"Mit unseren Berechnungen können wir genauer als jemals zuvor zeigen, wie zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen",
erklärt Prof. Luciano Rezzolla, Leiter der Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie am AEI.
"Neutronensterne sind hochgradig spannende Objekte. Aus physikalischer Sicht sind sie noch deutlich interessanter als Schwarze Löcher, denn die Berechnung ihres Verhaltens liefert nicht nur neue Informationen über Gravitationswellensignale, sondern auch über Gammastrahlenausbrüche, extrem kurze und energiereiche Ereignisse."
Und
Prof. Bernard Schutz, geschäftsführender Direktor des AEI ergänzt: "Prof. ezzolla und seine Forschungsgruppe haben jetzt einen außerordentlich wichtigen Beitrag geleistet, um das Verschmelzen zweier Neutronensterne zu verstehen. Die Forschungsgruppe hat während ihrer jahrelangen Arbeit auf diesem Gebiet leistungsfähigste Softwareanwendungen entwickelt. Unterstützt wurde sie dabei von der Max-Planck-Gesellschaft, die einige der schnellsten Computer für diese Forschung bereitstellte. Dank dieser Kraftanstrengungen haben wir heute bahnbrechende Resultate. Uns steht endlich eine Simulation zur Verfügung, die
die gesamte Physik aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie nutzt, um diese seltenen aber extrem energiereichen Ereignisse zu studieren."
Die Berechnungen und die Simulation der AEI-Wissenschaftler beginnen zu einem Zeitpunkt, an dem die Neutronensterne noch relativ weit von einander entfernt sind. Sie umkreisen einander und strahlen dabei Energie in Form von Gravitationswellen ab. Dadurch werden ihre Umlaufbahnen immer enger – die Sterne nähern sich auf einer spiralförmigen Bahn einander an. Sind sie zu nah um der Anziehung durch die Gravitation zu entkommen, kommt es zu einer äußerst heftigen, plötzlichen Verschmelzung. Es entsteht ein hypermassiver Neutronenstern, der schließlich zu einem rotierenden Schwarzen Loch kollabiert. Dieses wird umgeben von einem Ring aus heißer, dichter Materie, die so schnell herumgewirbelt wird, dass sie nicht in das Schwarze Loch hineinfällt.
Obwohl der gesamte Prozess von Annäherung, Verschmelzung und Kollaps sehr schnell verläuft, werden dabei enorme Mengen Energie frei. Tatsächlich strahlt das Doppelsternsystem in weniger als einer Sekunde mehr Energie ab als unsere Sonne in zehn Milliarden Jahren. Dementsprechend sollte dieses kosmische Großereignis auch in einem Abstand von Milliarden Lichtjahren
'sichtbar' sein – zumindest für leistungsstarke Detektoren.
Es ist bekannt, dass Doppelsternsysteme aus Neutronensternen Energie in Form von Gravitationswellen abgeben. Für die langjährige Beobachtung des Binärpulsars PSR 1913+16, bei der indirekt die Abstrahlung von Gravitationswellen nachgewiesen wurde, erhielten Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor im Jahr 1993 den Nobelpreis für Physik. Solche Doppelsternsysteme gehören zu den stärksten Quellen von Gravitationswellen und sollten bereits mit den heutigen Detektoren messbar sein – vorausgesetzt, sie sind nahe genug. Gravitationswellen würden im Gegensatz zu elektromagnetischer Strahlung auch Aufschluss über das Innere von Neutronensternen geben.
Gegenwärtig arbeiten in Europa mehrere Gravitationswellendetektoren der ersten Generation,
darunter auch das deutsch-britische Observatorium GEO600, das vom AEI in der Nähe von Hannover betrieben
wird. In Kooperation mit anderen Detektoren suchen die
Wissenschaftler nach Gravitationswellensignalen aus astrophysikalischen Systemen.
Im Laufe des nächsten Jahrzehnts werden alle interferometrischen Gravitationswellendetektoren zu Instrumenten der zweiten Generation aufgerüstet
und ihre Empfindlichkeit dabei verzehnfacht.
Abgesehen von den enormen experimentellen Schwierigkeiten, die die
Messung der Gravitationswellensignale von Neutronensternen mit sich
bringt, stellt auch die Berechnung dieser Signale eine große
Herausforderung dar. Kennt man jedoch die Signalformen, so steigen die Chancen für die Messung, denn dann kann gezielt
danach in den Daten gesucht werden.
Für die theoretische Vorhersage der Signale müssen allerdings Einsteins Gleichungen – ein System aus nichtlinearen, miteinander gekoppelten Differentialgleichungen – und die Gleichungen der relativistischen Hydrodynamik (diese beschreiben die Bewegung von Materie) auf riesigen Supercomputern numerisch gelöst werden.
Während der letzten fünf Jahre hat die Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie am AEI die Codes für die Berechnungen solcher Wellenformen entwickelt, wobei sowohl binäre Systeme aus Schwarzen Löchern als auch solche aus Neutronensternen untersucht wurden.
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