Spannung steigt vor Steins-Begegnung
Redaktion /
Pressemitteilung des DLR astronews.com
1. September 2008
Die Spannung steigt: Am Freitagabend wird die Kometensonde Rosetta
ihr erstes wissenschaftliches Ziel, den Asteroiden Steins, erreichen. Auch am
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt fiebert man dem Ereignis entgegen. Ab
Mittwoch sind zahlreiche Experimente geplant. Erste Bilder des Vorüberflugs
werden am Wochenende erwartet.

Rosetta und der
kleine Lander Philae (vorne an der Sonde) werden
ab Mittwoch den Asteroiden Steins untersuchen.
Bild: ESA / AOES Medialab |
Nach rund viereinhalb Jahren Flugzeit wird die europäische
Kometenmission Rosetta am 5. September 2008 um 20.58 Uhr
Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) den Asteroiden Steins in einer Entfernung
von rund 800 Kilometern passieren und ihn dabei eingehend erkunden. Vor, während
und nach der größten Annäherung wird Rosetta zahlreiche Bilder
aufnehmen und wissenschaftliche Experimente durchführen, an denen auch das
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt ist.
Seit dem 2. März 2004 ist die europäische Sonde auf dem Weg zu ihrem
eigentlichen Ziel, dem Kometen Churyumov-Gerasimenko. Zurzeit holt die Sonde
durch mehrere Swing-By-Manöver Schwung für ihre weite Reise. Dabei
kommt sie jetzt an dem noch unerforschten Asteroiden Steins vorbei, dem ersten
wichtigen wissenschaftlichen Ziel der zehnjährigen Mission. Insbesondere die
Zusammensetzung des Köpers und der Oberfläche, die Größe und Rotation, die
magnetischen und elektrischen Eigenschaften sowie die Charakteristik der
Umgebung wie Gas, Staub und Kleinkörper sind dabei von Interesse.
Das seit Jahren minutiös vorbereitete Manöver wird vom Kontrollzentrum der
Europäischen Weltraumorganisation ESA in Darmstadt durchgeführt, wo auch in der
Nacht zum Samstag die ersten Bilder und Messdaten eintreffen werden. Das DLR ist
mit zahlreichen Wissenschaftlern an der Mission beteiligt. Insbesondere in
Berlin und Köln werden sie während des Vorbeifluges aktiv sein, um die Daten
aufzunehmen.
"Kometen und Asteroiden gehören zu den ursprünglichsten Bestandteilen des
etwa 4,6 Milliarden Jahre alten Sonnensystems", erklärt Professor Tilman Spohn,
der Direktor des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof: "Von
ihrer Untersuchung versprechen wir uns grundlegende Erkenntnisse über die
Bildung der Planeten und Monde. Die zum Teil sehr komplexe Zusammensetzung der
kleinen Körper könnte auch wichtige Hinweise liefern, wie das Leben auf der Erde
entstanden ist".
Die meisten Instrumente von Rosetta werden während des Vorbeiflugs
in Betrieb sein, insbesondere die vom Max Planck Institut für
Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau entwickelte Kamera OSIRIS (Optical,
Spectroscopic, and Infrared Remote Imaging System), von der die
Wissenschaftler spektakuläre Bilder und Daten erwarten. Sie wird die Oberfläche
des Asteroiden in hoher Auflösung und Farbe fotografieren.
Mit den Bildern können Wissenschaftler die Form des kleinen Körpers bestimmen
und die Asteroidenlandschaft kartieren und charakterisieren. Die Bilder werden
eine so hohe Auflösung haben, dass einzelne Krater und Gesteinsblöcke auf der
Oberfläche entdeckt werden könnten. Durch eine statistische Erfassung von
Einschlagskratern unterschiedlicher Größe lässt sich auch das Alter der
Oberfläche von Steins bestimmen. Rosetta ist zum Zeitpunkt des
Vorbeiflugs von der Sonne etwa 320 Millionen Kilometer entfernt und von der Erde
etwa 360 Millionen Kilometer, was rund 20 Lichtminuten und damit auch der
Signallaufzeit entspricht.
In Köln werden in der Zeit vom 3. bis 6. September 2008 vom dortigen
Lander-Kontrollzentrum aus drei wissenschaftliche Experimente der
Philae-Landeeinheit betrieben und gesteuert. Die Landesonde Philae
fliegt Huckepack auf der Muttersonde Rosetta und soll 2014 auf dem
Kometen Churyumov-Gerasimenko landen. Das Experiment ROMAP (ROsetta Lander
MAgnetometer and Plasma Monitor) besteht aus einem Magnetometer und einem
Plasmamonitor. Es wird während des Vorbeiflugs am Asteroiden Steins für
Messungen des Magnetfeldes eingeschaltet. Es stammt vom Max-Planck-Institut für
Extraterrestrische Physik in Garching und der Technischen Universität
Braunschweig.
Zur Kalibrierung schaltet das Lander-Kontrollzentrum beim DLR in Köln zwei
weitere Instrumente während des Vorbeiflugs ein. Das Experiment SESAME (Surface
Electrical, Seismic and Acoustic Monitoring Experiment) umfasst Sensoren
zur Messung der akustischen und dielektrischen Eigenschaften der Kometenmaterie.
Hierzu gehört auch ein vom DLR entwickelter Staubeinschlag-Monitor zur Erfassung
jener Staubmenge, die in einer bestimmten Zeit wieder auf die Oberfläche des
Kometen zurückfällt.
Das Experiment MUPUS (MUlti PUrpose Sensors for Surface and Subsurface
Science) ist ein Temperatur- und Wärmeleitfähigkeitssensor zur Messung der
Oberflächentemperatur und der thermischen Leitfähigkeit des
Oberflächenmaterials. Der Sensor dient der Erstellung oberflächenaher
Temperaturprofile sowie zur Bestimmung der Festigkeit und stammt von der
Universität Münster. SESAME und MUPUS werden inzwischen vom DLR-Institut für
Planetenforschung in Berlin betreut.
Die Wissenschaftler des DLR aus Berlin sind beim Vorbeiflug an den
Experimenten mit einem abbildenden Spektrometer im sichtbaren und
Infrarot-Bereich beteiligt, dem Experiment VIRTIS (Visible and Infrared
Thermal Imaging Spectrometer). Der Spektrometer ermöglicht Beobachtungen
sowohl mit hoher räumlicher als auch spektraler Auflösung, wodurch das Material
der Oberfläche bestimmt und abgebildet werden kann. Die Analyse der mit VIRTIS
gewonnenen Infrarotspektren ermöglicht eine Bestimmung der chemischen und
mineralogischen Komponenten, aus denen der kleine Körper aufgebaut ist. Auch der
Einfluss des seit Milliarden Jahren auf die Asteroidenoberfläche einwirkenden
Sonnenwinds wird untersucht. Ferner werden beim Vorbeiflug wichtige Kenngrößen
wie Volumen, Form und Dichte des Asteroiden bestimmt, so wie seine
Rotationsdauer und die Lage der Polachse.
Der Besuch und die Untersuchung des Asteroiden Steins stellt die erste
umfassende wissenschaftliche Aufgabe von Rosetta dar. Steins gehört zu
einer eher seltenen Klasse von so genannten E-Typ-Asteroiden, die sich durch
eine hellere Oberfläche und vor allem ihre Zusammensetzung von anderen
Kleinplaneten des Asteroiden-Hauptgürtels unterscheiden. Das "E" steht für
Enstatit, einer silikatischen Mineralgruppe namens Orthopyroxen. Diese Minerale
finden sich in vulkanischen Basaltgesteinen, die auch auf der Erde sehr häufig
sind.
Von den E-Typ-Asteroiden vermutet man deshalb, dass sie Bruchstücke von einst
sehr viel größeren Kleinplaneten sind, die nach ihrer Bildung eine etwas
komplexere geologische Entwicklung durchlaufen haben mit einer Trennung der
Bestandteile in Mantel und Kern – und vielleicht sogar für kurze Zeit vulkanisch
aktiv gewesen sind. Später wurden diese Mutterkörper durch kosmische Kollisionen
zerstört. "Unter den Zehntausenden bekannten Asteroiden wurden bisher erst 50
als E-Typ klassifiziert", so Spohn vom DLR in Berlin-Adlershof. "Der Rosetta-Vorbeiflug
ist für uns deshalb ein wissenschaftlicher Glücksfall, weil wir mit den
Messungen an Steins vielleicht eine ganze Reihe offene Fragen beantworten
können".
Der unregelmäßig geformte, etwa fünf Kilometer große Gesteinsbrocken, der mit
einer Periode von etwa sechs Stunden rotiert, wurde 1969 von dem russischen
Astronomen Nicolai Chernykh mit dem Teleskop entdeckt und nach Karlis Steins,
einem lettischen Astronomen benannt. Auch Rosetta hat am 10. März 2006
Steins bereits einmal aus sehr großer Entfernung aufgenommen und konnte erste
Daten zur Rotationsdauer und Gestalt des Asteroiden gewinnen. Die Beobachtungen
beim Nahvorbeiflug an diesem Freitag sollen nun ein detailliertes Bild von
Steins liefern.
Die Instrumente und Raumflugkomponenten von Rosetta wurden schon während
zweier Vorbeiflüge der Sonde an der Erde und einer nahen Passage am Mars
getestet. Alle Systeme arbeiten einwandfrei und lieferten bereits wichtige
Messungen und Aufnahmen. Rosetta fliegt auf einer komplexen, spiralförmigen Bahn
durch das innere Sonnensystem und holt sich bei nahen Vorbeiflügen an Erde und
Mars den zum Erreichen seines endgültigen Ziels erforderlichen Schwung. Einmal
noch, im November 2009, wird Rosetta an der Erde vorbei kommen, ehe die
Sonde in knapp zwei Jahren am 10. Juli 2010 ein zweites Mal einen Asteroiden
besuchen wird, den hundert Kilometer großen Kleinplaneten Lutetia.
Rosetta ist das bisher komplexeste Unternehmen der ESA zur
Erforschung des Sonnensystems. Beachtlich ist der hohe deutsche Anteil an der
wissenschaftlichen Nutzlast: Deutsche Wissenschaftler haben die
Hauptverantwortung für die Hälfte aller Instrumente und sind insgesamt an
dreiviertel der Instrumente beteiligt. Von den Gesamtkosten der Mission, die bis
zum Ende rund eine Milliarde Euro betragen, werden etwa 30 Prozent durch
Deutschland aufgebracht, hauptsächlich durch die DLR Raumfahrt-Agentur: zwei
Drittel davon als deutscher ESA-Beitrag und ein Drittel durch nationale Mittel
inklusive der Grundfinanzierung der beteiligten Institute.
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