Riesengalaxie als
Sternhaufen-Räuber
von Stefan Deiters astronews.com
8. August 2008
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble haben
Astronomen Tausende mehr als fünf Milliarden Jahre alte Kugelsternhaufen im
Virgo-Galaxienhaufen aufgespürt. Die Beobachtungen verraten den Wissenschaftlern
einiges über die Sternentstehungsgeschichte in dieser Region des Alls und
entlarven auch eine Riesengalaxie, die kleineren Galaxien ihre Sternhaufen
raubt.

Einige der untersuchten Galaxien im Virgo-Galaxienhaufen.
Bild: ESA, NASA und E. Peng
(Peking University, Peking) [Großansicht] |
Kugelsternhaufen sind Ansammlungen von 100.000 oder mehr Sternen
und enthalten mit die ältesten noch leuchtenden Sterne einer Galaxie. Ein
internationales Astronomenteam hat nun in einer neuen Studie Hinweise darauf
gefunden, dass sich diese kosmischen Fossilien offenbar häufiger in Regionen
bilden, in denen Sterne mit einer sehr hohen Rate entstehen und nicht in allen
Galaxien gleichförmig.
Astronomen haben mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble rund 11.000
Kugelsternhaufen im Virgo-Galaxienhaufen identifiziert, die überwiegend um die
fünf Milliarden Jahr alt waren. Der Virgo-Galaxienhaufen besteht aus etwa 2.000
Galaxien und ist 54 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Er ist der der
Erde am nächsten gelegene Galaxienhaufen. Hubbles Advanced Camera for
Surveys entdeckte nun in 100 ganz verschiedenen Galaxien Kugelsternhaufen -
sogar in leuchtschwachen Zwerggalaxien.
"Kugelsternhaufen von Sternen oder Galaxien zu unterscheiden, ist von der
Erde aus sehr schwierig", erläutert Eric Peng von der chinesischen Peking
University und Hauptautor eines jetzt über die Beobachtungen
veröffentlichten Artikels. Doch Hubbles Auflösungsvermögen sei so gut
gewesen, dass es gelungen ist, die Sternhaufen von Einzelsternen und weiter
entfernten Galaxien zu trennen. "Dank Hubble konnten wir etwa 90
Prozent der Kugelsternhaufen in den beobachteten Bereichen beobachten. Das ist
wichtig für die Untersuchung von Zwerggalaxien, die nur wenige Kugelsternhaufen
aufweisen."
Die Astronomen fanden Kugelsternhaufen in den meisten Zwerggalaxien innerhalb
eines Abstandes von drei Millionen Lichtjahren vom Zentrum des Haufens - einer
Region, in der sich auch die elliptische Riesengalaxien Messier 87
(M87)befindet. Die Zahl der Kugelsternhaufen war überraschend hoch für die
relativ geringe Masse der Zwerggalaxien. In den Zwerggalaxien in den
Außenbereichen des Haufens fanden sich hingegen deutlich weniger
Kugelsternhaufen.
"Unsere Untersuchung hat ergeben, dass in Regionen mit verschiedenen
Umweltbedingungen Kugelsternhaufen auch mit unterschiedlicher Effektivität
entstehen", so Patrick Cote vom Herzberg Institute of Astrophysics im
kanadischen Victoria. "Zwerggalaxien in der Nähe des Zentrums des Virgohaufens
enthalten mehr Kugelsternhaufen als Zwerggalaxien in größerer Entfernung."
Astronomen wussten schon länger, dass die elliptische Riesengalaxien im
Zentrum des Galaxienhaufens, Messier 87, eine deutlich größere Zahl von
Kugelsternhaufen aufweist als man eigentlich erwarten würde. Lange Zeit konnte
sich niemand so recht erklären, woher die Kugelsternhaufen stammen.
Eventuell, so hatten Astronomen vermutet, hat die Riesengalaxie die
Kugelsternhaufen einfach von kleineren Zwerggalaxien gestohlen, die M87 zu nahe
gekommen waren.
Dieser Verdacht hat sich nun offenbar bestätigt: "In einem Umkreis von
130.000 Lichtjahren um Messier 87 haben wir gar keine oder nur wenige
Kugelsternhaufen in den Galaxien entdeckt", so Peng. "Das deutet darauf hin,
dass die große Galaxie, den kleineren ihre Sternhaufen stiehlt." Weitere
Hinweise fanden die Astronomen durch die Analyse der Zusammensetzung der
Sternhaufen. "In Messier 87 finden sich dreimal mehr Kugelsternhaufen mit wenig
schweren Elemente wie Eisen als Kugelsternhaufen die reich an diesen Elementen
sind. Das ist ein Hinweis darauf, dass viele dieser 'Metall-armen' Sternhaufen
von nahen Zwerggalaxien gestohlen wurden, deren Kugelsternhaufen auch über wenig
schwere Elemente verfügen."
Das Studium von Kugelsternhaufen verrät den Astronomen viel über die frühe
und äußerst intensive Phase der Sternentstehung, durch die auch die Galaxien
selbst entstehen. "Sternentstehung im Zentrum des Virgohaufens ist äußerst
intensiv. Hier entstehen in kurzer Zeit auf relativ kleinem Raum sehr viele
Sterne", so Peng. "Sie dürfte daher schneller und effektiver sein als in den
Außenbereichen. Die hohe Sternentstehungsrate könnte sich durch den gravitativen
Kollaps von dunkler Materie erklären lassen, die im Haufenzentrum in größerer
Konzentration vorkommt."
So dürften die Kugelsternhaufen in der Nähe des Haufenszentrums sehr früh in
der Geschichte des Virgohaufens entstanden sein. Die niedrigere Zahl von
Sternhaufen in den Außenbereichen von Virgo wiederum könnte sich dadurch
erklären lassen, dass hier Kugelsternhaufen mit einer geringeren Masse
entstanden sind. Diese massearmen Kugelsternhaufen hätten sich dann mit der Zeit
aufgelöst.
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