Schwarze Löcher, Geonen und Quantenschaum
von Stefan Deiters astronews.com
15. April 2008
Der amerikanische Physiker John Wheeler ist am Sonntag im
Alter von 96 Jahren gestorben. Wheeler, der als junger Mann noch mit Einstein
und Bohr arbeitete, war an der Entwicklung der Atom- und Wasserstoffbombe
beteiligt und gilt vielen als Vater der modernen Gravitationstheorie. Wheeler
prägte auch den Begriff, den heute jeder für ein "gravitativ komplett
kollabiertes Objekt" benutzt: Schwarzes Loch.
John Wheeler (hier im Jahr 1991) starb am
Sonntag.
Foto: Princeton University /
aus Familienbesitz |
"Johnny Wheeler hat weit über die Grenzen des menschlichen Wissens
hinaus geforscht und Fragen gestellt, mit denen sich erst spätere Generationen von
Physikern beschäftigen und sie vielleicht lösen werden", meinte Kip Thorne zum Tode
Wheeler, der einer seiner Lehrer war. Zusammen mit Wheeler und seinem Kollegen
Charles W. Misner schrieb Thorne das Buch "Gravitation", das als "Bibel" für jeden
gilt, der sich mit der allgemeinen Relativitätstheorie beschäftigt. Wheeler
starb am Wochenende in seinem Zuhause an den Folgen einer Lungenentzündung.
"Johnny", wie ihn die meisten nannten, wurde am 9. Juli 1911 in Jacksonville
geboren. Sein Vater war Bibliothekar und brachte ständig Bücher mit nach Hause,
die er seiner Familie zum Lesen gab, um so beurteilen zu können, ob sich
eine Anschaffung für die Bücherei lohnte. So entdeckte Johnny sein Interesse an
Wissenschaft. Mit 16 Jahren begann er ein Studium an der Johns Hopkins
University, die er 1933, im Alter von 21 Jahren mit einem Doktor in Physik
verließ.
Er ging nach Kopenhagen, um mit Niels Bohr zu arbeiten, mit dem er die
wissenschaftliche Veröffentlichung schrieb, in der die Grundlagen der
Kernspaltung beschrieben waren - eine Erkenntnis, die später zum Bau der
Atombombe führte. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Wheeler für ein Jahr in
den Laboratorien von Los Alamos, wo er entscheidenden Anteil an der Entwicklung
der Wasserstoffbombe hatte und zum Mentor des späteren Nobelpreisträgers Richard
Feynman wurde.
Sein wissenschaftliches Leben unterteilte Wheeler selbst in drei
Abschnitte: In der ersten Phase, überschrieben mit "Alles besteht aus Teilchen",
versuchte er alle Partikel auf die kleinstmöglichen fundamentalen Teilchen
zurückzuführen. Im zweiten Teil, den er "Alles sind Felder" nannte, versuchte er
die Welt als aus Feldern bestehend zu betrachten, in der Teilchen lediglich
Erscheinungsformen von elektrischen, magnetischen oder Gravitationsfeldern
waren. In seiner letzten Phase, "Alles ist Information", beschäftigte er sich
mit der Idee, dass Logik und Information die Grundfesten der physikalischen
Theorie sind.
"John Wheeler, der seine Arbeit in den 30er Jahren mit Niels Bohr in der
Kernphysik begann, wurde zwei Jahrzehnte später die Vaterfigur der modernen
Relativitätstheorie", so Stanley Deser, einer Relativitätstheoretiker von der
Brandeis University. "Wheelers Einfluss ist kaum zu überschätzen, aber seine
Beharrlichkeit beim Verständnis der Physik von Schwarzen Löchern ist ein
herausragendes Beispiel."
Von anderen Wissenschaftlern als überschwänglich und optimistisch beschrieben, platze
er oft in die Büros seiner Kollegen hinein und fragte "Was gibt es Neues?".
Seine Vorlesungen sollen voller Energie gewesen sein, oft hat er an der Tafel
gleich mit beiden Händen geschrieben und dabei trotzdem versucht, Augenkontakt
zu seinen Studenten zu behalten. Von diesen hatte er durchaus eine hohe Meinung:
Universitäten haben Studenten, so soll er einmal gesagt haben, damit die
Professoren von ihnen lernen können.
Wheeler liebte es, Dingen einen Namen zu geben. Im Herbst 1967 hielt er einen
Vortrag über Pulsare, von denen man damals noch nicht wirklich wusste, um was es
sich handelte. Er erklärte den Zuhörern, dass sich in ihrem Zentrum vielleicht
etwas recht Merkwürdiges befinden könnte, das er ein "gravitativ vollständig
kollabiertes Objekt" nannte. Da dies recht kompliziert zu sagen sei, so verriet
er seinem Publikum, würde er verzweifelt nach einem besseren Begriff dafür
suchen. "Wie wäre es mit Schwarzes Loch?", fragte da einer aus dem Publikum.
"Ich hatte seit Monaten nach einem Namen dafür gesucht", schrieb Wheeler
später, "und darüber im Bett, in der Badewanne, im Auto und in jedem ruhigen
Moment nachgedacht. Dieser Name erschien plötzlich genau richtig." Er benutzte
den Begriff "Schwarzes Loch" fortan in seinen Vorlesungen und wissenschaftlichen
Arbeiten. Andere, weniger bekannte von Wheeler geprägte Begriffe sind das "Geon",
ein - wahrscheinlich nicht wirklich existierender - gravitativer Körper, der
vollkommen aus elektromagnetischen Feldern besteht und der "Quantenschaum". Die
Begriffe erfand er, um mit ihrer Hilfe, einige seiner Ideen zu durchdenken.
"Wenn ich gefragt werde, warum ich Wissenschaft betreibe, dann antworte ich
immer, dass ich es mache, um meine Neugier zu befriedigen und dass ich von Natur
aus ein Suchender bin, der verstehen möchte. Jetzt, mit über 80 Jahren, suche
ich immer noch", schrieb Wheeler, der noch bis 2006 ein Büro an der Universität
hatte, vor einigen Jahren. "Nun weiß ich aber, dass das Streben der
Wissenschaft mehr ist als das Streben nach Verstehen. Es wird getrieben durch
einen kreativen Drang, einen Drang eine Vision, eine Karte oder ein Bild der Welt zu
konstruieren, das der Welt ein bisschen mehr Schönheit und Stimmigkeit gibt als sie
zuvor hatte. Irgendwo als Kind wird dieser Drang geboren."
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