22 Sekunden Forschung über Saturnringe
Redaktion /
Pressemitteilung des DLR astronews.com
8. April 2008
Während der zwölften Parabelflugkampagne des DLR, die heute
in Frankreich begonnen hat, stehen deutschen Wissenschaftler wieder mehrfach 22
Sekunden Schwerelosigkeit für ihre Forschungen zur Verfügung. Diese sollen unter
anderem genutzt werden, um mehr über das Ringsystem des Saturn und die
Bekämpfung von Krebszellen zu erfahren.
Logo der 12. Parabelflugkampagne des DLR.
Bild: DLR |
Vom 8. bis zum 11. April 2008 veranstaltet das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) zum zwölften Mal Parabelflüge mit dem Airbus A300 ZERO-G. Vom
Flughafen Bordeaux aus startete das größte fliegende Labor der Welt heute zum
ersten von insgesamt vier Forschungsflügen in die Schwerelosigkeit. Diese nutzen
die Wissenschaftler für ihre 23 Experimente in Biologie, Humanphysiologie,
Physik und Materialforschung. Zirka 130 Wissenschaftler aus 16 Nationen nehmen
teil.
Bei den drei- bis vierstündigen Flügen fliegt der Airbus A300 ZERO-G der
französischen Firma Novespace je 31 Parabeln. Dabei steigt das Flugzeug aus dem
horizontalen Flug in einem Winkel von bis zu 52 Grad steil nach oben. Dann
drosselt der Pilot die Schubkraft der Turbinen und fliegt dabei eine Bahn, die
einer Wurf-Parabel entspricht. Der Airbus befindet sich dabei mit seinen
Passagieren und Experimenten im freien Fall, wobei für etwa 22 Sekunden
annähernde Schwerelosigkeit herrscht. Insgesamt stehen bei der zwölften
Parabelflug-Kampagne an vier Flugtagen mehr als 40 Minuten Schwerelosigkeit zur
Verfügung. Neben eigenständiger Forschung werden auch Experimente für die
Internationale Raumstation ISS vorbereitet.
Ein Forscherteam von der Charité Berlin untersucht den Einfluss von
Schwerelosigkeit auf menschliche Zellen. Im Parabelflug werden Gefäß- und
Tumorzellen in der Schwerelosigkeit kultiviert und später molekularbiologisch
untersucht. Die Wissenschaftler erwarten von dem Experiment Hinweise auf
Vorgänge, die für den Zelltod verantwortlich sind. Langfristiges Ziel der
Forscher sind neue Therapieansätze in der Krebsforschung sowie bessere
Heilungschancen für geschädigte Organsysteme.
Ein weiteres Experiment beschäftigt sich mit den Saturnringen. Forscher der
Technischen Universität Braunschweig wollen Vorgänge, die sich in den Ringen des
Saturn abspielen, näher kennen lernen. Ausgangspunkt ihrer Forschung ist
folgendes Phänomen: Der innere Teil der Saturnringe, die im Wesentlichen aus
Eisbrocken unterschiedlicher Größe bestehen, rotiert schneller als der äußere.
Aufgrund dieser Geschwindigkeitsunterschiede stoßen die Ringpartikel häufig
zusammen. Diese Stöße finden bei sehr geringen Geschwindigkeiten statt.
Um genau zu verstehen, was dabei passiert, stellt das Team der TU
Braunschweig im Parabelflug solche Kollisionen im Miniaturformat nach. Die
Theoretiker der Universität Potsdam berechnen mit den gewonnenen Daten
dynamische Modelle der Vorgänge in den Saturnringen. Die Experimente ermöglichen
damit einen tieferen Einblick in die Physik eines faszinierenden kosmischen
Labors.
Die Evolution des Lebens und alle biologischen, physikalischen und chemischen
Prozesse auf der Erde laufen immer unter Einwirkung der Erdschwerkraft ab.
Daraus ergeben sich viele Fragen, beispielsweise: Welchen Einfluss hat die
Schwerkraft auf physikalische und biologische Vorgänge? Kann man mit
entsprechendem Wissen technologische Prozesse oder Produkte verbessern?
Inwieweit können grundlegende Untersuchungen an gesunden Menschen in
Schwerelosigkeit zur Behandlung von Patienten auf der Erde beitragen? Forschung
in Schwerelosigkeit bietet eine einmalige Gelegenheit, Prozesse und Reaktionen
ohne die Einwirkung der Schwerkraft zu untersuchen und dabei auf grundlegende
Phänomene zu stoßen.
Seit den 1950er Jahren werden Parabelflüge mit Flugzeugen für das Training
von Astronauten, medizinische Untersuchungen und Experimente in Schwerelosigkeit
eingesetzt. Außerdem testet man Geräte für ihren Einsatz im Weltraum, um
sicherzugehen, dass sie auch in Schwerelosigkeit einwandfrei funktionieren.
Die DLR Raumfahrt-Agentur veranstaltet seit 1999 jährlich ein bis zwei
Parabelflug-Kampagnen. Die daran beteiligten Wissenschaftler haben bisher weit
über 200 Versuche durchgeführt; insgesamt waren fast 30 Tonnen
Experimentiergerät an Bord. Forscher verstehen nun besser, wie Pflanzen ihr
Wachstum nach der Erdschwerkraft ausrichten, wie Seh- und Gleichgewichtssinn des
Menschen gekoppelt sind und wie Menschen auf den besonderen Stress bei
wechselnden Beschleunigungen reagieren. An schwebend geschmolzenen Metalltropfen
konnten grundsätzliche Erkenntnisse über Erstarrungsvorgänge erzielt werden.
Neue Ergebnisse erweitern unser Verständnis von frühen Prozessen bei der Bildung
von Himmelskörpern.
Auch bei dem 12. Parabelflug sind viele junge Wissenschaftler aus
verschiedenen Fachgebieten dabei. Bei vielen Teams gibt es internationale
Kooperationspartner, so dass dieses Mal Wissenschaftler und medizinische
Testpersonen aus 16 Ländern mitfliegen. Das DLR wird seine Parabelflüge auch in
Zukunft mit ein bis zwei Kampagnen pro Jahr fortführen und damit deutschen
Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine einzigartige Forschungsplattform
zur Verfügung stellen.
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