Blick in die kosmische Ursuppe
Redaktion /
Pressemitteilung der Universität Münster astronews.com
14. Februar 2008
Am CERN in der Schweiz entsteht mit dem Large Hadron
Collider gerade der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt.
Seiner Inbetriebnahme im Sommer fiebern auch Physiker der Universität Münster
entgegen, die am Bau eines Detektors für das ALICE-Experiment beteiligt sind.
Die Forscher wollen im Schweizer Untergrund den Zustand der Materie unmittelbar
nach dem Urknall untersuchen.
An der Universität Münster entstehen
Detektormodule für das ALICE-Experiment am
Genfer CERN.
Foto:
Universität Münster / Peter Grewer |
Hören wird man nichts, doch trotzdem werden gewaltige Energie frei werden,
wenn Wissenschaftler beim Experiment ALICE Bleiatomkerne nahezu mit
Lichtgeschwindigkeit aufeinander schießen. An dem Experiment, mit dem der
Zustand der Materie unmittelbar nach dem Urknall untersucht werden soll, ist
auch die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Johannes Wessels vom Institut für
Kernphysik der Universität in Münster beteiligt.
ALICE (A Large Ion Collider Experiment) wird am stärksten
Schwerionenbeschleuniger der Welt aufgebaut: am Large Hadron Collider
(LHC), der im Sommer 2008 in Betrieb genommen werden soll. In einem
unterirdischen, 27 Kilometer langen ringförmigen Tunnel werden Atomkerne
aufeinander geschossen; die Teilchen bewegen sich dabei entgegengesetzt in zwei
luftleeren Röhren. Diese sind von mehr als 1.200 jeweils 15 Meter langen
Elektromagneten umgeben, die durch flüssiges Helium im größten Kühlsystem der
Welt auf minus 271 Grad Celsius gekühlt werden. Hier wird ein extrem starkes
Magnetfeld erzeugt, das die Teilchen punktgenau auf Kollisionskurs lenkt.
Auf dem Kreiskurs stehen insgesamt vier gigantische Detektoren an den
Kollisionspunkten, die für verschiedene Experimente genutzt werden. Einer davon
ist der 16 Meter hohe und 26 Meter lange Detektor ALICE. An dem gleichnamigen
Experiment sind rund 1.000 Wissenschaftler aus 80 Instituten in 30 Ländern
beteiligt. Sie wollen durch den Zusammenprall von Bleiatomkernen den Zustand der
Materie wieder herstellen, wie er etwa eine millionstel Sekunde nach der
Entstehung des Universums existiert hat.
"Während der Ausdehnung und Abkühlung des Universums bildeten sich Protonen
und Neutronen, die Bausteine unserer Materie, aus Quarks und Gluonen", erklärt
Wessels. Die Forscher stellen das Urplasma wieder her, um seine Eigenschaften zu
untersuchen. "Wenn Bleiatomkerne mit 99,99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit
aufeinander prallen, werden die Protonen und Neutronen so stark verdichtet, dass
sich ihre Quarks und Gluonen wie in der kosmischen Ursuppe wieder frei bewegen
können", beschreibt der Forscher das Experiment.
Die Energie, die dabei in der Kollisionszone frei wird, ist so groß, dass
dabei sogar neue Teilchen entstehen. Mit speziellen Detektoren werden
Eigenschaften dieser Teilchen wie Ladung, Masse und Impuls gemessen. Aus diesen
Daten können die Forscher die Art der Teilchen bestimmen und ihren Zustand im
Augenblick nach der Kollision rekonstruieren.
Die Physiker aus Münster sind am Bau des so genannten
Übergangsstrahlungsdetektors für ALICE beteiligt, der den Nachweis von
Elektronen und Positronen ermöglicht. "Diese Teilchen sind die einzigen, die von
den starken Wechselwirkungen und Veränderungen nach dem Zusammenprall
unbeeinflusst bleiben. Sie bilden daher ein Fenster zu dem Augenblick
unmittelbar nach der Kollision", erklärt Wessels. "Sie sind ideale Sonden, um
die heißeste und dichteste Phase einer Schwerionen-Kollision zu beobachten."
Der Übergangsstrahlungsdetektor besteht aus einer gigantischen Tonne von
sieben Metern Durchmesser, die nach dem Zwiebelschalenprinzip mit 540
plattenförmigen Detektormodulen ausgekleidet ist. Insgesamt decken die Module
eine Fläche von rund 740 Quadratmetern ab. Die Elemente des Elektronendetektors,
die zum Teil auch im Institut für Kernphysik produziert werden, werden von den
Technikern und Wissenschaftlern gemeinsam mit Studierenden zusammengesetzt.
Insbesondere wird hier jeder einzelne der insgesamt 1,2 Millionen Auslesekanäle
getestet, bevor die Detektoren auf die Reise nach Genf gehen.
Wenn der Schwerionenbeschleuniger LHC in Betrieb genommen wird, fallen allein
beim ALICE-Experiment jährlich zwei Millionen Gigabyte an Daten an. "Würde man
die auf CD speichern und die CDs stapeln, entstünde ein fünf Kilometer hoher
Turm", veranschaulicht Wessels die Datenmenge. Die Daten werden durch ein
besonderes "Grid-System" in einem internationalen Netzwerk von Rechenzentren
gespeichert und an die an dem Experiment beteiligten Arbeitsgruppen verteilt.
Auch für die Physiker aus Münster heißt es dann: Daten auswerten - vermutlich
weit über die geplante zehnjährige Laufzeit des ALICE-Detektors hinaus.
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