Hunderte vagabundierende Schwarze Löcher?
von Stefan Deiters astronews.com
10. Januar 2008
Beruhigend klingt das nicht: Stimmen die jüngsten
Simulationen amerikanischer Astronomen, könnten Hunderte von Schwarzen Löchern
durch unsere Milchstraße geistern. Zu entdecken wären diese galaktischen
Vagabunden, die jeweils die vieltausendfache Masse unserer Sonne haben, nur
schwer. Zu viel Sorgen sollte man sich auf der Erde deswegen allerdings nicht
machen.
In Kugelsternhaufen, hier eine Hubble-Aufnahme von NGC 2808,
könnte es einmal Mittelklasse-Schwarze Löcher gegeben haben, die
heuet durch die Milchstraße vagabundieren.
Foto: NASA, ESA, A.
Sarajedini (University of Florida) und G. Piotto (Universität
Padua)
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"Solche vagabundierenden Schwarzen Löcher wären äußerst
schwer zu entdecken", erläutert Kelly Holley-Bockelmann von der amerikanischen
Vanderbilt University, die die Resultate ihrer Simulationen auf einem
Hochleistungsrechner gestern auf einem Astronomentreffen in Texas vorstellte.
"Wenn ein solches Schwarzes Loch nicht gerade große Mengen an Gas verschlingt,
gibt es nur einen Weg es zu entdecken, nämlich zu beobachten, wie seine enorme
Anziehungskraft Licht in seiner Nähe ablenkt. Das führt zum sogenannten
Gravitationslinseneffekt, durch den Sterne kurzzeitig ihre Position verändern
und heller werden können."
Die Wissenschaftler haben sich bei ihrer Arbeit auf einen bestimmten Typ von
Schwarzen Löchern konzentriert, für deren Existenz es noch relativ wenig
Anhaltspunkte gibt. Man ist sich heute relativ sicher, dass nach einer
Supernova-Explosion eines massereichen Sterns ein Schwarzes Loch zurückbleiben
kann und dass sich im Zentrum von Galaxien supermassereiche Schwarze Löcher
befinden. Den ersten Typ Schwarzer Löcher bezeichnen die Wissenschaftler als
stellare Schwarze Löcher, deren Masse deutlich unter der 100-fachen Masse
unserer Sonne liegt. Die supermassereichen Schwarzen Löcher im Zentrum der
Galaxien können die Masse unserer Sonne um das Millionen oder gar
Milliardenfache übertreffen.
Seit einiger Zeit gibt es aber immer mehr Indizien dafür, dass es auch eine
dritte Klasse Schwarzer Löcher gibt, eine Art Mittelklasse, die eine Masse von
nur einigen Tausend Sonnenmassen aufweist (astronews.com berichtete). Diesen Typ
vermuten Theoretiker beispielsweise in Kugelsternhaufen, gewaltigen Ansammlungen
von bis zu einer Millionen Sternen, die in großen Bahnen um das Zentrum unserer
Milchstraße kreisen.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich nun Holley-Bockelmann und ihre
Kollegen mit Hilfe von aufwendigen Computersimulationen der Frage angenommen,
was eigentlich passiert, wenn zwei unterschiedlich schnell rotierende Schwarze
Löcher oder zwei Schwarze Löcher mit unterschiedlicher Masse zusammenstoßen und
verschmelzen. Gibt es in Kugelsternhaufen tatsächlich Mittelklasse-Schwarze
Löcher ist dieses Szenario nicht so unwahrscheinlich, da es in Kugelsternhaufen
auf jeden Fall zahlreiche stellare Schwarze Löcher geben sollte.
Das überraschende Ergebnis der Simulation: Wenn zwei Schwarze Löcher mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder Größen verschmelzen, erhalten sie eine
gewaltigen Kick, der sie mit hoher Geschwindigkeit in eine kaum vorhersagbare
Richtung beschleunigt. Die Astronomen gehen dabei von Geschwindigkeiten in der
Größenordnung von 4.000 Kilometern pro Sekunde aus. "Das ist deutlich mehr als
irgendjemand zuvor gedacht hatte", so Holley-Bockelmann. "Uns wurde schnell
klar, dass ein solches verschmolzenes Schwarzes Loch jeden Kugelsternhaufen
sofort verlassen würde, da die Entweichgeschwindigkeit der Haufen bei weniger
als 100 Kilometern pro Sekunde liegt."
Nach konservativen Schätzungen der Astronomen würden, unter der Annahme, dass
jeder Kugelsternhaufen zunächst ein Mittelklasse-Schwarzes Loch aufweist,
lediglich noch 30 Prozent über ein solches verfügen. Alle anderen wurden durch
Kollisionen mit stellaren Schwarzen Löchern aus den Haufen hinausgekickt. Im
Extremfall könnten gar nur noch zwei Prozent der Kugelsternhaufen über ein
Mittelklasse-Schwarzes Loch verfügen.
Angesichts der Anzahl der Kugelsternhaufen in der Milchstraße könnte man -
stimmen die Modelle der Astronomen - heute von Hunderten Mittelklasse-Schwarzen
Löchern ausgehen, die durch unsere Galaxie vagabundieren und dabei alles
verschlingen, was sich ihnen in den Weg stellt - egal ob Sterne, Nebel oder
Planeten. Eine wirkliche Gefahr, beruhigt Holley-Bockelmann, seien die
vagabundierenden Löcher aber nicht. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie uns
irgendwie gefährlich werden. Ihre Gefahrenzone ist nur einige Hundert Kilometer
groß. Da gibt es deutlich gefährlichere Dinge da draußen."
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