Wie sich die Zeit dehnt
Redaktion /
Pressemitteilung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz astronews.com
22. November 2007
Die Relativitätstheorie von Einstein gehört zu den
Grundfesten der modernen Physik. Eine ihrer faszinierenden Aussagen ist, dass
bewegte Uhren langsamer gehen. Dass diese Tatsache aber auch heute immer wieder
überprüft und auf eventuelle Widersprüche hin durchleuchtet wird, zeigt eine
jetzt veröffentlichte Arbeit Mainzer Physiker: Sie bestimmten die Zeitdehnung
mit bislang einmaliger Genauigkeit.
Darstellung des verwendeten Farbstofflasers
(orange) mit Pumplaser(grün).
Bild:
idw / Sascha Reinhardt, Sergei Karpuk, Christian
Novotny, Guido Saathoff |
Die Zeitdehnung ist einer der faszinierendsten Aspekte der
speziellen Relativitätstheorie Einsteins, weil er die Vorstellung einer absolut
gültigen Zeit abschafft: Uhren in bewegtem Zustand ticken langsamer. Im
Experiment konnte die Zeitdehnung zum ersten Mal von Ives und Stilwell 1938
mithilfe des Dopplereffekts beobachtet werden. Physikern der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz ist es nun gelungen, die Zeitdehnung mit bisher
nicht erreichter Genauigkeit zu messen. Die Wissenschaftler verwenden dazu einen
Ansatz, der die Speicherung und Kühlung von Lithium-Ionen und die Messung ihrer
optischen Frequenzen mit einem Frequenzkamm verbindet.
"Die Erforschung der Zeitdehnung ist nicht nur für die Grundlagenphysik von
Bedeutung, sondern hat für die satellitengestützte Positionsbestimmung mit GPS
und viele andere Anwendungen in der Kommunikationstechnologie eine ganz
praktische Funktion", erklärt Prof. Dr. Gerhard Huber von der Universität Mainz
dazu. Die Arbeit, die in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Heidelberg,
Garching und Winnipeg entstanden ist, wurde vom Wissenschaftsmagazin Nature
Physics online veröffentlicht.
Seit ihrer Einführung 1905 bildet die spezielle Relativitätstheorie Albert
Einsteins die Grundlage für alle Beschreibungen physikalischer Vorgänge. Ein
wesentliches Prinzip dieser Theorie besagt, dass die Lichtgeschwindigkeit immer
konstant bleibt, unabhängig davon, ob sich ein Beobachter mit eigener
Geschwindigkeit bewegt oder nicht. Allerdings ist die Zeit in diesem Konzept nun
nicht mehr konstant, sondern in einem bewegten System wie beispielsweise einer
Rakete im Weltall verlangsamt.
Diese Zeitdilatation oder Zeitdehnung wurde 1938 erstmals gemessen und mit
einer Genauigkeit von einem Prozent bestimmt. Die jetzt publizierte Arbeit ist
gegenüber dieser ersten Messung 100.000 Mal genauer. "Das ist eine spektakuläre
Genauigkeit, die allerdings auch notwendig ist, wenn wir die Grundlagen der
Physik, also das Standardmodell testen wollen", so Huber.
Der Mainzer Atomphysiker hat vor etwa 20 Jahren zusammen mit Prof. Dirk
Schwalm vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg diese
Forschungsarbeit am damals neu installierten Speicherring TSR des
Max-Planck-Instituts begonnen. Dabei werden Lithium-Ionen bei relativistischen
Geschwindigkeiten - das sind bis zu sechs Prozent der Lichtgeschwindigkeit oder
bis zu 20.000 Kilometer pro Sekunde - als feiner Strahl gespeichert und mit
Lasern auf ihren optischen Resonanzen angeregt. Diese sehr scharfen Resonanzen
funktionieren wie Atomuhren, die sich mit den Ionen bewegen.
Die Laseranregung geschieht mit zwei Lasern, die dem Ionenstrahl hinterher
und entgegen geschickt werden. Wenn beide Laser dieselben Ionen anregen, können
die Eigenzeit dieser Uhren und zugleich deren Geschwindigkeit im Speicherring
genau gemessen werden. Einzig mit der Kenntnis der optischen Frequenzen kann der
Faktor der Zeitdehnung, der zugleich die Massenzunahme beschreibt, aus den
Experimenten bestimmt werden und mit dem bekannten Wert in der speziellen
Relativitätstheorie Einsteins verglichen werden.
Die genaue Frequenzmessung geschah in Garching bei München mit einem
optischen Frequenzkamm in Zusammenarbeit mit dem Team um Prof. Theodor Hänsch,
der 2005 für die Entwicklung dieses Verfahrens mit dem Nobelpreis geehrt wurde.
"Innerhalb einer Messgenauigkeit von 1 zu 10 Millionen konnte am TSR
Speicherring in Heidelberg die spezielle Relativitätstheorie bestätigt werden",
fasst Huber zusammen.
Die Messung reiht sich damit in die Serie der Überprüfung des sogenannten
Standardmodells der Physik ein, das die Elementarteilchen und die zwischen ihnen
wirkenden Kräfte beschreibt, und die auch den Test der Lorentz-Invarianz, also
der Gültigkeit der speziellen Relativität, einschließt. "Allerdings reicht die
bislang erreichte Genauigkeit nicht, um bereits Abweichungen zu erkennen."
Die Mitarbeiter aus Mainz, Sergei Karpuk und Christian Novotny, arbeiten nun
an einem Experiment bei deutlich höheren Geschwindigkeiten, die bei der
Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt mit dem Speicherring
ESR erreicht werden können. In ersten Tests kamen die Ionen hier auf bis zu 34
Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
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