Anorganisches Leben im interstellaren Staub?
von Stefan Deiters astronews.com
17. August 2007
Könnte außerirdisches Leben aus Korkenzieher-förmigen
Teilchen aus interstellarem Staub bestehen? Russische, australische und deutsche
Wissenschaftler haben nun Hinweise dafür gefunden, dass auch anorganische Strukturen
ein Verhalten zeigen können, das dem lebender Organismen ähnelt. War
anorganisches Leben vielleicht sogar die Vorlage für das heutige Leben auf der
Erde?
Der Pferdekopf-Nebel ist eine riesige Wolke aus
Gas und Staub.
Foto: NASA, NOAO, ESA und The Hubble Heritage Team (STScI/AURA) |
Leben auf der Erde ist organisch, es basiert also auf
Kohlenstoff-haltigen Molekülen. Doch muss das so sein? Science Fiction-Autoren
haben schon des Öfteren außerirdisches Leben beispielsweise auf Silizium-Basis
kreiert. Und jetzt hat ein internationales Wissenschaftlerteam entdeckt, dass - bei
richtigen Bedingungen - Teilchen aus anorganischem Staub sich in spiralförmigen
Strukturen anordnen, die miteinander in einer Weise wechselwirken, die man
normalerweise nur von organischen Verbindungen und von Leben selbst erwarten
würde.
Vadim Tsytovich vom General Physics Institute in Moskau und seine
Kollegen vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching sowie
von der University of Sydney haben das Verhalten von komplexen
Mischungen aus anorganischem Material in einem Plasma untersucht. Plasma ist
quasi - nach fest, flüssig und gasförmig - der vierte Aggregatzustand der
Materie, in dem Atome ihre Elektronen verlieren und es daher hauptsächlich
geladene Teilchen gibt.
In einer solchen Materiewolke, so die Ansicht der Wissenschaftler bislang,
kann es kaum eine Ordnung geben. Mit Hilfe von molekulardynamischen
Computermodellen konnten Tsytovich und seine Kollegen aber zeigen, dass sich
Partikel in einem Plasma sehr wohl anordnen können, wenn die elektrischen
Ladungen getrennt werden und das Plasma dadurch polarisiert wird.
Dadurch, so die Forscher, würden mikroskopisch kleine Fäden aus festen
Partikeln entstehen, die sich wie ein Korkenzieher aufdrehen und damit eine
Spiralstruktur annehmen. Diese Spiralfäden sind selbst elektrisch geladen und
ziehen sich gegenseitig an. Auch ansonsten würden sie ein eher merkwürdiges
Verhalten zeigen, das man sonst nur von biologischen Molekülen wie DNA oder
Proteinen kennt: So können sie sich teilen und auf diese Weise Kopien von sich
selbst herstellen.
Die Strukturen würden auch Änderungen bei ihren Nachbarn hervorrufen, würden
sich zu anderen Strukturen entwickeln, in dem die weniger stabilen
auseinanderbrechen und nur die stabilsten Strukturen im Plasma übrig bleiben.
Könnte man also von Leben sprechen, wenn man solche spiralförmigen Strukturen
im interstellaren Staub findet? "Diese komplexen, sich selbstorganisierenden
Plasmastrukturen haben all die Eigenschaften, die sie zu Kandidaten für
anorganische lebende Materie machen", so Tsytovich. "Sie sind selbständig, sie
können sich reproduzieren und weiterentwickeln."
Die Eigenschaften, die ein Plasma haben müsste, um diese Strukturen zu
ermöglichen, sind im Weltraum nach Angaben des Wissenschaftlers recht häufig.
Sie können aber auch auf der Erde, beispielsweise bei einem Blitzschlag,
entstehen. Die Wissenschaftler spekulieren, dass eventuell auf der jungen Erde
zunächst eine Form von anorganischem Leben entstanden ist, das dann quasi als
Muster für die uns vertrauten organischen Moleküle gedient hat.
Ein Artikel, der die Arbeit der Wissenschaftler beschreibt, ist vor wenigen
Tagen in der Zeitschrift New Journal of Physics erschienen, die vom
Institute of Physics und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
herausgegeben wird. Alle Artikel der Zeitschrift können kostenlos im Internet
gelesen und heruntergeladen werden.
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