Neue Rätsel um
Dunkle Materie
von Stefan Deiters astronews.com
17. August 2007
Beobachtungen mit dem Röntgenteleskop Chandra
lassen die Astronomen zweifeln, ob ihre bisherigen Vorstellungen über Dunkle
Materie zutreffend sind. Mit dem Teleskop beobachteten die Wissenschaftler
die Folgen einer Kollision von zwei Galaxienhaufen und entdeckten dabei einen
Kern aus Dunkler Materie, in dem es nahezu keine Galaxien gibt. Verhält sich
Dunkle Materie also ganz anders als bislang angenommen?
Der Galaxienhaufen Abell 520. Das von Chandra
beobachtete heiße Gas ist rot dargestellt, die
Massenverteilung (hauptsächlich Dunkelmaterie)
blau.
Bild: NASA / CXC / UVic. / A.Mahdavi et al.
(Röntgen), CFHT / UVic. / A.Mahdavi et al.
(optisch, Lensingdaten) [Großansicht] |
"Diese Ergebnisse stellen unser bisheriges Wissen darüber, wie
Galaxienhaufen verschmelzen in Frage", macht Dr. Andisheh Mahdavi von der
University of Victoria in British Columbia die Bedeutung der Beobachtungen
deutlich. "Vielleicht müssen wir auch unsere Überzeugungen über die Natur der
Dunkelmaterie überdenken." Galaxienhaufen bestehen nach Ansicht der Astronomen
aus drei Komponenten: aus Galaxien mit vielen Milliarden Sternen, aus heißem Gas
zwischen den Galaxien und eben aus Dunkler Materie, die den größten Teil der Masse
des Galaxienhaufens ausmacht und sich nur durch ihre Gravitationswirkung verrät.
Mit optischen Teleskopen kann man die Galaxien selbst erkennen, aber auch
Informationen über die Dunkle Materie erhalten: Die Massenkonzentration der
Dunklen Materie in einem Galaxienhaufen hat nämlich Einfluss auf das Licht von
Galaxien, die - von uns aus gesehen - hinter dem Galaxienhaufen liegen. Das
Licht der fernen Galaxien wird abgelenkt und aus dieser Ablenkung kann man auf
die Massenverteilung und auf die Dunkelmaterie selbst schließen. Röntgenteleskope wie
Chandra liefern
schließlich Informationen über das mehrere Millionen Grad heiße Gas zwischen den
Galaxien.
Die bisherigen Theorien gingen davon aus, dass Dunkle Materie und Galaxien
zusammenbleiben - auch dann, wenn die entsprechenden Galaxienhaufen in
eine Kollision verwickelt sind. So hatte es Chandra beispielsweise (wie
berichtet) im vergangenen Jahr im Galaxienhaufen 1E 0657-56 beobachtet, der
auch Bullet-Cluster (also Geschoß-Haufen) genannt wird. Doch als die
Astronomen Daten von Chandra, dem Subaru-Teleskop und dem Canada-France-Hawaii-Telescope
des Galaxienhaufens Abell 520 auswerteten, ergab sich ein anderes Bild: Sie
entdeckten einen Kern aus Dunkler Materie, in dem es zwar auch heißes Gas gab,
jedoch keinerlei Galaxien.
"Das hat uns wirklich umgehauen. Es sieht so aus, als seien die Galaxien aus
dem Bereich mit der höchsten Konzentration an Dunkler Materie entfernt worden",
so Dr. Hendrik Hoekstra, der auch an der University of Victoria arbeitet. "Das
ist das erste Mal, dass so etwa beobachtet wurde und ein gewaltiger Test für
unsere bisherigen Theorien über das Verhalten von Dunkler Materie."
Zusätzlich entdeckten die Wissenschaftler eine Region, in der es Gruppen von
Galaxien gibt, jedoch kaum oder gar keine Dunkle Materie. Die Dunkle Materie
scheint sich also von den Galaxien getrennt zu haben. "Diese Beobachtungen sind
ein Schlag ins Gesicht für unser bisheriges Verständnis des Universums", meint
auch Dr. Arif Babul von der University of Victoria. "Unser Standardmodell
besagt, dass gebundene Galaxiengruppen wie diese jede Menge an Dunkler Materie
enthalten sollten. Was hat es zu bedeuten, dass das hier offenbar nicht der Fall
ist?"
Im Bullet-Cluster konnte man beobachten, dass sich das heiße Gas bei der
Kollision - wie erwartet - verlangsamt hat, während die Galaxien und die Dunkle
Materie sich ungestört weiterbewegt haben. In Abell 520 scheint es so zu sein,
dass sich nur die Galaxien ungestört weiter bewegt haben und ein großer Teil der
Dunklen Materie zusammen mit dem Heißen Gas im Zentrum der Kollision
zurückgeblieben ist.
Mahdavi und seine Kollegen bieten zwei Möglichkeiten an, die Beobachtungen zu
erklären. So könnte sich die Dunkle Materie von den Galaxien durch eine komplexe
Folge von sogenannten Gravitations-Slingshots getrennt haben.
Slingshot-Manöver werden - in weitaus kleinerem Maßstab - in der Raumfahrt eingesetzt, um Sonden ein
"Schwungholen" an Planeten zu ermöglichen und sie dadurch zu beschleunigen.
Computersimulationen bestätigen diese Theorie allerdings bislang nicht.
Die zweite Möglichkeit wäre, dass Dunkle Materie nicht nur von Gravitation
beeinflusst wird, sondern noch zusätzlich durch eine bislang unbekannte
Wechselwirkung mit anderen Dunkelmaterie-Teilchen. Dies würde bedeuten, dass man
ein ganz neues physikalisches Modell entwickeln müsste und auch Probleme hätte
frühere Beobachtungen, etwa die vom Bullet-Cluster, zu erklären.
Das Team, das seine Ergebnisse im Oktober in der Fachzeitschrift The
Astrophysical Journal veröffentlicht, hat sich weitere Beobachtungszeit für
Abell 520 sowohl mit dem Hubble-Weltraumteleskop aus auch mit Chandra gesichert.
Mit zusätzlichen Daten hoffen die Forscher dann dem Geheimnis von Abell 520 auf die Spur
zu kommen.
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