Komplexe
Chemie im interstellaren Raum
von Stefan Deiters astronews.com
24. Juli 2007
Mithilfe des Robert C. Byrd Green Bank
Radioteleskops haben Astronomen das bislang größte negativ geladene Molekül im
interstellaren Raum aufgespürt. Es ist bereits das dritte negativ geladene
Molekül, das entdeckt wurde. Bis vor einem Jahr hatte man die Existenz dieser
Moleküle im Weltall für nahezu unmöglich gehalten. Die wiederholten Funde
dürften nun eine Überarbeitung der bisherigen Theorien nötig machen.

In einer Molekülwolke (künstlerische
Darstellung) entdeckten Astronomen negativ
geladene Moleküle.
Bild: Bill Saxton, NRAO / AUI /NSF |
"Diese Entdeckung macht die Vielfalt und Komplexität der Chemie
des interstellaren Raums noch größer", erläutert Anthony J. Remijan vom National
Radio Astronomy Observatory (NRAO) die Bedeutung der Entdeckung. "Es erweitert die Möglichkeiten, wie
komplexe organische Moleküle und andere große Moleküle in interstellaren Wolken
entstehen können." Aus diesen Wolken können irgendwann einmal Sterne und
Planeten werden, die Moleküle werden dann vielleicht zu wichtigen
Grundbausteinen für Leben.
Ein Astronomenteam am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA)
hat das aus acht Kohlenstoffatomen und einem Wasserstoffatom bestehende Molekül
in einer kalten, dunklen Gaswolke entdeckt. Ein zweites Team um Remijan
entdeckte das gleiche Molekül in einer Gashülle um einen alten Riesenstern. In
beiden Fällen verfügt das Molekül über ein zusätzliches Elektron, wodurch es
eine negative Ladung erhält.
Bislang wurden im interstellaren Raum rund 130 neutrale und etwa ein Dutzend
positiv geladene Moleküle aufgespürt. Das erste negativ geladene Molekül wurde
hingegen erst im vergangenen Jahr entdeckt. Bisheriger Rekordhalter war dabei
ein Molekül mit sechs Kohlenstoffatomen und einem Wasserstoffatom.
Der Fund der negativ geladenen Moleküle hat die Astronomen überrascht:
Positiv geladene Moleküle sind leicht zu erklären, da durch die starke
ultraviolette Strahlung von Sternen schnell einmal ein Elektron aus einem
Molekül herausgelöst werden kann, wodurch es eine positive Ladung erhält. Aus
dem gleichen Grund hatten sie erwartet, dass negativ geladene Moleküle, die
also ein extra Elektron haben, nicht über längere Zeit existieren können und ihr
Elektron sehr schnell wieder verlieren. "Das ist aber offensichtlich nicht der
Fall", so Mike McCarthy vom CfA. "Negativ geladene Moleküle finden
sich überraschend
häufig in diesen Regionen."
"Bis vor Kurzem haben viele theoretische Modelle über die chemischen
Reaktionen im interstellaren Raum die negativ geladenen Moleküle
vernachlässigt", macht auch Jan M. Hollis vom NASA Goddard Space Flight Center
die Bedeutung der Entdeckungen deutlich. "Das kann man sich nun nicht mehr
erlauben und es bedeutet, dass es deutlich mehr Wege gibt, um große organische
Moleküle im Kosmos zu erzeugen als bislang untersucht wurden."
Remijan und sein Team haben das Molekül in der Hülle des Sterns IRC +10 216
gefunden. Es handelt sich dabei um einen Riesenstern in 550 Lichtjahren
Entfernung. Die Astronomen haben dazu Archivmaterial des Green Bank
Telescopes ausgewertet und in den Daten die typische Frequenz der geladenen
Moleküle gefunden. Das Green Bank Telescope ist das größte vollständig
drehbare Radioteleskop der Welt.
Das CfA-Team hat die gleichen Frequenzen bei der Beobachtung der kalten
Molekülwolke TMC-1 im Sternbild Stier entdeckt. Zuvor hatten die Wissenschaftler
in Laborexperimenten die Radiofrequenzen bestimmt, die von den Molekülen
ausgesandt werden, so dass sie wussten, wonach sie suchen mussten. "Es ist
wichtig, dass man zunächst Laborexperimente mit Molekülen macht, die man im
interstellaren Raum erwartet und so die Radiofrequenzen bestimmt, die diese
aussenden können", erklärt Frank Lovas vom Nationale Institute of Standards
and Technology.
"Der Fund von drei negativ geladenen Molekülen innerhalb einer relativ kurzen
Zeit und in sehr unterschiedlichen Regionen, macht es doch sehr wahrscheinlich,
dass noch viele weitere existieren", glaubt Sandra Bruenken vom CfA. "Mit
empfindlichen Radioteleskopen können wir noch viele neue Arten entdecken, wenn
wir erst einmal ihre genauen Charakteristika aus dem Labor zur Verfügung haben."
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